KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für November 2014, Teil 3

 

Elisabeth Römer 

 

Hamburg (Weltexpresso) – Zugegeben, diesmal geht es ein bißchen durcheinander, denn sonst kommentieren wir die Plazierung der einzelnen Krimis in der Liste der Reihe nach. Aber nun war der Achte mit GALVESTON schon dran, es fehlen aber noch Vordere!

 

Beispielsweise auf Platz 6 und funkelnagelneu: Ian Rankin mit SCHLAFENDE HUNDE aus dem Verlag Manhattan.

 

Sie kannte John Rebus noch nicht lange, aber sie wußte, daß er so was ausgezeichnet draufhatte, wie ein Bluthund, den man an einem Tuch schnuppern und anschließend von der Leine läßt. Formulare ausfüllen, Prototkolle schreiben und Haushaltsabrechnungen war nicht Rebus' Fall – nie gewesen, und das würde sich auch nicht mehr ändern. Was das Internet betraf, so hatte er lediglich rudimentäre Kenntnisse, und seine sozialen Komepetenzen waren beklagenswert. Aber sie würde jederzeit James Page gegenüber für Rebus lügen und einen Anschiß kassieren, wenn eine Schwindelei aufflog. Denn er gehörte zu einer Sorte Polizisten, die es angeblich gar nicht mehr gab, einer seltenen und gefährdeten Spezies Und sie würde ihn und seinesgleichen vermissen, wenn sie – was unvermeidlich war – schließlich ausstarben.“ (s. 415)

 

Es ist Kollegin Christine Esson, die uns die Arbeit der Beschreibung des Detective Seargent John Rebus abnimmt, aber wenn man genau hinschaut, beschreib sie ihn gar nicht, sondern nur ihre Reaktion auf ihn. Genauso geht es dem Leser. John Rebus wird ständig in Aktion gezeigt, und das, was Esson mit ihren Worten über ihr eigenes Verhalten kommentiert, ist, daß Rebus ständig im Dienst ist und die Wahrheit herauszufinden sein unerschütterlicher Antrieb ist, der ihn bewegt – stärker als andere das tun – auch Dinge miteinander zu verknüpfen, die schließlich unaufhaltsam auf eine Lösung, die richtige Lösung und Aufklärung der Taten hinauslaufen- kostet dies auch das eigene Image, die eigene Position.

 

Diese Eigenschaft hat ihm schon mal geschadet, was heißt einmal? Mehrere Vorfälle hatten dazu geführt, daß er als ehemaliger Detective Inspector (das ist eine Vorgesetztenfunktion) aufgehört hatte, aus dem Dienst ausgeschieden war und nun weit unten als kleiner Polizist wieder ermittelt. In eigener Sache könnte man sagen, denn der ganze Roman kreist darum, wie man sich verhalten soll, wenn zwei fundamentale Eckpfeiler des Lebens und des Berufes unvereinbar werden: so was wie einen Eid innerhalb einer Gruppe von Polizisten, die einen festen Freundschaftsbund eingegangen waren, heilig zu halten oder auch an dies Eingemachte zu gehen, wenn sich zeigt, daß im Mordfall vor Jahrzehnten, der neu aufgerollt wird, genau diese Gruppe den Mörder ausmacht und deckt.

 

Mehr wollen wir gar nicht verraten, als daß es seine Zeit braucht, bis John Rebus durchblickt und dann immer noch nicht ganz sicher ist, wie er sich verhalten soll und eher die Dinge so inszeniert, daß sich auf einmal die Abgründe auch für andere auftun. Das ist ein fein gestrickter Krimi, der einen nicht vom Hocker haut, aber feinsinnig Freundschaften unter Polizisten hinterfragt, wo nämlich die Freundschaft anfängt und die Kumpanei längst Platz gegriffen hat.

 

Wir haben das Buch parallel mit der Hörversion gelesen. Die ist erschienen im Hörverlag München und hat mit Jürgen Tarrach einen kongenialen Erzähler. Lapidar, aber auf 458 Minuten auf 6 Dcs und trotzdem gekürzt, erfahren Sie im Detail, wie sich Rebus mit seinem Gegenspieler, dem hyperkorrekten Malcolm Fox herumschlägt oder ihm listig – dabei ist doch dessen Name Fuchs – aus dem Weg geht, eben auf eigenen Wegen. Auch, wenn am Schluß alles geklärt ist, bleibt die Trauer von Rebus auch unsere. Denn es schmerzt immer stärker, wenn die Bösen in unserer Nähe überwinterten, als wenn sie dies in Sibirien täten.

 

Auf dem nächsten, dem 7. Rang folgt Max Annas mit DIE FARM aus dem Verlag Diaphanes. Eine Geschichte in Südafrika, aber vom in Köln und Afrika lebenden deutschen Autor geschrieben. Dazu das nächste Mal mehr. Fortsetzung folgt.

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste November 2014



 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(3)

Franz Dobler: Ein Bulle im Zug

Tropen, 348 S., 21,95 €

München/DB-Netz. „Jetzt spürte er, wie sich der Sprung in seiner Schüssel bildete.“ Kommissar Fallner hat einen Jungen erschossen. Notwehr? Fallner hat Lücken. Ziellos reist er im Zug durch Filme, Ängste, D-Land. Doblers super instrumentierte Alltagssprachkunst weckt Todes- und Lebensgeister.

2

2

(4)

Liza Cody: Lady Bag

Aus dem Englischen von Laudan & Szelinski

Ariadne im Argument Verlag, 320 S., 17,00 €

London. Lady Bag und Greyhound Elektra sind aufs Überleben konzentriert. Auf der Straße. Bis ihnen der Teufel begegnet, der schon die Lady ins Unglück gestürzt hat. Macht der Egoist jetzt andere Frauen kaputt? Da muss Lady Bag eingreifen. Liza Cody ist wieder da. Scharf, grotesk, bissig wie je. Jubel!

3

3

(-)

James Lee Burke: Regengötter

Aus dem Englischen von Daniel Müller

Heyne, 672 S., 16,99 €

Südwesttexas. Massaker an einer Gruppe von Asiatinnen. Der einzige Zeuge wird gehetzt: von den Mördern, dem FBI, seiner Unschlüssigkeit. Sheriff Holland, Veteran auch er, sucht Frieden. Zuvor heißt es: Aufräumen. Landschaft, Menschen – so kann das nur James Lee Burke.

4

4

(2)

Wolf Haas: Brennerova

Hoffmann&Campe, 240 S., 20,00 €

Wien/Mongolei. Brenner, 19 Jahre Kripo, jetzt privat, hat‘s mit den Frauen. Für Russin Nadeshda soll er die Schwester aus Mädchenhändlerfingern retten, seine Freundin wird derweil in der Mongolei entführt. Brenner tut sein Bestes und hat nichts davon. Kriminal-Elegie auf den letzten Mann, den Detektiv.

5

5

(1)

Orkun Ertener: Lebt

Scherz, 640 S., 19,99 €

Deutschland/Thessaloniki/Istanbul. Bei der Recherche für die Biografie einer Schauspielerin wird Ghostwriter Can Evinman in die Wahngespinste und Verbrechen des 20. Jahrhunderts verwickelt. Geschichtssattes Epos, komplexe Intrige - alles, was Kriminalliteratur kann, in einem starken Debüt.

6

6

(-)

Ian Rankin: Schlafende Hunde

Aus dem Englischen von Conny Lösch

Manhattan, 464 S., 19,99 €

Edinburgh. Ohne John Rebus, erneut im Dienst als Detective Sergeant, geht es nicht. Der Terrier kennt die Fuchsbauten – diesmal die seiner ersten Dienststelle. Melancholischer Abgesang auf die alten Zeiten, die härter, rauer und beschissener waren. Rankin läuft wieder sehr rund.

7

7

(-)

Max Annas: Die Farm

Diaphanes, 192 S., 16,95 €

Eastern Cape, Südafrika. Von 17.32 bis 2.49 Uhr am folgenden Morgen dauert der Beschuss der Farm von Franz Muller. „Ich bin ja kein Rassist.“ Ein Satz, so sinnvoll wie jeder Schuss, der in dieser Nacht abgefeuert wird. Wer war’s? Warum? Blöde Fragen. Nacktes, kaltes Noir, dieses Debüt.

8

8

(5)

Nic Pizzolatto: Galveston

Aus dem Englischen von Simone Salitter und Gunter Blank

Walde und Graf bei Metrolit, 254 S., 20,00 €

New Orleans/Galveston. In seinem Debütroman entpuppt sich der Autor der Kultserie „True Detective“ als romantische Seele. Killer Roy Cady hat Lungenkrebs und einen mordgierigen Boss am Hals. Null Chance. Ein Mörder mit Gewissen und Luftnot.

9

9

(-)

 

 

Oliver Harris: London Underground

Aus dem Englischen von Gunnar Kwisinski

Blessing, 448 S., 19,99 €

London. DC Belseys Pech: Anomalien wecken seine Neugier. Unvermittelt ist ein Raser von der Bildfläche verschwunden. Belsey forscht in verborgenen unterirdischen Bunkern, gerät in Beton gewordene Paranoia des Kalten Kriegs. Der perfekte intelligente Thriller. Harris, Oliver: gehört auf den Merkzettel.

10

10

(-)

 

Daniel Suarez: Control

Aus dem Englischen von Cornelia Holfelder-von der Tann

rororo, 496 S., 19,99 €

Detroit/Die Welt. Eine Geheimbehörde zur Kontrolle des Fortschritts hat mit gekaperter Zukunftstechnologie eine megaüberlegene Parallelwelt installiert. Gelingt es ihrem größenwahnsinnigen Chef, die ebenfalls gekaperten Erfindergenies zu domestizieren? Suarez: geradlinig und erschreckend.

 

 

 

INFO I :

 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

 

Vorgestellt wurde die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 6. November 2014 mit Tobias Gohlis gegen 9.20 Uhr sowie später in den Sendungen der Buchpilotennachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html -

in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 6. November 2014 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

 

 

Monatlich wählen neunzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

Die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste auf dem aktuellen Stand:

 

Tobias Gohlis, Kolumnist DIE ZEIT, DeKrPr*, Moderator und Jury- Sprecher der Krimiwelt

Volker Albers, Hamburger Abendblatt, DeKrPr*

Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR, DeKrPr*

Gunter Blank, Sonntagszeitung Zürich

Thekla Dannenberg, Perlentaucher

Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung

Michaela Grom, SWR

Hannes Hintermeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Lore Kleinert, Radio Bremen

Elmar Krekeler, Die Welt

Kolja Mensing, Dradio Kultur

Ulrich Noller, Deutsche Welle, WDR, DeKrPr*

Jan Christian Schmidt, www.Kaliber 38.de, DeKrPr*

Margarete v. Schwarzkopf, Freie Literaturkritikerin

Ingeborg Sperl, Der Standard - Wien

Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau, DeKrPr*

Jochen Vogt, NRZ, WAZ

Hendrik Werner, Weser-Kurier

Thomas Wörtche, Plärrer, culturmag, Dradio Kultur, Penser Pulp bei Diaphanes, DeKrPr*

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.

 

JahresBestenliste 2013

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/2343-leichendieb-der-brasilianerin-patricia-melo-von-tropen-bei-klett-cotta-auf-platz-1

 

 

INFO II :

 

Am 23. Juni teilte der Jurysprecher Tobias Gohlis mit:

 

Hannes Hintermeier (FAZ) und Elmar Krekeler (WELT) neu in der Jury der KrimiZEIT-Bestenliste

 

 

Seit Juni 2104 verstärken Hannes Hintermeier, Redakteur im Feuilleton der F.A.Z., und Elmar Krekeler, stellvertretender Feuilletonchef der WELT-Gruppe, die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste.

 

Die Jury, die monatlich die zehn besten Kriminalromane aus der Fülle der Neuerscheinungen auswählt, besteht damit aus 19 Kritikerinnen und Kritikern, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz veröffentlichen.

 

Hannes Hintermeier, Jahrgang 1961, hat Anglistik und Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert. Nach dem Staatsexamen 1988 absolvierte er die Deutsche Journalistenschule in München. 1990 bis 1996 war Hintermeier Literaturredakteur bei der AZ, dann in der Kulturredaktion der „Die Woche“ tätig. Seit 2001 ist er im Feuilleton der F.A.Z. Stellvertreter des Ressortleiters, aktuell Redakteur für „Neue Sachbücher“.

 

Seit Frühjahr 2014 betreut er mit weiteren Kollegen die FAZ-Krimi-Seite, die alle fünf Wochen versucht, „mit ausgewählten Beispielen der ganzen Bandbreite des Genres gerecht zu werden“.

 

Hannes Hintermeier über zwanzig Jahre Krimi-Erfahrung: "Am Krimi fasziniert mich die ungeheure Entwicklung, die das Genre in den letzten zwanzig Jahren weltweit gemacht hat. Der Krimi vereint einen Gegensatz, indem er gleichzeitig immer lokaler und universeller geworden ist. Ärgerlich finde ich manches buchindustrielle Kopier-Verhalten - merke: Erst wenn der letzte Serienmörder gefasst ist, werdet ihr merken, dass man

Hannibal Lecter nicht toppen kann."

 

Elmar Krekeler, geboren 1963, kam nach einem Studium der Musikwissenschaft 1989 als Redakteur ins Feuilleton der WELT, wo er sich zunächst der klassischen Musik widmete, bis er 1994 Literaturredakteur wurde. Von 2001 bis 2011 leitete er die „Literarische Welt“, wo er von 2005 bis 2010 mit verantwortlich für den Vorgänger KrimiWelt-Bestenliste war.

Seit 2012 schreibt er wöchentlich die Krimi-Kolumne „Krekeler killt“. Krekeler wurde 2004 mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet und ist derzeit stellvertretender Feuilletonchef der WELT-Gruppe.

 

Krimis umgeben ihn von Kindesbeinen an. Elmar Krekeler: „Mein Vater war ein geradezu manischer Krimi-Sammler. Wir hatten u.a. die Gesamtausgaben von Agatha Christie, Victor Gunn, Arthur W. Upfield und Edgar Wallace im Regal stehen. Meine mittlere Jugend bestand aus roten Goldmann-Krimis, die schleichend die "Fünf-Freunde"- und ???-Ära ablösten.“

 

 

Ich freue mich, dass diese beiden renommierten Literaturkritiker und Feuilletonisten die monatliche Suche der KrimiZEIT-Bestenlisten-Jury nach dem intellektuell anregenden, spannenden und literarisch reizvollen Kriminalroman unterstützen. Gute Kriminalliteratur ist für das Verständnis und die Gestaltung unserer schwer durchschaubaren Welt von existenzieller wie ästhetischer Bedeutung.

 

 

Franz Dobler im Weltexpresso

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/3711-im-gespraech-mit-franz-dobler-ueber-der-bulle-im-zug

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/3712-noch-immer-im-gespraech-mit-franz-dobler-ueber-der-bulle-im-zug