20221217 133535 3Banale Geschichten, plumpe Vorurteile und gewöhnliche Ausflüchte prägen das Verhältnis unserer Landsleute zu Sinti und Roma noch anhaltend

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Antiziganismus ist in diesem unserem Land noch tief verwurzelt. Dies wieder aufs Tapet gebracht, erinnere ich mich sogleich an das für CDU-Verhältnisse erstaunliche, doch noch immer durchaus zu empfehlende Buch von Heiner Geißler: ‚Das nicht gehaltene Ver-sprechen‘ aus dem Jahr 1997, in dem er (S. 270/71) von einer tiefen Jugendfreundschaft mit einem Jungen aus dem familiären Kreis der Sinti und Roma berichtet. Beide Jungen waren fünf Jahre alt, spielten unzertrennlich miteinander. Gegen diese freundschaftliche Situation setzte Geissler aber auch die Schändlichkeit eines noch beständig ausgrenzenden, tief verwurzelten Rechtskonservatismus in seiner Union.

Der besagte Junge war 1935 eines Tags plötzlich verschwunden. Denn Kajetan war Zigeuner, wie damals als auch heute gedankenlos dahergesagt wird. 1985, als Bundesminister, ließ er nach diesem suchen und erfuhr, dass er Birkenau überlebt hatte, seine schönen Schwestern und die Eltern aber in Auschwitz umgebracht wurden. Geissler hatte einstmals getobt, bis er mit dem Jungen auf einer Schulbank sitzen durfte. Das aber sei nun nicht nach Eibl-Eibesfeldt, dem Ethnologen, gewesen. Denn: „Eibl-Eibesfeldt ist als führender Verhaltensforscher anerkannt; zugleich wird ihm von Josef Berghold vorgeworfen, seine Thesen zur Unterstützung fremdenfeindlicher Ideologien‘ instrumentalisieren zu lassen“, heißt es im zuständigen Eintrag bei wikipedia.org.

Antiziganismusbeauftragter der Bundesregierung beklagt die Ausgrenzung

Im Nachkriegsdeutschland ging die Verfolgung der Sinti-zze und Roma-nja weiter. Immer wieder wurden und werden sie. besonders in ländlichen Zonen, als erste verdächtigt, für Unrechtmäßiges verantwortlich zu sein. Ihre Verunglimpfung ist quasi guter Ton in weiten Kreisen. Der Begriff Clankriminalität betrifft auch sie zuvorderst. „In der rassistischen Hierarchisierung sind Romnja ganz unten“, so urteilt und belegt der Antiziganismus-Beauftragte Mehmet Daimagüler“.

Freitagabend, den 16.12.2022, traten ein paar historisch-kritisch Empfindende abermals vor einer am 27.01.2000 angebrachten hinweisenden Tafel des Gesundheitsamtes in Frankfurt am Main, Braubachstraße, zusammen und gedachten der Verfolgung und Vernichtung sowie der “ungebrochenen Diskriminierung und rassistischen Gewalt gegenüber Roma und Sinti nach 1945“. Die kurz und prägnant informierende Plakette konnte erst „nach über zehnjährigen Protesten, gegen Widerstände seitens der Stadtverwaltung und Teilen des Ortsbeirats“ angebracht werden. Sie benennt auch die beiden Haupttäter der Verfolgung und Vernichtung, Eva Justin und Robert Ritter in Frankfurt am Main, die in der ‚Nachkriegszeit‘ so gut wie bruchlos ihren anrüchigen und fragwürdigen Gesundheitsdienst wieder ausüben konnten. Sie waren rehabilitiert worden, wie das damals formelhaft hieß. Die auf breiter Front vor sich gehende Verdrängung machte ihre Weste wieder weiß.

Die Ankündigung zum 16. Dezember verlautete: „Überlebende Roma und deren Kinder, die Roma Union, der Förderverein Roma und weitere UnterstützerInnen brachten am 27.1.2000 nach über zehnjährigen Protesten - gegen Widerstände seitens der Stadtverwaltung und Teilen des Ortsbeirats - eine Mahn- und Gedenktafel am Stadtgesundheitsamt an, die den Opfern gedenkt, die Täter benennt, an Verfolgung und Vernichtung erinnert und die ungebrochene Diskriminierung und rassistische Gewalt gegenüber Roma und Sinti nach 1945 thematisiert“.

Offizielle Ankündigung zum Gedenktag 16.12.2022, 18 Uhr:

80. Jahrestag des Ausschwitzerlasses

Der Förderverein Roma erinnerte mit einer Gedenkveranstaltung an der Geschäftsstelle des deutschen Buchhandels, dem ehemaligen Stadtgesundheitsamt in der Braubachstraße 8-22 in Frankfurt.

Am 16.12.1942 wurde unter Leitung von Heinrich Himmler die Deportation von Roma und Sinti in die Konzentrations- und Vernichtungslager der Nazis beschlossen. Der Auschwitz-Erlass ordnete an, dass „ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad familienweise in das Konzentrationslager“ einzuweisen ist. Über eine halbe Million Roma und Sinti wurden in der NS-Zeit allein wegen ihrer Herkunft ermordet. Nach 1945 entschieden u. a. diejenigen über Entschädigungsanträge, die im Nationalsozialismus für Verfolgung und Vernichtung verantwortlich zeichneten. Bis in die 60er Jahre sind seitens des Bundesverfassungsgerichtes Zahlungen aufgrund erlittener KZ-Haft mit der Begründung verweigert worden, dass die Internierung und Verfolgung strafrechtlich legitim gewesen sei. Die Verleumdung der Entrechteten ging also weiter. Sie ist eines der gängigen Instrumente zur Abreaktion von Hass und Vorurteil gegenüber einer sog. Minderheit.

Robert Ritter und Eva Justin, zwei maßgebliche NS-Rasseforscher, verantwortlich für den Mord an über 20.000 deutschen Roma und Sinti, waren nach Kriegsende im Frankfurter Gesundheitsamt wieder als Mediziner und Psychologen tätig. Für ihre Verbrechen wurden sie nicht zur Rechenschaft gezogen.

Ende

In damaliger Zeit wurde, gemäß Auschwitz-Erlass und Hitler-Befehl gegen 500 000 Sinti und Roma im Sinne der Endlösung vorgegangen. Kinder gerieten in eine aussichtslose Lage. Die St. Josefs-Kirche Bornheim tat sie ab. Deutschlandweit waren es 24 000 Kinder. Der sog. Heimerlass, der nun 80 Jahre zurückliegt, verwies sie ins gesellschaftliche und soziale Abseits. Selbst die Caritas war an diesem würdelosen, abgründigen Geschehen beteiligt. Eine Ordensschwester wies sie weg. Wohin nun sollten sie sich retten, frug die Rednerin am Abend dieses Sechzehnten. Im Hintergrund drohte massiv die Aktion T4 der Nazis. Sie bezeichnet den systematischen Massenmord an über 70 000 Menschen, die körperliche, geistige und seelische Einschränkungen aufwiesen. Unter diese wurden die Sinti und Roma subsumiert.

Die Aktion T4


T4 agierte vornehmlich zwischen 1940 und 1941 als ausführende Zentralstelle. Den Krankenmorden fielen bis Kriegsende 200 000 Menschen zum Opfer. Die inhumane Formel vom „lebensunwerten Leben“ hatte außer „rassenhygienischen“ Vorstellungen auch kriegswirtschaftliche Erwägungen zur Voraussetzung. Trotz kirchlicher Proteste wurden Tötungen unter Leerungen ganzer Teile von Heil- und Pflegeanstalten, wie z.B. Hadamar, Weilmünster und Goddelau durchgezogen. „Goddelau“ war in familiären Kreisen, die auch einen Mediziner aufwiesen, in jenen Nachkriegszeiten eine erschreckende wie auch weiterhin bedrohlich ankommende Vokabel. Strikte Distanzierung war inzwischen zum Standard geworden. ‚Nach Goddelau kommen‘, wurde – gedankenlos – im Volksmund als Drohung kommuniziert. Insgeheim richtete sich das gegen jene, die, weil sie als irgendwie anders und neben der Kapp erschienen, nach Goddelau verfrachtet werden könnten oder gar müssten, wenn es hart auf hart käme. Das galt auch für alltägliche Fälle von Unpässlichkeit.

Gegenstand des diesjährigen Sechzehnten waren auch sowohl Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge, „die jetzt kommen“. Sie haben anfangs keine Perspektive, werden angezweifelt. Die Forderung des Abends hierzu war, dass für diese eine bundesrepublikweite Meldestelle eingerichtet werden müsste, damit sie angemessen behandelt und integriert werden können und nicht mit ahnungs- und empathielosen Bürokräften konfrontiert werden.

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© Heinz Markert