Die Wunderkammern der Sasha Waltz, Teil 2 (und Schluss)
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) – Nach dem poetischen Auftakt in Teil 1 wechselt das Buch „Sasha Waltz & Guests“ die Perspektive – und wird zur präzisen Chronik des Ensembles.
Noch einmal 100 Seiten widmen die Herausgeber im zweiten Teil des Buches einer Chronologie, die sämtliche Projekte von Sasha Waltz ab 1993 akribisch Jahr für Jahr auflistet. Im Jahr 2000 – man darf schon sagen: – knallte sie mit ihrer Choreografie „Körper“ in die westdeutsche Tanztheaterszene. Sie gehörte nicht zu den Pionierinnen um Pina Bausch, Susanne Linke oder Reinhild Hoffmann, dazu war sie noch zu jung. Das Wuppertaler Tanztheater wurde 1973 von Pina Bausch übernommen, Waltz gründete 1993 mit Sandig ihr Ensemble im nicht gerade tanzaffinen Berlin. Hier entwickelte sie ihre ersten „Dialoge“ mit Musik und Bildender Kunst, fand später eine feste Spielstätte in den Sophiensälen.
Ums Millennium herum eroberte sie, nach ihrer Berufung an das legendäre Berliner Theater „Schaubühne“, mit ihrem Stück „Körper“ die Bundesrepublik. Obwohl sie bereits vorher dort und international präsent war, kam mit dieser Arbeit der endgültige Durchbruch. Und sie entwickelte ihre Kunst mutig weiter und ging weit über die Grenzen des Tanztheaters hinaus: bei der Eroberung großer Museen wie des Jüdischen Museums Berlin (Foto links), des MAXXI in Rom oder der Hamburger Elbphilharmonie – sowie durch die Inszenierung von Opern und Oratorien wie „Dido & Aeneas“ oder der „Johannes-Passion“, die sie als Gesamtkunstwerke von Musik, Bewegung und Raum verstand.
Im „Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe“ (ZKM) präsentierte sie 2005 mit ihrer viermonatigen Ausstellung sowie zahlreichen Choreografien und Performances eine Zwischenbilanz ihrer Arbeit (Foto rechts). Ganz nebenbei engagierte sie sich auch gesellschaftlich, gründete ein tänzerisches Kinderensemble und ließ geflüchtete Menschen auf die Bühne.
Bereits mit ihren frühen „Dialogen“ – jenen freien Begegnungen von Tänzerinnen, Musikerinnen und Architekturen im Berlin der 1990er-Jahre – legte Sasha Waltz den Grundstein für das, was ihr Werk prägt: den offenen Dialog der Künste im Raum. Deren gelegentliche Nummerierung führt sie bis heute fort („Dialoge 2020 Tegelsee“).

Diese gesamte Entwicklung wird detailliert im zweiten Teil des Buches vorgestellt. Für jedes Jahr von 1993 bis 2024 ist nachzulesen, welche Arbeiten neu entstanden oder wiederaufgeführt wurden. Dazu gesellen sich Szenenbilder und kurze Beschreibungen neuer Choreografien. Im ersten poetischen Abschnitt der Publikation wurden sämtliche Fotos mit einem winzigen Quellvermerk versehen, das Nachschlagen der Stücke im zweiten Teil wird empfohlen.
So wird das Buch selbst zur Choreografie: erst poetisch, dann dokumentarisch, immer im Wandel. Zwischen den Bildern, Daten und Erinnerungen lässt sich erahnen, was Waltz’ Kunst ausmacht – Bewegung, die sich festhalten lässt und doch entgleitet. Ein Archiv, das atmet.
Sasha Waltz / Jochen Sandig (Herausgeber) „Sasha Waltz & Guests“, Hardcover, Deutsch, Englisch, 344 Seiten, 58 Euro
Fotos
Verlag Hatje Cantz
Anmerkung:
Der Verlag hat – bisher – der Reproduktion einiger poetischer Collagen nicht zugestimmt – schade, sie hätten den Text anschaulich vervollständigt und die besondere Qualität dieses Buches verdeutlicht.