Frankfurter Buchmesse 8. bis 12. Oktober 2014, Teil 22

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Was Franz Dobler, 1959 in Schongau/Bayern geboren, dazu treibt, einen Polizisten nicht als denjenigen vorzustellen, der den Verbrecher verfolgt, sondern als einen, der selbst gejagt wird, am allerschlimmsten von dem vom Polizisten in Notwehr erschossenen jungen Libanesen, der nun in seinem Kopf lebt und mit ihm spricht, das wollten wir wissen.

 

Für wen haben Sie EIN BULLE IM ZUG geschrieben. Bitte charakterisieren Sie doch ihren idealen Leser – oder wäre es gar eine Leserin?

 

Da würde ich jetzt keinen Unterschied machen aber ich muß zugeben, daß ich das wirklich nicht weiß. Ich schreibe immer so, daß es meiner Vorstellung von gutem Schreiben, einem guten Buch entspricht. Und ich finde es zu diffus, an ein Publikum zu denken, das ich nicht kenne und nur manchmal irgendwie kennenlerne. Deswegen wüßte ich nicht, wie das geht, sich an irgendeine Vorgabe zu halten, die mir nicht klar ist.

 

 

Ich frage deshalb, wenn jemand einen Buchhändler anspricht - da kommt einer und will jemandem zum Geburtstag etwas schenken, was würde der Buchhändler denn nachfragen, damit dieses Buch für jemanden richtig wäre.

 

Ja gut, es ist halt im Kriminalbereich angesiedelt. Ich würde mal schätzen für 14-Jährige ist es nicht geeignet und vielleicht Leute, die eine bestimmte Unterhaltungsliteratur am liebsten mögen, können damit auch nichts anfangen. Ansonsten weiß ist das nicht genau.

 

 

Aber genau das will ich bitte wissen: Mit welchen zwei Sätzen würden Sie Ihren Roman empfehlen?

 

Na ja, also dann gehe ich zurück auf die Geschichte, was sie im Kern ist. Es ist die Geschichte von einem Polizisten, der jemanden erschossen hat, bei einem Einsatz und ohne es zu wollen dienstunfähig wird, aus psychischen Gründen. Das heißt, es ist ein Buch über jemanden, der nun massive Probleme hat und versucht, damit klar zu kommen. Ich habe versucht, diese Probleme, die er hat, die jetzt nicht jeder normal Bürger so leicht bekommen kann, so nah wie möglich zu schildern. In dem Sinne würde ich sagen, es ist kein besonders lustiges Buch, aber ich kann mir vorstellen, daß man daraus etwas lernen könnte, oder sich damit beschäftigen könnte um diese Problemzonen, die da auftauchen.

 

 

Was kann man lernen?

 

Na ja, das, was ich auch lernen mußte. Ich mußte einiges lernen aus so einem Bereich, wie werden traumatisierte Leute behandelt, auf welche Art versucht man an die heranzukommen, ich mußte zum Beispiel lernen, daß es im Grunde keine bestimmten Regeln gibt, um da dahinter zu kommen, so wie ein Arzt eben irgendwas Bestimmtes machen muß, wenn jemanden sich das Bein bricht. Diese psychischen Nachwirkungen sind die totale Grauzone, mit der man sich beschäftigen muß, durch die man irgendwie einen Weg finden muß. Nun, das war mir vorher nur sehr rudimentär und vage klar. Mit der Beschäftigung wurde mir das klarer.

 

 

Was war für Sie der Ausgangspunkt, diese Geschichte zu schreiben über einen Polizisten, der im Einsatz einen libanesischen Jungen erschießt?

 

Der Ausgangspunkt war gar nicht diese Geschichte, sondern der erste Ausgangspunkt war, daß ich schon sehr lange ein Buch über Zugfahrt schreiben wollte, ohne daß ich aber so ein Reisebuch machen wollte, wo man irgendwelche Stationen abhacken könnte oder in Mainz aussteigt und sagt: „Ah! Das stimmt, das steht ja in dem Buch, so sieht es hier tatsächlich aus.“ Und in der Zusammenarbeit mit dem Berliner Filmemacher hat sich der Stoff auf einmal so entwickelt, weil dieses Problemfeld des Erschießens sozusagen alles andere überlagerte. Also, wenn ich ein neues Buch mache, versuche irgendetwas so neu zu machen, daß es für mich interessant bleibt und nicht in dem Sinne mich wiederhole mit dem, was ich schon weiß. Es muß einfach etwas Neues hinzu kommen. Was mich eigentlich immer interessiert hat, sind solche Sachen, die hier auftauchen, was passiert, wenn jemand Macht hat, wenn er Gewalt ausüben kann und in dem Fall ist es natürlich die legitimierte Gewalt eines Polizeibeamten.

 

 

Wir haben doch nicht nur ein Problemfeld, sondern gleich mehrere Problembündel: Ein Polizist, der einen erschießt, der ihn selber mit der Waffe bedrohen will. Aber: dessen Waffe ist weg. Ein Polizistenehepaar, wo vor allem sie Waffen als erotische Stimulation versteht. Schon wieder gleich zwei Probleme.

 

Was ist die Frage dazu?

 

Die Problembündelung von Erschießen und Polizistenehepaar sowie Waffen. Der Mann hat ja zudem Probleme mit seinen Kollegen!

 

Genau, er ist umgeben von Problemen, von denen er oft nicht weiß, wie die in diesem Zentrum überhaupt mitspielen. Das Problem mit seiner Frau ist sozusagen direkt verbunden mit seiner Traumatisierung.Also, diese Beziehung leidet darunter, dagegen weiß er nicht gar nicht, wie er seinen Kollegen einstufen muß, außer daß er von Anfang an sagt, der agiert irgendwie komisch, etwas ist anders als sonst. Er will einfach herausfinden, was ist es, das komisch ist. Auch noch in diesem Zusammenhang geht es stark darum, daß die Erinnerung nicht so funktioniert, wie man es gerne hätte. Oder wie es normal wäre. Das heißt, der Polizist hat massive Lücken in seiner Erinnerung, die sich nach und nach füllen oder von denen er nicht genau weiß, ist das die Realität, mit der sie sich füllen oder nur sein eigenen subjektiver Eindruck. Das sind diese ganzen Sachen, um die es eigentlich geht, wenn man so will, diese Art von Dickicht, wo er versucht, durchzukommen. Seine Erinnerungen verändern sich eben, darum verändert sich auch zum Beispiel diese Frage, was sein Kollegen bei diesem Einsatz …, was da vor sich gegangen ist. Fortsetzung folgt.

 

FOTO: Martina Ober

 

INFO:

 

Franz Dobler, Ein Bulle im Zug, Tropen Verlag 2014