Laudatio von Elmar KrekelerElmar Krekeler
Berlin (Weltexpresso) - Im Rahmen der Reinickendorfer Kriminacht wurde der Preis „Krimifuchs 2025“, der wichtigste Berliner Preis für Kriminalliteratur, jetzt zum 32. Mal vergeben. Preisträger: Andreas Pflüger – nicht nur für seinen Roman „Kälter“, sondern sein Gesamtwerk in Film und Literatur. Wurde in dieser Art zum ersten Mal vergeben, da sich die Preisträger in den beiden Kategorien Einzel- und Gesamtwerk sonst jährlich abwechseln. (Siehe auch das ausführliche Interview mit Andreas Pflüger von Alf Mayer als nächster Artikel) Die Laudatio hielt Elmar Krekeler. Wir freuen uns, Sie Ihnen hier präsentieren zu können.
Bei allem trotzdem Hoffnung, dass am Ende alles gut wird
Guten Abend, meine Damen und Herren, wir haben uns in den vergangenen Jahren – unter anderem weil wir erwiesene Europa-, wenn nicht Weltmeister im Sichselbstkleinreden sind –, doch sehr daran gewöhnt, dass wir ziemlich viele Dinge nicht können. Als Deutsche. Fußballweltmeister werden zum Beispiel, stabile Regierungen bilden, rechtsextreme Parteien verhindern, Automobile entwerfen, die in China gekauft werden, Bahnhöfe bauen, Bahnen pünktlich fahren lassen.So sehr haben wir uns daran gewöhnt, über alles zu meckern, und Berliner sollen darin ja besonders gut sein, dass wir blind wurden für alle Silberstreifen der Hoffnung am Horizont. Das zu ändern sind wir heute Abend hier. Um Hoffnung soll es nämlich gleich gehen. Und um Blindheit und Blutvergießen, um die Geschichte der deutschen Sicherheitsdienste, politische Morde, weibliche Kampfmaschinen. Und um ein literarisches Genre, das manche seit dem Mauerfall und dem Ende des Kalten Krieges für tot und begraben hielten, und für das man früher Brite sein musste und mindestens Agent.
Bis Andreas Pflüger kam, den zu ehren wir heute hier sind, der beides nie war. Andreas Pflüger hat den politischen Spionage-Thriller angeschlossen an den literarischen Defibrillator, den er in fast vierzig Jahren Schreibarbeit entwickelt hatte. Dann hat er in seinem Berliner Writers Room am Tiergarten auf den Knopf gedrückt und es wiederbelebt. Jenes Genre, das sich von allen literarischen Genres – Highbrow-Literaturkritiker nehmen es mir hoffentlich nicht übel – am Besten als Geschichts- und Gegenwarts- und Gesellschaftsspiegel eignet.
Aber vielleicht fangen wir, um das Phänomen Pflüger zu erklären, was in wenigen Minuten ohnehin schwierig ist, weil am Ende alles, was sich in Pflügers Thrillern trifft, sich über Jahrzehnte angesammelt hat, ganz von vorne an. In Bad Langensalza – das liegt in Thüringen –, wo Pflüger 1957 geboren wurde. In Brebach-Fechingen, wo er, da konnte er ans Laufen nicht einmal denken, hinkam und behütet aufwuchs. Das liegt im Saarland, nicht weit weg von der französischen Grenze, hat 5717 Einwohner, die wenige Kilometer weiter von der Saarbrücker Diskonto-Schenke mit der besten Curry-Wurst auf der Welt versorgt werden. Im Prinzip hat Andreas, der mit acht Jahren anfing, alles zu lesen, was er in die Finger bekam, schon als Knirps alles gelernt und gekonnt, was ihn später erst zu einem der meistbeschäftigten deutschen Drehbuchautoren machte, der fünfmal für den Grimmepreis nominiert wurde, ohne ihn je zu bekommen – was ein Skandal ist, und zum – so hat ihn irgendein größenwahnsinniger Journalist genannt – Thrillergott der Suhrkamp-Kultur. Dass Kunst von Wollen und Trauen kommt, dass man schreiben muss, was man weiß, dass man geschäftstüchtig sein muss. Das ging so. Andreas schrieb kleine Heftchen, es ging darin um das Rätsel, wer die Katze des Nachbarn entführt hat zum Beispiel. Verkaufte sie für 50 Pfennig. Was in den Sechzigern ein ziemlich stolzer Preis war (man bekam zehn Brötchen fürs gleiche Geld).
Wie Gewalt geht, hat er da auch gelernt, man prügelt sich auf dem Dorf halt, er hat ausgeteilt und eingesteckt. Dann fing er, der sich als stabilen Agnostiker bezeichnet, an zu studieren, ging weg. Nach Saarbrücken, Paris, nach Berlin. Germanistik, Philosophie und Theologie – was sich nebenbei wiederum alles in seinen Mord- und Totschlag- und Agentengeschichten spiegelt. Dann fuhr er Taxi, wie man das als Student in der Vor-Uber-Ära so tat. Zwölf Stunden am Tag, schlief vier und verbrachte den Rest am Schreibtisch. Verfertigte Gedichte, Kurzgeschichten. Mit den Absagen der Verlage konnte er ganze WGs tapezieren. Er sei begabt, hieß es da zum Beispiel, aber solle doch aufhören schreiben zu wollen wie sein Idol Max Frisch. Das hat er doch sehr beherzigt. Dann schrieb er – schreib, was du weißt – ein Hörspiel für den SFB. »In der Nacht sind alle Taxen grau« hieß das. Das wurde gesendet. Gabs auch als Musical am Grips-Theater. Schrieb in Serie Sonntagabendkrimis, erfand – mit Murmel Clausen – den »Tatort« in Weimar mit Nora Tschirner und Christian Ulmen, der das im deutschen Fernsehen Unmögliche schaffte, nämlich Humor und menschlichen Tiefgang zu verbinden, überregionale Gattungsgrenzen zu sprengen und regionale Geschichten zu erzählen. 2013 war das. Da hatte er »Operation Rubikon« schon lange geschrieben, seinen ersten Politik- und Gesellschaftsthriller über einen Chef des Bundeskriminaldienstes, der bittere Bilanz zieht.
Der Roman lag, weil keiner in Deutschland was mit dem Genre anfangen konnte unter anderem, herum. Was überaus schade war. Pflüger aber natürlich nicht aufhielt. Bei der Recherche hatte er sein Thema gefunden. War süchtig geworden, nach Recherche (aber das war er eh schon immer), nach Geschichten von Diensten, von Geheimaktionen, davon, wie der Staat sich selbst und uns mit Gewalt und Perfidie schützt und mit welchen Folgen. Hans-Ludwig Zachert, der BKA-Chef war, gab ihm einen mehrwöchigen Grundkurs in Geheimdienst. Er wurde Pflügers Freund.
Im Juli 2018 hatte Pflüger genug vom Gefängnis, als das er – und beinahe zeitgleich mit ihm ein gutes Dutzend der besten deutschen Drehbuchautoren – das permanent unterfinanzierte deutsche Fernsehen empfand, von der Diktatur der rückgratlosen Redaktionen, vom Regime der Pfennigfuchser, mit denen er bei dem Holocaust-Drama »Der neunte Tag«, das er für Volker Schlöndorff schrieb, um die Zahl der Blechnäpfe feilschen musste, die da zu sehen sein sollten. Das nur als Beispiel. Eine Serie im deutschen Fernsehen – egal welchem übrigens – durchzubringen, sagt er, schafft man nicht, ohne Schaden an Leib und Leben zu nehmen.
Pflüger wollte ins Freie. Geschichten schreiben, ohne Schere im Kopf, ohne sich scheren zu müssen um Budgets oder Bedenkenträger. Er wurde – in geradezu Fontaneschem Alter – Suhrkamp-Autor. Der erste Schriftsteller übrigens, bei dem Siegfried Unselds Hardcore-Literaturverlag das Wort Thriller auf das Cover drucken ließ und mit der Aufnahme in das Hauptprogramm adelte. Schickte erst die blinde Superheldin Jenny Aaron, Kommissarin einer Sondereinheit der Kriminalpolizei mit Lizenz zum Töten, in einer literarischen Mini-Serie dreimal auf europaweite Verbrecherjagd. In seinem Roman »Ritchie Girl« begab er sich in den braunen Urschleim der deutschen Sicherheitsdienste und knöpfte sich Gehlen und Co. vor. Dann jagte er in »Wie Sterben geht«, wir schreiben den Winter 1983, bei einem Gefangenenaustausch erst die Glienicker Brücke in die Luft und steigerte dann das Erzähltempo. Nina Winter war die Heldin, eine anfangs unscheinbare Analystin, die zur Kampfmaschine ausgebildet im Moskau der sich allmählich auflösenden KPdSU-Diktatur einen Doppelagenten führen soll. Mit »Kälter« ging dann in diesem Jahr Pflügers Sitten- und Strukturgeschichte der deutschen und internationalen Sicherheitsdienste weiter. Luzy Morgenroth heißt die Heldin, die mal die beste Personenschützerin Deutschlands war, bevor was schief lief in Israel, und sie als Dorfpolizistin auf Amrum landete und ein wenig mollig wurde. Bis – die Mauer fällt gerade in Berlin – gefühlt ein Dutzend Russen auf der Insel landen, geschickt vom gefährlichsten und hochbezahltesten Terroristen der westlichen Welt, einem ehemaligen RAF-Superbrain mit dem Kampfnamen Babel. Den Luzy schon kennt.
»Wahre Macht über Leben und Tod«, hat Babel Luzy beim letzten Mal gesagt, »hast du wenn du dann und wann jemandem erlaubst, fürs Erste weiterzuatmen.« Luzy ist Pflügers Zelig, seine Sonde in die Ära der zusammenbrechenden Systeme. Der Plot springt durch die Zeiten. Pflüger packt Luzy auf der Jagd nach dem Schatten ihres Lebens in ein Pandämonium, das er aus akribisch ausgeforschter Historie und akribisch ausgetüfteltem Fantasialand mit virtuoser Sprachwut zusammengeschraubt hat. Und immer wieder hört man ihn sardonisch lachen, das kann er übrigens gut, wenn er sich, der Genreuhrmachermeister, wieder selbst eine dramaturgische Komplikationsfalle gestellt hat, aus der eigentlich kein Autor lebend herauskommen kann. Und er es doch wieder schafft.
»Kälter« ist poetisch. Ist perfekt geschnitten. Ist physisch. Pflüger ist ein überaus begabter Choreograph von Action. Er sagt übrigens, dass er fünf bis sechs Stellen am Körper kennt, an denen er einen Gegner ins Jenseits befördern könnte. Die wahre historische Wirklichkeit wird lebendig und ein bisschen zur Kenntlichkeit verbogen. Man lernt viel über das Gestern als Spiegel des Heute. Kann es – genauso wie es war mit »Wie Sterben geht« – Kindern geben, dass sie lesen, wie es war. Und welchen Irrtümern man damals schon aufsaß, die bis heute nachwirken. Über die Verfasstheit und Gefährlichkeit von Russland zum Beispiel. Man sollte nicht allzu sicher sein, dass es die Songs gibt, die er zitiert, und die Gemälde, die er erwähnt. Wahrhaftig aber bleibt das alles. Und hat einen Sog, wie es kein Thriller gegenwärtig hat, wo auch immer in der literarischen Welt.
Am Ende gibt es, das gehört zu den Gesetzen des Genres und zur geistigen Physiognomie des Andreas Pflüger, trotzdem Hoffnung, dass alles gut wird. Davon können wir gegenwärtig gar nicht genug bekommen. Aber das ist nur einer Gründe wofür wir ihn heute und ich ganz besonders gern mit dem Krimifuchs 2025 auszeichnen.
Fotos:
Andreas Pflüger, Elmar Krekeler
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alle Mitwirkenden
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Info:
Abdruck mit freundlicher Genehmigung von CulturMag