Die KrimiBestenliste der FAS und von Deutschlandradio Kultur von MÄRZ , Teil 1

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) –  Doch, das muß wirklich laut gesagt werden, welche starke Position sich der Verlag Rowohlt (wieder) aufgebaut hat. Abgesehen davon, daß er für die Nachkriegsgeschichte mit den Büchern im Zeitschriftenformat Geschichte schrieb, hat er auch seine Kriminalromanreihe ROMAN ÜBER EIN VERBRECHEN von Maj Sjöwall und Per Wahlöö mit Kommissar Beck das Genre nobilitiert.


Nicht nur das, der sozialkritische Krimi, der ins Politische spielt, war nicht mehr wegzudenken. Überhaupt haben die von 1965-75 erschienenen Bände überall Nachfolger gefunden, so daß die rororo-Bändchen ins Fach LITERATUR kamen. Dann war es um eine ernsthafte Aufstellung des Verlages im Genre KRIMI länger schwach bestellt, aber in den letzten Jahren haben sich Kriminalromane aus dem Rowohlt Verlag immer häufiger auf der KrimiBestenliste behauptet, was in den letzten Monaten so auffällig ist, daß man einfach darüber sprechen sollte! Schließlich kommt das ja nicht von alleine, sondern zeugt von solider und effektiver Verlagsarbeit.


Die KrimiBestenliste März wiederholt, daß sechs Neuheiten viele Krimis schnell rausgeschossen haben, auch diesmal also sind von den zehn ausgewählten Märzkrimis nur noch vier aus dem Februar übrig geblieben. Schaut man daraufhin noch mal in die Januarliste, ergibt sich, daß nur Tana Frenchs GEFRORENER SCHREI aus dem Verlag Scherz übriggeblieben ist. Im Januar auf Platz 4, im Februar auf Platz 1 und nun auf Rang 5.

Außer Tana French haben sich vom Vormonat auch noch Jerome Charyn WINTERWARNUNG vom Verlag Diaphanes auf Platz 2 (2)erhalten, Mark Douglas-Home, SEA DETECTIVE – EIN GRAB IN DEN WELLEN  vom Rowohlt Verlag von Platz 9 im Februar auf Rang 6 im März, DIE STRASSE INS DUNKEL von Paul Mendelson, ebenfalls Rowohlt Verlag, vom 3. auf den 8. Platz im März.

Dieser rasante Wechsel kann mehrerlei bedeuten. Entweder besteht die Absicht, die ständig neu erscheinenden Kriminalromane auch schneller durch die KrimiBestenliste laufen zu lassen, oder es gibt auf einmal eine solch große Anzahl besonders guter Krimis, das die Neuplatzierungen sein müssen.

Warum wir dies deutlich kommentieren, hat mit dem Problem der Leute zu tun, die die Liste nicht erstellen, also nicht in der Jury sind, aber im Krimigeschäft auf dem Laufenden sein wollen und möglichst frühzeitig die Krimis sichten, von denen ein Erfolg zu erwarten ist. Das war schon bisher schwierig, wenn 4 neue Krimis ältere ersetzten. Wenn aber mehr als die Hälfte jeweils von Monat zu Monat ausgetauscht wird, dann kann man zum Erscheinen der Liste einfach keine Kommentierung für alle Neuerscheinungen abgeben. Einfach, weil sie noch nicht gelesen sind.

Gleichzeitig fühlen wir mit den Kriminalromanen, die im Letztmonat benannt, nun schon wieder verschwunden sind und werden sie teilweise dennoch in der Märzkommentierung berücksichtigen.

Nun also zum März. Platz 1 nimmt ein DIE LACHENDEN UNGEHEUER von Denis Johnson, erschienen bei Rowohlt. Der Sprecher der Jury Tobias Gohlis schreibt dazu: „  Der 1949 in München als Sohn eines amerikanischen Soldaten geborene Denis Johnson ist kein Schreibtisch-Phantast, er kennt die Szenerie. Die lachenden Ungeheuer ist sein erster Afrika-Roman.
Aber in seinen Reportagen In der Hölle (2006) hat er einige der finstersten Ecken des gebeutelten Kontinents bereits erforscht: Unter Kindersoldaten, bei „Schlächter Charles Taylor“ und am Hofe Idi Amins fühlte er sich „als verwirrter Mann“ und als „der Idiot, der mit Zettel und Stift durch die Gegend läuft, und es gibt nichts, nichts, nichts anderes, was ich tun kann. Die Leute glauben, diese Tränen wären Schweiß.“
Geheimdienste kennt er auch, sie spielen zentral eine Rolle in seinem (Anti-) Vietnamkriegsroman Ein gerader Rauch. Und sein Vater war Verbindungsoffizier zwischen zwei amerikanischen Geheimdiensten.
Ob die Ereignisse von 9/11 wirklich eine Zäsur bilden? Roland Nair, deliranter Geheimdienstler, Geheimdienstverräter und Ich-Erzähler der lachenden Ungeheuer denkt es. Aber was überhaupt Wirklichkeit ist in dieser Albtraumreise, in der es keinen Menschen mehr gibt, der irgendeine Moral sein eigen nennt, bleibt trotz aller Details über Netzwerke, die Nair verscherbeln will, und sorgfältig ausgemalter Details rätselhaft. Nair, sein Ex-Kumpel Akribo, eine ehemaliger Kindersoldat und jetziger US-Deserteur, und dessen Braut Davidia sind Protagonisten einer Anything-goes-Mentalität. Ihre Tränen - und es gibt viel in diesem Roman, worüber man heulen könnte - sind Folgen des Suffs oder der Enttäuschung darüber, dass ihre infantilen Sehnsüchte (Millionär werden duch den Verkauf erfundener Uran-Minen) nicht wahr werden. „Die Realität ist keine Tatsache.“
Auch die traditionelle Vorstellung, Spionageromane wären Texte, die die unaussprechbare Wahrheit über das Treiben der Geheimen Dienste durch Fiktion erkennbar machten, kann man nach der Lektüre dieses Buches getrost ad acta legen.“ Forstsetzung folgt

  

Die KrimiBestenliste März

Rang

Vor-monat

 

1

-

Denis Johnson: Die lachenden Ungeheuer

Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell

Rowohlt, 271 S., 22,95 Euro

Zentralafrika, Herz der Finsternis. Der abtrünnige Nato-Geheimdienstler Roland Nair und sein schwarzer Kumpel Akribo unterwegs zu Reichtum und Liebesglück. Mit Superbraut, geklauten Netzwerken und Uran 235. Das Große Spiel der Geheimdienste kennt keine Grenzen. Johnson macht sie auf. Irre.

2

2

Jerome Charyn: Winterwarnung

Aus dem Englischen von Sabine Schulz

Diaphanes, 328 S., 24 Euro

Washington, D.C., 1989. Isaac Sidel ist neuer Präsident der USA. Ohne Macht: Sein Stab sabotiert ihn, der Wahnsinnige will die Armut abschaffen. West-Kapitalisten und russische Gangster auf Mordkurs. Sidel wehrt sich mit Charisma und Gauner-Intuition. Band 12 der größten Kriminalsaga Amerikas.

3

-

Graeme Macrae Burnet: Sein blutiges Projekt

Aus dem Englischen von Claudia Feldmann

Europaverlag, 344 S., 17,99 Euro

Culduie, schottische Westküste 1869. Roddy Macrae, 17, hat drei Nachbarn erschlagen. Burnet hat dazu „Dokumente“ erstellt. Zeugenaussagen, Gutachten. Roddys Bericht zeugt von Qual und Ohnmacht der Pächter. Dann die Tat. Das Urteil fällen die Leser, ergriffen von der nüchternen Schönheit des Textes.

4

-

Jérôme Leroy: Der Block

Aus dem Französichen von Cornelia Wend

Edition Nautilus, 320 S., 19,90 Euro

Paris. Nacht der Abrechung im Bloc Patriotique. Die Chefin verhandelt über die Teilhabe an der Regierung. Bedingung: Weg mit Stanko, dem Schlächter der Bewegung. Die Freunde Antoine, Gatte der Chefin, und Stanko rekapitulieren, jeder für sich, ihre Untaten. Rechtsradikalismus authentique.

5

1

Tana French: Gefrorener Schrei

Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

Scherz, 656 S., 16,99 Euro

Dublin. Steve Moran und Antoinette Conway, Ich-Erzählerin dieses Dialog-Wunderwerks, sollen rasch noch den Fall der erschlagenen Aislinn aufklären, ein Verdächtiger ist ratzfatz gefunden. Doch Conway, die skeptische Außenseiterin, traut Kollegen nicht, die vorgeben, alles im Griff zu haben.

6

9

Mark Douglas-Home: Sea Detective - Ein Grab in den Wellen

Aus dem Englischen von Stefan Lux

Rowohlt, 400 S., 9,99 Euro

Edinburgh, Nordseeküste. Der Ozeanologe „Sea-Detective“ Cal und DS Helen ermitteln gegen Menschenhändler (indische Jungfrauen für notorische Sextäter) und in eigener Sache (Familienzwist auf winziger Insel). Atmosphärisch super. Die Schotten packen’s an, ob Gischt oder Gemeinheit.

7

-

Max Annas: Illegal

Rowohlt, 224 S., 19,95 Euro

Berlin. Kodjo, schwarz, illegal seit Jahren, ein Träumer, beobachtet im Fenster zum Hof einen Mord. Eh er sich versieht, wird nach dem Afrikaner gefahndet. Kodjo will den wahren Mörder stellen. Menschenjagd in Berlin, ganz aus der Perspektive eines Mannes ohne Papiere, der gut laufen kann.

8

3

Paul Mendelson: Die Straße ins Dunkel

Aus dem Englischen von Jürgen Bürger

Rowohlt, 400 S., 16,99 Euro

Kapstadt. Nichts ist vergessen, trotz Versöhnungkommission. Colonel de Vries, Spitzenkriminalist, erkennt die gefälschen Indizien im Mordfall einer liberalen Industriellentochter. Aber die Wahrheit hinter dem Offensichtlichen zu finden, verlangt das Schwerste, die Rückkehr ins Schreckliche.

9

-

Peter May: Moorbruch

Aus dem Englischen von Sylvia Morawetz

Zsolnay; 336 S., 20 Euro

Lewis, Hebriden. 17 Jahre nach seinem spurlosen Verschwinden tauchen Skelett und Flugzeug des Celtic-Rock-Stars Roddy auf. Fin Mcleod, pensionierter Polizist, zurück auf der Heimatinsel, buddelt in seinen Coming-of-Age-Erinnerungen. Was ist aus uns geworden? Schweigen der Männer vor Naturkulisse.

10

-

Frederico Axat: Mysterium

Aus dem Spanischen von Matthias Strobel

Atrium, 432 S., 22 Euro

Boston. Ein Opossum scheint das einzig Beständige in diesem Roman, der von einem Mann handelt, der sich einer Mörderorganisation anschließt, bevor er sich selbst umbringt. Mordet er? Wer mordet? Gab es überhaupt Morde? Selten wurde so temporeich auf dem Grat zwischen Wahn und Identität balanciert.

 

INFO:
 
Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wurde sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht. Seit Januar 2017 jeden ersten Sonntag im Monat in der FAS, der Sonntagszeitung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
 

Die KrimiBestenliste  Feburar wird am 5. März in der FAS und im Nordwestradio veröffentlichtund  gegen 9.20 live mit Tobias Gohlis und in den Sendungen der „Buchpiloten“, nachzuhören unter
www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/bestenliste100.html

Ein Gespräch mit Tobias Gohlis im Deutschlandradio Kultur vom 3.3.17 können Sie nachhören unter Deutschlandradiokultur/denis-johnson-die-lachenden-ungeheuer -von-voodoo-terror-und.2150.de.html?dram:article_id=380368


 
Monatlich wählen einundzwanzig auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
 
 
Die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste auf dem aktuellen Stand:

1
Tobias Gohlis
Hamburg
Kolumnist DIE ZEIT, DeKrPr*, Moderator und Jury- Sprecher der Krimiwelt

2
Volker Albers
Hamburg
Hamburger Abendblatt, DeKrPr*

3
Andreas Ammer
Berg
„Druckfrisch“, Dlf, BR, DeKrPr*

4
Gunter Blank
Conil
Sonntagszeitung Zürich

5
Thekla Dannenberg
Berlin
Perlentaucher

6
Fritz Göttler
München
Süddeutsche Zeitung

7
Jutta Günther  
Nordwestradio/Radio Bremen
Bremen

8
Sonja Hartl
Zeilenkino.de, Polar Noir

9
Hannes Hintermeier
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Frankfurt am Main

10
Lore Kleinert
Bremen
Freie Kritikerin

11
Elmar Krekeler
BERLIN
Die Welt

12
Kolja Mensing
Berlin
Dradio Kultur

13
Marcus Müntefering
Spiegel Online, Krimi-Welt.de
Hamburg

14
Ulrich Noller
Köln
Deutsche Welle, WDR, DeKrPr

15
Frank Rumpel
SWR 2, frankrumpel.wordpress.com
Tübingen

16
Jan Christian Schmidt
Berlin
www.Kaliber 38.de, DeKrPr*

17
Guido Schulenberg
Nordwestradio/Radio Bremen
Bremen

18
Margarete v. Schwarzkopf
Köln
Literaturkritikerin

19
Ingeborg Sperl
Wien
Der Standard

20
Sylvia Staude
Frankfurt/Main
Frankfurter Rundschau, DeKrPr*

21
Jochen Vogt
Kleinich
NRZ, WAZ

*DeKrPr = Mitglied der Jury des Deutschen KrimiPreises

 
In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden.

Das Prozedere der Platzverteilung  für die Liste ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2016 hier ebenfalls in mehreren Artikeln kommentierten.

https://www.weltexpresso.de/index.php/buecher/8720-der-beste-krimi-bitter-wash-road-von-garry-disher-aus-dem-unionsverlag

https://www.weltexpresso.de/index.php/buecher/8726-buchholz-und-annas-auf-platz-2-und-3-dobler-und-pflueger-auf-5-und-7

https://www.weltexpresso.de/index.php/buecher/8720-der-beste-krimi-bitter-wash-road-von-garry-disher-aus-dem-unionsverlag