Die KrimiBestenliste der FAS und von Deutschlandradio Kultur von heute: JANUAR II  

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Schau an, gleich zwei Vorarlberger, gleich zwei 1972 dort Geborene, nehmen die Plätze 5 und 6 ein. Bernhard Aigner ist aber im Gegensatz zum Neuling André Pilz schon ein auch als Krimiautor nicht nur von der Kritik gelobter, sondern von den Lesern geradezu verschlungener Autor.


Nein, natürlich verschlingen die Leser nicht den Autor. Ja, sie verschlingen seine Bücher. Die mit TOTENRAUSCH abgeschlossene Trilogie im btb Verlag war der größte kommerzielle Bucherfolg Österreichs in den letzten Jahren. Seine Heldin ist Brünhilde, die nicht nur so heißt, sondern auch Morde veranlaßt, schlimmer noch, sie selber ausführt. Sie war nicht so, aber sie hat den Mord an ihrem Mann – er wurde überfahren – als Schwangere mit eigenen Augen ansehen müssen und Rache bestimmt darob das weitere Leben, das sie mit ihren Töchtern teilt, für die sie sich auch noch erpressen lassen muß. Zu was? Zu weiteren Morden. Mehr darüber im März! Übrigens lebt Aichner in Innsbruck, Pilz in München.

Auf Platz sieben dagegen ein alter Bekannter der Vormonate. Auch bei ihm, der nun vom ersten Rang im Januar auf den siebten heruntergewertet – sicher, weil er schon so lange dabei ist - wurde und bei Steidl, einem nicht für Krimis, aber hervorragende Bücher bekannten Verlag  verlegt ist, muß man sich freuen, daß auf der KrimiBestenListe derartige Unikate Platz haben. BOGMAIL ist einer. . Denn einen solchen Roman haben Sie sicher noch nicht gelesen. Daß das Erzählen in Irland erfunden worden sei, darüber streitet sich diese Nation mit den Isländern. Wie auch immer, Sie werden staunen, wie da einer dem anderen sein Ohr abschwatzt. Aber nein, über diesen wirklich besonders erstaunlichen und raren Kriminalroman hatten wir in den vergangenen Monaten so viel geschrieben, daß jetzt Platz für Neues sein soll.

Aber auch IQ von Joe Ide ist auf Platz acht das zweite Mal dabei. Der bei Suhrkamp erschiene Roman spielt in Los Angeles und sein Held Isaiah Quintabe ist als ein guter Mensch berufen, den Streit der Menschen auf Erden zu schlichten. Es sei denn er wird herausgefordert. Dann läuft er zu einer Form auf, daß man sich ihn nicht zum Gegner wünscht.

Neu auf dem neunten Rang ist SEA DETECTIVE - EIN GRAB IN DEN WELLEN von Mark Douglas-Home aus dem Rowohlt Verlag. Der schottische Autor, der bis zu seinem Rauswurf durch das Apartheid-Regime in Südafrika lebte, ist in Schottland Journalist, was es ihm leicht macht, eine seiner drei Hauptfiguren eine freche investigative Klatschjournalistin namens Rosie Provan zu kreieren. Mal gemeinsam, mal gegen sie agierend bildet sie ein widersprüchliches Gespann  mit Detective Sergeant Helen Mamieson, die an ihrem Übergewicht leidet, und dem Sea-Detective. Diesmal – Fortsetzungen folgen sicher – geht es um zwei Fälle. Der eine hat indische Wurzeln, wo junge Mädchen in die Prostitution verkauft werden, von denen zwei als Sexsklavinnen in Schottland auftauchen und es einer zu fliehen gelingt.  Der andere Fall hat mit dem Zweiten Weltkrieg und des Sea-Detectives Großvater zu tun, der auf einem U-Bootjäger mysteriös umkam. Aber wie beides miteinander zu tun hat und welcher rote Faden sich ergibt, das ist dann die spannende Frage.

Frisch auf den 10. Platz gelangt DER VERGEWALTIGER von Les Edgerton, erschienen bei Pulp Master, von Frank Nowatzki herausgegeben. Das ist vielleicht der sonderbarste aller zehn Kriminalromane, weil ich ihn mindestens zehnmal an die Wand schleudern wollte. Hier wird mit sprachlicher Verführungskraft und unglaublicher Suggestion der Leser zum Alter Ego des Vergewaltigers gemacht. Denn es bleibt dem Leser gar nichts anderes übrig, als verschlungen zu werden von diesem Tier, das seine schreckliche Tat noch als ein Dienst am Menschen darstellt.

So fängt es an: „Ich sag Ihnen, wer in dieser Zelle lebt: Jemand Perfides – sein Name ist Heimtücke. Sein Name ist Lügner; Frevler; Wahrheitsschänder; Heuchler. Er wohnt allen Mitgliedern der Gemeinde gleichermaßen bei, erklärt reihum jedem, er sei ihm das Liebste, während er in seinem nicht enden wollenden Stelldichein mit dem Verzehr von Seelen bereits mit der nächsten Verabredung liebäugelt.

Er wird Sie einsaugen, verschlingen, das Mark Ihrer Seele essen und die Hülle ausspucken. In seinen Augen steht nur das Flackern ungeweihter Kerzen. Er ist schwarze Magie ohne Erlösung, ist frei selbst von dem geringsten Vorzug, den man noch als menschlich bezeichnen könnte, und ist wiederum nichts von alledem; er ist all das, von dem man annimmt, daß es menschlich sei, die Summer jeder Eigenschaften, die die Farbe hervorbringt, die jedwedes Licht absorbiert: Schwarz…Diese gottlose Kreatur ist niemand anderes als der Verfasser vorliegenden Erzählung, Truman Ferris Pinter – der Name, mit dem meine Eltern mich bedachten und den der Staat mit einem Zusatz versehen hat: Häftling 49028.“

Sie merken auf jeden Fall, schwätzen kann der und sich gewählt ausdrücken dazu. Und mit diesen Mitteln der unaufhörlichen Suada redet er sein Verbrechen klein, bis es sogar eine Wohltat für die Vergewaltigte wird. Er ist also im Todestrakt und versüßt sich die Zeit bis zum Tod mit einem Gewäsch, das seinesgleichen sucht. Natürlich ist das faszinierend, wie da einer mit den Mitteln von Worten die Geschehnisse umdeutet, sich reinwaschen will und uns dazu bringt, dem auch noch zuzuhören, bzw. schlimmer: aktiv mit den eigenen Augen zu lesen. Und doch und doch, am besten fühlte ich mich immer, wenn ich das Buch  wegen seiner Unerträglichkeit in die Ecke schleudern wollte – und dann brav weiterlas. Wetten, daß dieser Truman das auch getan hätte. Ein Tatmensch nämlich, dem die Worte die Tat vernebeln.

Starke Kost und nur für starke Nerven!

 

 

Die KrimiBestenliste

 

 

Rang

Vor-monat

 

1

4

Tana French: Gefrorener Schrei

Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

Scherz, 656 S., 16,99 Euro

Dublin. Steve Moran und Antoinette Conway, Ich-Erzählerin dieses Dialog-Wunderwerks, sollen rasch noch den Fall der erschlagenen Aislinn aufklären, ein Verdächtiger ist ratzfatz gefunden. Doch Conway, die skeptische Außenseiterin, traut Kollegen nicht, die vorgeben, alles im Griff zu haben.

2

-

Jerome Charyn: Winterwarnung

Aus dem Englischen von Sabine Schulz

Diaphanes, 328 S., 24 Euro

Washington, D.C., 1989. Isaac Sidel ist neuer Präsident der USA. Ohne Macht: Sein Stab sabotiert ihn, der Wahnsinnige will die Armut abschaffen. West-Kapitalisten und russische Gangster auf Mordkurs. Sidel wehrt sich mit Charisma und Gauner-Intuition. Band 12 der größten Kriminalsaga Amerikas.

3

-

Paul Mendelson: Die Straße ins Dunkel

Aus dem Englischen von Jürgen Bürger

Rowohlt, 400 S., 16,99 Euro

Kapstadt. Nichts ist vergessen, trotz Versöhnungkommission. Colonel de Vries, Spitzenkriminalist, erkennt die gefälschen Indizien im Mordfall einer liberalen Industriellentochter. Aber die Wahrheit hinter dem Offensichtlichen zu finden, verlangt das Schwerste, die Rückkehr ins Schreckliche.

4

2

Liza Cody: Miss Terry

Aus dem Englischen von Grundmann&Laudan

Ariadne im Argumentverlag, 284 S., 17 Euro

London. Als im Müllcontainer die Leiche eines farbigen Neugeborenen gefunden wird, bekommt Lehrerin Nita Tehri den weißen britischen Überlegenheitsdünkel zu spüren: Sie hat dunkle Haut und muss die Mörderin sein. Nitas Glaube an Integration durch Anpassung bröselt. Sie lernt sich zu wehren. Famos.

5

-

André Pilz: Der anatolische Panther

Haymon, 448 S., 12,95 Euro

München, Bregenz. Deutschtürke Tarik ist bekloppt vor Liebe. Erpresst vom Bullen Beer klaut der Kleindealer aus einer Islamisten-Moschee Codes und Kriegskasse. Und wird prompt als Terrorist gejagt. Mit seiner Multikulti-Freundesbande schlägt er sich tapfer. Raue Kerle, Kino aus der Vorstadt.

6

-

Bernhard Aichner: Totenrausch

btb, 480 S., 19,99 Euro

Lofoten, Hamburg. Bestatterwitwe Brünhild Blum, fünffache Mörderin, auf der Flucht. Ihre Stärke mörderische Entschlossenheit, ihre Schwäche Zutrauen. Begibt sich, gerät in die Fänge des Zuhälter Schiele, wird gebrannt, geschunden, kämpft für ihre Kinder. Morden hilft: Alles wird gut.

7

1

Patrick McGinley: Bogmail

Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser

Steidl, 344 S., 24 Euro

Glenkeel, Donegal. Von Sinn und Nutzen des Mordens handelt dieser Roman von 1978. Roarty hat seinen Barkeeper erschlagen und im Moor versenkt. Jetzt drohen anonyme Briefe mit Enthüllung. Vergnüglich: Whiskey-gestärkte Männer im englisch-irischen Gesprächskampf. Sex und Feinsinn: eine Wonne.

8

6

Joe Ide: IQ

Aus dem Englischen von Conny Lösch

Suhrkamp, 387 S., 14,95 €

Los Angeles. Isaiah Quintabe ist ein Genie und ein Guter. Als privater Detektiv schlichtet er Nachbarschaftsstreitigkeiten. Wenn er große Fälle übernimmt, wird es bizarr und wild: Rapper Black Knife sieht sein Leben bedroht - von Weibern, Agenten, Gangsta-Rappern. Herrlich schlanker Spaß.

9

-

Mark Douglas-Home: Sea Detective - Ein Grab in den Wellen

Aus dem Englischen von Stefan Lux

Rowohlt, 400 S., 9,99 Euro

Edinburgh, Nordseeküste. Der Ozeanologe „Sea-Detective“ Cal und DS Helen ermitteln gegen Menschenhändler (indische Jungfrauen für notorische Sextäter) und in eigener Sache (Familienzwist auf winziger Insel). Atmosphärisch super. Die Schotten packen’s an, ob Gischt oder Gemeinheit.

10

-

Les Edgerton: Der Vergewaltiger

Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller

Pulpmaster, 158 S., 12,80 Euro

Der Leser ist im Todestrakt mitgefangen vom soghaften Monolog des „Gentleman“ und Vergewaltigers Truman Ferris Pinter, dessen Super-Ich alles um sich herum desozialisiert, um die teufels-/ gottgleiche Einzigartigkeit seiner Lebensform zu beweisen. Gefängnislitereratur, Grundfarbe Schwarz.

 

 





INFO:
 
Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wurde sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht. Seit Januar 2017 jeden ersten Sonntag im Monat in der FAS, der Sonntagszeitung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
 

Die KrimiBestenliste  Feburar wird am 5. Februar in der FAS und im Nordwestradio veröffentlichtund  gegen 9.20 live mit Tobias Gohlis und in den Sendungen der „Buchpiloten“, nachzuhören unter
www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/bestenliste100.html
 
Monatlich wählen einundzwanzig auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
 
 
Die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste auf dem aktuellen Stand:
1
Tobias Gohlis
Hamburg
Kolumnist DIE ZEIT, DeKrPr*, Moderator und Jury- Sprecher der Krimiwelt
2
Volker Albers
Hamburg
Hamburger Abendblatt, DeKrPr*
3
Andreas Ammer
Berg
„Druckfrisch“, Dlf, BR, DeKrPr*
4
Gunter Blank
Conil
Sonntagszeitung Zürich
5
Thekla Dannenberg
Berlin
Perlentaucher
6
Fritz Göttler
München
Süddeutsche Zeitung
7
Jutta Günther  
Nordwestradio/Radio Bremen
Bremen
8
Sonja Hartl
Zeilenkino.de, Polar Noir
9
Hannes Hintermeier
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Frankfurt am Main
10
Lore Kleinert
Bremen
Freie Kritikerin
11
Elmar Krekeler
BERLIN
Die Welt
12
Kolja Mensing
Berlin
Dradio Kultur
13
Marcus Müntefering
Spiegel Online, Krimi-Welt.de
Hamburg
14
Ulrich Noller
Köln
Deutsche Welle, WDR, DeKrPr
15
Frank Rumpel
SWR 2, frankrumpel.wordpress.com
Tübingen
16
Jan Christian Schmidt
Berlin
www.Kaliber 38.de, DeKrPr*
17
Guido Schulenberg
Nordwestradio/Radio Bremen
Bremen
18
Margarete v. Schwarzkopf
Köln
Literaturkritikerin
19
Ingeborg Sperl
Wien
Der Standard
20
Sylvia Staude
Frankfurt/Main
Frankfurter Rundschau, DeKrPr*
21
Jochen Vogt
Kleinich
NRZ, WAZ

*DeKrPr = Mitglied der Jury des Deutschen KrimiPreises

 
In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden.

Das Prozedere der Platzverteilung  für die Liste ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2016 hier ebenfalls in mehreren Artikeln kommentierten.

https://www.weltexpresso.de/index.php/buecher/8720-der-beste-krimi-bitter-wash-road-von-garry-disher-aus-dem-unionsverlag

 
https://www.weltexpresso.de/index.php/buecher/8726-buchholz-und-annas-auf-platz-2-und-3-dobler-und-pflueger-auf-5-und-7

https://www.weltexpresso.de/index.php/buecher/8720-der-beste-krimi-bitter-wash-road-von-garry-disher-aus-dem-unionsverlag