Serie: 6. literaTurm wird zum Literaturfestival Frankfurt RheinMain vom 2. bis 13. Mai 2012, Teil 4/ 10



Felicitas Schubert



Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wieder zwei Frauen und ein Mann und noch wollen wir offen lassen, ob mehr schreibende Männer oder Frauen die literarische Vorherrschaft über die Gefühle haben, zumindest so, wie sie für LAKONIE UND LEIDENSCHAFT ausgewählt wurden, die am Freitagabend den zweiten Leseabend an verschiedenen Orten haben.



Angelika Klüssendorf , geboren 1958, hatte 1985 Leipzig und die DDR verlassen und lebt heute in Berlin. Sie liest und diskutiert am Freitag, 4. Mai in der BHF-Bank um18.30 Uhr. Sie hatte mit DAS MÄDCHEN, verlegt bei Kiepenheuer & Witsch, im letzten Jahr ein starkes Buch vorgelegt, das mit Recht in die Auswahl der letzten Sechs zum Deutschen Buchpreis 2011 geriet, wobei die gesamte kurze Liste von hoher Qualität war. Was am DAS MÄDCHEN so frappiert, war die Selbstverständlichkeit, mit der die junge und pausenlos gedemütigte Heldin die Schläge pariert, die sie auch nicht als Schicksalsschläge anonymisiert, sondern konkret die Urheber, die eigene Mutter und bestimmte Sadisten aus dem DDR-Erziehungsheim benennt und bekämpft.



Aber Kampf gegen die eigene Mutter bleibt auch immer ein Kampf gegen sich selbst und Angelika Klüssendorf läßt DAS MÄDCHEN durchaus aus den eigenen Fehlern lernen, zwar nur nach und nach und immer noch zu wenig, um sich nicht die nächste blutige Nase zu holen, aber genug, um zurückschlagen zu können, im Rahmen des ihr Möglichen. Wahrscheinlich konnte man die Drastik des Erzählten nur aushalten, weil nichts Weinerliches diese Gemeinheiten begleiteten, sondern diese derart – und wieder haben wir den Festivaltitel als Beschreibung einer Methode, nicht des Inhalts – lakonisch von sich gegeben werden, fern jeder Betroffenheitsliteratur, daß wir DAS MÄDCHEN bewundern lernen, daß sie nicht längst das Weite gesucht hat, aus dieser Situation oder gar aus dem Leben.



Franziska Gerstenbergs SPIEL MIT IHR aus dem Verlag Schöffling & Co., ist ein Debütroman, um den es am Freitag, 4. Mai um 20 Uhr in der BHF-Bank geht.Sie selbst, 1979 in Dresden geboren, hat am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert und hat bisher Erzählbände veröffentlicht. Ihr Buch ist stofflich absolut aktuell, wenn es einmal von einem fünfzigjährigen Rechtsanwalt handelt, ein andermal dieser – geschieden – internetsüchtig wird, besser müßte man sagen: sexsüchtig durchs Internet wird. Soll es alles geben, deshalb haben wir das als nackte Wahrheit gelesen, wovon wir uns sonst, wenn man zufällig im Fernsehen auf eine der Kontaktwerbungen gerät, wo Frauen sich unaufhörlich an die eigenen unwahrscheinlich großen Brüste greifen, entsetzt abwenden.



Aber wir wollen dort ja auch nichts. Aber Reinhard, der Anwalt geht weiter. Er wandert per Mausklick durchs Internet auf der Suche nach einer Gespielin, die seine durch das Anschauen der Bilder in Gang gesetzten sexuellen Phantasien befriedigen könnte. Er kommt, so definiert es der Klappentext sprachlich perfekt: „in den pornographischen Kosmos des Netzes“.So definiert sich Sucht und tatsächlich findet er eine, die sich auf seine Rollenspiele einläßt. Kristine ist alleinerziehend und voller unausgelebter Wünsche. Eigentlich sind die sexuellen nicht die existentiellsten, aber nach guter Frauenart spielt sie mit und hofft, daß sich ihr Gespiele auch für sie selbst und ihre Tochter interessiert und mit ihr leben möchte. Eigentlich will sie mit ihm Familie spielen, wozu Sexspiele nicht im Widerspruch stehen. Für sie.



Unheimlich wird es, wenn quer zum Ausleben der Gefühle sich die sechsjährige Tochter handelnd selbständig macht. Eines Tages ist sie verschwunden. Das wollen wir nicht verraten, aber doch, daß dieser Anwalt Reinhard einen vielleicht durch zu viel Internetklicken erzeugten Kontrollwahn an dieser Kristine auslebt und wir erleben müssen, wie diese zwischen ihren zwei Wünschen hin und her rotierend sein Spielball wird, weil er der Herr des Geschehens ist. Denkt er. Auf jeden Fall inszeniert er die Fallen, in die er dann selber tappt.



John Burnside hat IN HELLEN SOMMERNÄCHTEN verfaßt , die im Knaus Verlag erschienen sind, und am Freitag, 4. Mai um 20 Uhr im K &L.Gates LLP im OpernTurm vorgestellt werden. Das Gespräch über sein Buch führt mit dem 1955 in Schottland geborenen Autor Gregor Dotzauer, Literaturredakteur des Tagesspiegel, der auch die Zusammenfassung des auf Englisch geführten Gesprächs auf Deutsch bringt. John Burnside ist einer der gegenwärtig in England besonders gefragten Autoren, der nicht nur Romane – wie „Die Spur des Teufels“, „Glister“ oder die autobiographischen „Lügen über meinen Vater“ - schreibt, sondern auch Lyriker ist.



Sein 379 Seiten umfassenden Roman beginnt auf der ersten Seite: „Ende Mai 20101, etwa zehn Tage nachdem man ihn zuletzt gesehen hatte, wurde Mats Sigfridsson einige Kilometer von hier aus dem Malangenfjord gezogen.“ Dann bekommen wir mit, daß in den tagehellen Sommern auch andere junge Männer ertrinken. Sehr rätselhaft und jedes mal soll Huldra ihre Hand im Spiel gehabt haben, aber diese ist ein Mythos, eine Waldfee und kann sich nicht wehren. Wir sind auf einer sehr nördlichen norwegischen Insel, nahe des Polarkreises.



Was wie ein Unglücksfall beginnt, steigert sich in eine Dramatik, wobei es zwar Tote gibt, aber man im Erzählfluß nie ganz sicher ist, ob man einem Wahn lauscht oder von einer menschlichen Wahrnehmen erfährt. Liv, das zurückhaltende Mädchen, die Icherzählerin, äußert: „Auf diese Welt habe ich nur eine flüchtigen Blick geworfen; doch wollte ich versuchen, über das zu reden, was ich gesehen habe, hielten mich die Leute in der Stadt für so verrückt Kyrre Opdahl – und vielleicht bin ich das auch.“ O je, das ahnten wir gleich. Daß wir hier entscheiden sollen, ob die Erzählerin glaubwürdig ist oder die Geschichte - oder gar der Autor unglaubwürdig. Es wirbelt einen im Nebelmeer der Sagen nur so umher, man sucht buchstäblich Boden unter den Füßen, dabei geht es doch um den Kopf. Finden Sie selbst den Schluß.

John Burnside liest ebenfalls einen Tag darauf, am 5.5. in Villa Clementine in Wiesbaden.



Der Weltexpresso wird kontinuierlich über alle Veranstaltungen berichten.

Unter www.literaturm.de sind alle Informationen zu Veranstaltungen und Teilnehmenden abrufbar.