Ein neues Standardwerk über die Kollaboration von Nazis und Muslimen, Teil 1

 

Matthias Küntzel

 

Hamburg (Weltexpresso) - Die wissenschaftliche Debatte über die historische Zusammenarbeit der Nazis mit der islamischen Welt ist eine angelsächsische Domäne, für die sich ausgerechnet in Deutschland nur wenige interessieren.

 

So wurde das 2009 erschienene Buch des Historikers Jeffrey Herf über die „Nazi Propaganda For The Arab World“ ins Französische, Italienische und Japanische übersetzt, nicht aber ins Deutsche. Das preisgekrönte Buch von Meir Litvak und Esther Webman „From Empathy to Denial. Arab Responses to the Holocaust“ (2009) liegt nur auf Englisch vor. Gleiches gilt für die Studie „Nazis, Islamists, and the Making of the Modern Middle East“ (2014) von Barry Rubin und Wolfgang G. Schwanitz. 2011 veröffentlichte die Zeitschrift „Geschichte und Gesellschaft“ ein 140-seitiges Sonderheft zum Thema „Arab Responses to Fascism and Nazism“ und 2012 publizierte die Zeitschrift „Die Welt des Islam“ ein 300-seitiges Sonderheft zum Thema „Islamofascism“ – jeweils auf Englisch.

 

Da kann es wenig wundern, dass der in Detmold aufgewachsene Historiker David Motadel, der an der Universität in Cambridge lehrt, seine 500-seitige Studie über Islam und Nazi Germany’s War ebenfalls auf Englisch schrieb.

 

Der Autor verwandte für seine Darstellung nicht nur europäische, sondern auch arabische und persischsprachige Quellen. Er hat nicht nur in deutschen, britischen und amerikanischen Archiven, sondern auch in tschechischen, russischen, lettischen und albanischen recherchiert.

 

Sein Thema ist keineswegs randständig, sondern für die Geschichtsschreibung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs hoch relevant: Schon Ende 1941 erkannten die Nazis, dass der Krieg gegen die Sowjetunion ohne die Rekrutierung „fremdvölkischer“ Legionen nicht zu gewinnen war.

 

Bei der Auswahl der in Frage kommenden „Völker“ zeigte Hitler eine überraschende Präferenz: Es sah nur in den Muslimen wirklich zuverlässige Soldaten und unterstützte deren Rekrutierung bedingungslos. Auch das Oberkommando der Wehrmacht rechtfertigte die Rekrutierung der Muslime nicht allein mit dem Männermangel in der Armee, sondern auch mit der Religion – ausgehend von der Annahme, dass der Islam die soldatischen Qualitäten erhöhe.

 

Diese Präferenz trug dazu bei, dass vier der sechs Freiwilligen-Legionen, die die Wehrmacht im Osten in Stellung brachte, muslimisch waren: eine Turkestanische Legion mit 110.000 bis 180.000 Soldaten, eine Kaukasisch-Mohammedanische Legion mit 25.000 bis 38.000 Soldaten, eine Nordkaukasische Legion mit 28.000 sowie eine Wolgatatarische Legion mit 35. 000 bis 40.000 Soldaten.

 

Drei muslimische Bataillone nahmen an der Schlacht um Stalingrad und sechs muslimische Bataillone an der Verteidigung Berlins teil. Am Ende des Krieges waren allein an der Ostfront mehrere zehntausend muslimische Soldaten für die Nazis gefallen.

 

 

Hitler zeigte große Sympathien

 

Im ersten Teil seines Buches zeichnet Motadel die Islampolitik im Kaiserreich und das ab Sommer 1941 steigende Interesse der Nazi-Führung am Islam nach.

 

Interessant sind seine Belege für die Islamverehrung führender Nazigrößen. „Hitler zeigte große Sympathien für den Islam“, berichtete zum Beispiel Hermann Neubacher, ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amts. Er sei überzeugt gewesen, dass, „die Deutschen, wären sie Muslime gewesen, in ihrer Geschichte mehr erreicht hätten.“

 

Der zweite Teil der Studie („Muslims in the War Zones“) geht auf die Islampolitik der Nazis im Nahen Osten, an der Ostfront und auf dem Balkan ein.

 

Sein Nahost-Kapitel konzentriert sich auf die Propaganda, mit der die Nazis die Araber auf ihre Seite zu ziehen suchten. Er betont „die Zentralität der Verweise auf den Islam“ in dieser Propaganda und deren antisemitischen Kern: “Die deutsche Propaganda kombinierte den Islam mit antijüdischer Agitation, und dies in einem Ausmaß, das die moderne islamische Welt bisher nicht kannte.“

 

Motadel befasst sich erstmals auch mit der Frage, wie Muslime und die Alliierten auf diese deutsche Islam-Propaganda reagierten. Die ägyptischen Muslimbrüder, so seine Bilanz, hätten diese Propaganda zwar geschätzt. Gleichwohl sei deren Erfolg hinter den Erwartungen der Nazis weit zurückgeblieben.

 

An der Ostfront sah die Lage anders aus. Hier wurde die vorrückende Wehrmacht als Befreier der Muslime von sowjetischer Herrschaft gefeiert. Also nutzten die Deutschen „die Religion als eines ihrer wichtigsten Instrumente der Kriegsführung.“ Sie restaurierten und politisierten die Moscheen und etablierten „Mohammedanische Komitees“, die sie als „zentrale Säule der deutschen Herrschaft“ nutzten.

 

Es ist interessant“, notierte Joseph Goebbels im Januar 1942 über den Nazi-Aktivismus auf der Krim, „als wie bedeutsam sich die clevere Ausnutzung der religiösen Frage hier erwies.“

 

Auf dem Balkan fanden die deutschen Stellen – anders als im Kaukasus und auf der Krim – intakte islamische Institutionen und Netzwerke vor. Hier ging die Initiative von Muslimen aus: „Die deutschen Truppen waren über die enthusiastische Begrüßung, mit der sie große Teile der muslimischen Bevölkerung empfingen, überrascht.“ Fortsetzung folgt

 

 

Info:

 

David Motadel: Islam and Nazi Germany’s War, The Belkap Press of Harvard University Press 2014. 512 Seiten, 30,00 Euro.

 

Veröffentlicht in: iz3w, Ausgabe 353, März/April 2016