vipers dream Jake Lamar »Viper’s Dream«, Edition Nautilus

Hanspeter Eggenberger  

Zürich (Weltexpresso) - Jazztrompeter will Clyde Morton als junger Mann werden. Im September 1936 nimmt er seinen Trompetenkoffer und steigt in Meachum, Alabama, in den Zug nach New York City. Wo er gleich in den Stadtteil Harlem geht, ins „Zentrum des afro-amerikanischen Universums“. Beim Vorspielen im Club „Mr. O’s“ ist das Verdikt hart und direkt: Null Talent, bescheinigt ihm der Bandleader und Bassist Pork Chop Bradley. Doch der Musiker, der Clydes bester Freund werden soll, macht ihn mit „Mary Warner“ bekannt: Marihuana, „das Elixier der Kreativität“, sagt Pork Chop, „alle Jazzmusiker haben an Mary Warners Zitzen gesaugt“. Unter dem Spitznamen Viper wird Clyde Morton schnell zum wichtigsten Dope-Dealer nicht nur für Jazzmusiker in New York, zunächst in Diensten von Mr. O., einem jüdischen Geschäftsmann und Gangster.


Nach „Das schwarze Chamäleon“ ist „Viper’s Dream“ der zweite Roman des in Paris lebenden afroamerikanischen Autors Jake Lamar, der auf Deutsch erscheint, wiederum übersetzt von Robert Brack, der selbst ein begnadeter Krimiautor ist. Der in der New Yorker Bronx aufgewachsene Lamar lebt seit 1993 in Paris. „Viper’s Dream“ ist 2021 zuerst auf Französisch erschienen und erst 2023 in der Originalsprache; 2024 wurde der Roman in Großbritannien mit dem CWA Historical Dagger Award für den besten historischen Kriminalroman geehrt.

Die Geschichte des New Yorker Stadtteils Harlem und der Jazzszene in der Stadt, die niemals schläft, bildet den Hintergrund der faszinierenden Geschichte des Aufstiegs des Jungen aus Alabama zur ebenso geliebten wie gefürchteten Figur. Er versorgt die Szene mit Weed, Reefer, Mary Jane oder wie immer der Stoff genannt wird – mit den zunehmend aufkommenden harten Drogen wie Heroin will Viper nichts zu tun haben. Aber auch sein Business ist illegal, und Gewalt und Tod sind nicht weit. Neben der Gangstersaga schildert Lamar die Jazzszene im New York der Dreißiger- und Vierzigerjahre und dann die Zeit des aufregenden neuen Bebops, den Viper nach der Rückkehr von vier Weltkriegsjahren in der Navy in New York kennenlernt. Nicht fiktive, sondern echte Größen wie Charlie Parker, Miles Davis, John Coltrane und Thelonious Monk bevölkern die atmosphärisch erzählte Geschichte, die 1961 endet, im Geburtsjahr des Autors.

Zu den realen Figuren zählt auch die Baroness Pannonica de Koenigswarter, von ihren Freunden Nica genannt; die reiche Nachfahrin der englischen Rothschilds war eine Förderin des Modern Jazz. In ihrer Suite im Stanhope Hotel an der Fifth Avenue starb der heroinabhängige Charlie „Bird“ Parker. Im „Cathouse“ der Baroness auf der anderen Seite des Hudson River in Weehawken, New Jersey, beginnt und endet „Viper’s Room“ im November 1961. Nica möchte, dass Viper seine drei Wünsche auf einen Zettel notiert. Sie lässt das vor allem von Jazzern machen und sammelt ihre Antworten. Clyde „Viper“ Morton tut sich schwer damit, bis er als ersten Wunsch notiert: „Ich wünschte, ich hätte meine Heimat nie verlassen.“ Denn inzwischen wird der kleine König von Harlem, als den er sich sah und auch andere ihn sehen, von Selbstzweifeln geplagt.

Trotz allem Ruhm und Wohlstand findet er sein Glück nicht. Seine große Liebe Yolanda stürzt ihn jedes Mal in neue Verzweiflung, wenn er wieder versucht, mit ihr zusammen zu sein. Seinen Freunden kann er immer weniger vertrauen. Seine Familie hat sich schon längst von ihm distanziert. So verbindet Jake Lamar in „Viper’s Dream“ ein bedeutendes Stück der Schwarzen Musikgeschichte und ein Zeitbild vom Harlem der Dreißiger- bis Fünfzigerjahre mit einer harten Gangsterstory virtuos zu einem Noir-Krimi, der im Rhythmus des Modern Jazz pulsiert.

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Info:
Jake Lamar: Viper’s Dream (Viper’s Dream, 2021 [frz.]/2023). Aus dem Englischen von Robert Brack. Edition Nautilus, Hamburg 2025. 205 Seiten, 20 Euro,

Hanspeter Eggenberger veröffentlicht als einziger Kritiker im deutschsprachigen Raum so gut wie je Woche die Besprechung eines aktuellen Kriminalromans. Seine Internetseite krimikritik.com sei hiermit ausdrücklich empfohlen, d. Red. von CulturMag
Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Culturmag