AngstSven Strickers Krimimalromane von rororo

Frank Schorneck

Kattenbül (Weltexpresso) - Wie oft kommt es vor, dass man einen deutschen TV-Krimi sieht und sich denkt: „Davon möchte ich gerne mal die Romanvorlage lesen“? Hölzerne Dialoge sind an der Tagesordnung. Die Ankündigung einer Kombination aus Spannung und Humor vor wahlweise Berg-, Meer- oder sonstiger Kulisse lässt in der Regel zurückzucken. Doch wenn der Name Bjarne Mädel auftaucht, zudem noch in einer Doppelfunktion als Schauspieler und erstmalig auch Regisseur, sollte man hellhörig werden. Nun ist über die beiden Filme „Sörensen hat Angst“ und die Fortsetzung „Sörensen fängt Feuer“ schon von Dietrich Leder hier im CulturMag geschrieben worden (siehe: Die Figur Sörensen als komplettes Medienpaket, CrimeMag November 2023) – also Zeit, sich einmal anlässlich des neuesten, mittlerweile fünften Teils, „Sörensen macht Urlaub“, mit der Romanreihe von Sven Stricker zu befassen.

 

Angst

„Sörensen hat Angst“ aus dem Jahr 2015 bildet den Auftakt: Kriminalhauptkommissar Sörensen hat sich wegen einer Angststörung aus Hamburg in die vermeintlich beschaulichere Provinz versetzen lassen. Im Gegensatz zu manchen betulichen Friesland-Krimis kommt das Landleben hier nicht als Idylle daher, in der andere Urlaub machen (wollen), sondern die Kleinstadt Katenbüll samt mürrischer Einwohnerschaft ist abweisend, grau, verregnet.

Sörensens erster Kontakt mit seinem neuen Team auf der örtlichen Polizeidienststelle könnte auch besser laufen. Sörensen ist im Smalltalk eher unbeholfen und so richtig weiß man nicht, was man voneinander halten soll. Glücklicherweise wird rechtzeitig der Fund einer Leiche gemeldet, bevor es richtig peinlich werden kann. Gleich Sörensens erster Fall hat es in sich, denn im Lauf der Ermittlungen stoßen die Polizisten auf organisiertem Kindesmissbrauch und eine dazugehörige Mauer des Schweigens, die sich aus Angst, aber auch purem Egoismus speist. Die düstere Tristesse wirkt umso erdrückender, weil auf der anderen Seite ein durchaus lakonischer Humor für Fallhöhe sorgt. Da sind Sörensens immer absurdere Schleifen drehende Gedankenspiralen, die sich bisweilen an Nebensächlichkeiten aufhängen und manchmal fast unkontrolliert seinen Mund verlassen.

Die Verhörmethoden eines Columbo sind gradlinig gegen die Abschweifungen, mit denen Sörensen Verdächtige wie Zeugen zu verwirren weiß. Sörensen betrachtet sich dabei stets wie von außen, ringt mit seiner eigenen Nervosität, dem Schwitzen, den körperlichen Anzeichen für seine Angststörung. Dabei ist Sörensen so sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt, dass er zwischenmenschliches Feingefühl  vermissen lässt. Diplomatie und lokalpolitische Befindlichkeiten sind ihm selbst bei einer Pressekonferenz herzlich egal, wer von ihm eine Todesnachricht überbracht bekommt, wird nicht geschont. Dann wieder gibt es Situationen, in denen gerade seine eigenen Erfahrungen mit der Angst ihn zu einem feinfühligen Zuhörer und sogar Trostspender machen.

Vom übrigen Katenbüller Personal ist Kriminaloberkommissarin Jennifer Holstenbeck die wichtigste. Sie weiß zunächst nicht so recht, was sie von ihrem neuen Vorgesetzten halten soll, doch die beiden merken instinktiv, dass sie sich aufeinander verlassen können. Die beiden Schutzpolizisten Dhonau und Faltermeyer scheinen im ersten Band eher situationskomische Staffage mit Neigung zum Slapstick zu sein, gewinnen aber im Fortlauf der Reihe an Konturen und Tiefe.

Feuer

Im zweiten Band, „Sörensen fängt Feuer“, ist eine junge blinde Frau aus einem langjährigen Kellergefängnis geflohen. Ihr Vater hat sie vor der Außenwelt versteckt, weil nach seinem Glauben Blindheit und andere Behinderungen Strafen Gottes sind. Dass eben dieser Vater tot auf der Couch sitzt, als die Polizei dort auftaucht, wirft Fragen auf, die sich im weiteren Verlauf eher vermehren denn beantworten. Eine pseudochristliche Sekte nicht nur am Rand eines nordfriesischen Ortes, sondern bis in dessen Mitte hinein mag auf den ersten Blick dick aufgetragen scheinen, ist aber letztlich nur eine konsequente Steigerung der Mut- und Hoffnungslosigkeit gescheiterter Existenzen, derer hier so viele versammelt sind.

Sven Stricker beweist besonders gutes Gespür beim Blick auf Charaktere am Rand der Gesellschaft, für Ausgestoßene und Verlierer. Vor allem aber hat er – als jemand, der vom Hörspiel kommt – ein Ohr für gestochen scharfe Dialoge. Brillant sind bei Stricker nicht nur die ausgesprochenen Sätze, sondern die Pausen dazwischen. Dialoge, in denen Menschen aneinander vorbeireden, in denen das Ungesagte plötzlich wie ein Elefant im Raum steht. Noch gesteigert wird der Effekt häufig, indem parallel zum Dialog geschildert wird, wie die Protagonisten das Gesagte innerlich reflektieren. Wenn man einen der Filme gesehen oder auch nur kurz in eines der Hörspiele reingehört hat, hat man beim Lesen stets die Stimme von Bjarne Mädel im Kopf, der den Kommissar kongenial verkörpert. Eine gewisse norddeutsche Schroffheit, in der Herzlichkeit und Feindseligkeit bisweilen nur Nuancen voneinander entfernt liegen können, prägt den Tonfall.


Urlaub

In diesem Jahr nun ist mit „Sörensen macht Urlaub“ der mittlerweile fünfte Band erschienen. Ist der Einstieg in die Sörensen-Welt auch für jene denkbar, die die vorherigen Ereignisse noch nicht kennen? Grundsätzlich kann man sicherlich gut in die Geschichte hineinkommen, Stricker führt seine Protagonisten behutsam ein, ohne Vorangegangenes nachzuerzählen oder gar zu spoilern, was genau in den vorangegangenen Bänden geschehen ist. Klar, man erfährt, dass Katenbüll in relativ kurzer Zeit mehr Leichen gesehen hat, als einem eher kleinen nordfriesischen Ort gut tut, aber Stricker arbeitet hier eher mit Andeutungen.

Es ist übrigens auch ein Running Gag in der Reihe, dass die schiere Menge an Mord und Totschlag, die hier in ländlicher Umgebung geschehen, unglaubwürdig ist. Von vielen Leuten wird Sörensen dafür verantwortlich gemacht, das Unglück geradezu anzuziehen, zumindest aber dafür, dass er die Abgründe hinter der dörflichen Kulisse aufgedeckt und den Ruf Katenbülls durch den Schmutz gezogen hat.

Kein Wunder, dass Sörensen urlaubsreif ist. Wobei: Dem Konzept „Urlaub“ steht der angeschlagene Polizist skeptisch gegenüber, überhaupt loszukommen kostet ihn einiges an Überwindung – auch wenn es nur nach Österreich gehen soll. Da kommt es ihm Anfangs beinahe schon gelegen, dass er von seiner Ex Nele gebeten wird, auf der Reise doch kurz in Hamburg vorbeizuschauen und mal wieder seine mittlerweile sieben Jahre alte Tochter Lotta zu besuchen. Natürlich steckt hinter dieser Bitte ein Hintergedanke: Eine Freundin Neles ist in Schwierigkeiten und ehe es sich Sörensen versieht, ist sein Gespür in einem Mordfall gefragt.

Währenddessen bekommt es auch Jenni Holstenbeck in Katenbüll mit einer Leiche zu tun. Von übergeordneter Stelle wird ihr der arrogante Schnöselkommissar Marius Mommsen vorgesetzt, der sich eher als (gelackter) Hemmschuh erweist, denn als Hilfe. In kurzen Textnachrichten, die Jenni und Sörensen austauschen, machen sie sich gegenseitig etwas vor: Sörensen schwärmt von den österreichischen Bergen und Jenni schreibt vom langweiligen Dorfalltag. Dabei könnten sie einander sehr helfen, wenn sie ehrlich zueinander wären. Lüge, Täuschung und Verstellung sind die Leitmotive in „Sörensen macht Urlaub“. Und wieder einmal ist die Fallhöhe zwischen dem lakonischen Tonfall, dem Wortwitz, der auch die Nähe zum Kalauer nicht scheut, und der Tragik riesengroß.

Wenn Sörensen selbst von einem gescheiterten Einsatz erzählt, in dem ihn seine schon damals vorhandene Angst nahezu handlungsunfähig machte, liest man dies nahezu atemlos, vergisst, dass man nur zwei Seiten zuvor noch geschmunzelt oder gar breit gegrinst hat. Man schließt diesen so oft unbeholfen agierenden Mann mit dem großen Herzen schnell ins eigene Herz, leidet mit ihm, wenn er versucht, die Dosierung seiner Medikamente zu reduzieren, um vielleicht irgendwann einmal auch wieder mehr Zeit mit seiner Tochter verbringen zu können. Vor allem aber freut man sich mit ihm, wenn er über die, die ihn unterschätzen, triumphiert.

Natürlich stellt sich die Frage, wie lange der doch eng begrenzte kleinstädtische Kosmos noch trägt als Setting, wann es unvermeidbar zu Redundanzen kommt, ein Ermüdungseffekt einsetzt. Doch aktuell sind die Sörensen-Romane von Sven Stricker sicherlich mit das Unterhaltsamste, was der deutschsprachige Krimi hergibt. Und auf kommende Verfilmungen darf man sich ebenfalls sehr freuen.

Foto:
Umschlagabbildung

Info:
Abdruck mit freundlicher Genehmigung von CulturMag  

Die Sörensen-Reihe von Sven Stricker im Rowohlt Taschenbuch:

Sörensen hat Angst, 2015

Sörensen fängt Feuer, 2018

Sörensen am Ende der Welt, 2021

Sörensen sieht Land, 2023

Sörensen macht Urlaub, 2024

Zu Verlagsinformationen dazu geht es hier.

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