cw mu17 2Filmfest München 2017

Rita Kratzenberg und Claus Wecker

München (Weltexpresso) - Ohne TV-Serien scheint heutzutage kein Filmfestival mehr auskommen zu können. Auch die Münchner nicht. So war die Einladung an Bryan Cranston wohl seiner Rolle als Drogen produzierender Chemielehrer Walter White in der TV-Serie „Breaking Bad“ geschuldet, der er Starruhm verdankt.

Drei Folgen waren auf der Leinwand zu sehen, ebenso einige seiner markanten Spielfilm-Auftritte, etwa den als Undercover-Agent der US-Drogenvollzugsbehörde in „The Infiltrator“ oder als gefragter Drehbuchautor, der unter Kommunismus-Verdacht auf Hollywoods Schwarzer Liste landet, in „Trumbo“. Die kleine Werkschau umrahmte die Verleihung des Cinemerit Awards an ihn, einen traditionellen Höhepunkt des Filmfests.

cw mu17Die Retrospektive und das Titelbild des Programmheftes waren Sofia Coppola gewidmet, die für einen Tag eingeflogen wurde. Die Gala ihr zu Ehren war ein Zwischenstopp auf der Promotion-Tour für ihr neues Werk „Die Verführten“ (The Beguiled), ein gelungenes Remake des Don-Siegel-Films, bei dem man nicht sehnsüchtig an das Original denkt. Die Verschiebung der Perspektive zu den Schülerinnen und Lehrerinnen, die in einem abgelegenen Südstaaten-Internat heimlich einen verwundeten gegnerischen Soldaten pflegen, hat Coppolas Version sichtlich gutgetan.

Alle ihre Filme hatte man herbeigeschafft, sogar der 55-minütige Filmspaß „A Very Murray Christmas“ (vermutlich auch in ausgelassener Stimmung gedreht). Ihr Hauptwerk „Lost in Translation" profitiert nach wie vor von Bill Murray, der einen sich in fremder Umgebung verloren fühlenden Menschen gibt. Der Film liefert ein besonders gelungenes Beispiel für Coppolas Talent zu Andeutungen. Das macht ihre Filme zu beliebten Deutungsobjekten für Filmkritiker und -theoretiker,  die in ihnen immer wieder die gleiche Einsamkeitserzählung entdecken. Doch manchmal scheinen sie mehr über die Unentschlossenheit ihrer Schöpferin auszusagen. Ist beispielsweise „Marie Antoinette“ tatsächlich misslungen, weil Coppola sich nicht zwischen Rock- und Barockmusik entscheiden kann? Ja, und nicht nur deshalb. Kirsten Dunst, die im verschwurbelten „Virgin Suicides“ noch einen einprägsamen Auftritt hat, ist eine dauerlächelnde Fehlbesetzung in der Titelrolle. Auch der Hof von Versailles ist nicht gut getroffen. In ihm geht es zu wie auf einer New Yorker Kostümparty.

Traditionell ist der deutsche Film stark vertreten, der Kino- und der Fernsehfilm, wobei der Unterschied manchmal schwer auszumachen ist. Auch hier wurden Serien vorgestellt, fünf an der Zahl. Unter den Kinofilmen, die von Fernsehanstalten zumeist koproduziert worden sind, stach „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“, eine schräge, laute Komödie, heraus. Aus Cannes hatte man „Western“, den neuen Film von Valeska Grisebach übernommen, wieder eine sorgfältige Charakterstudie. Ein deutscher Bauarbeitertrupp ist in der bulgarischen Provinz eingesetzt, in einem fremden Land mit fremder Kultur also. Zwischendurch droht ein Ausgang à la »Deliverance«, doch irgendwie arrangieren sich die Deutschen immer wieder mit den Einheimischen.

Neben der mit politisch korrekten Klischees zusammengezimmerten und deshalb ärgerlichen Komödie „Lucky Loser“ gab es spannende Genrefilme zu sehen. In „Luna“ wird ein junges Mädchen von russischen Agenten und der deutschen Polizei gejagt, in „Die Vierhändige“ geht es um Doppelgänger und/oder gespaltenes Bewusstsein à la »Dr. Jekyll & Mr. Hyde«. Interessant, dass im letzten Jahr in Hof zu einem ähnlichen Thema mit entgegengesetzter Auflösung der Thriller "Freddy Eddy" lief, für den die junge Regie-Debütantin Tini Tüllmann den Heinz-Badewitz-Preis gewonnen hatte.

Auch in München werden Preisen vergeben. Der wichtigste von ihnen, der Arri/Osram Award, ging in diesem Jahr an Andrey Zvyagintsev für sein Familiendrama »Loveless« (Krotkaya), für das er bereits in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnet worden war. Zvyagintsev konnte sich zum zweiten Mal in München freuen, war er doch vor drei Jahren schon für sein Meisterwerk „Leviathan“ ausgezeichnet worden. Mit einem Preis wird an den katholischen Publizisten Fritz Gerlich erinnert, der früh gegen Hitler und die NSDAP angeschrieben hat und 1934 im KZ Dachau umgebracht worden ist. In diesem Jahr wurden zwei Filme ausgezeichnet: die Doku „City of Ghosts“ über den islamischen Staat ISIS und der Spielfilm „Layla M.“ über eine 18-jährige Holländerin, die im Nahen Osten schließlich den wahren Islamismus kennenlernt, der sich mit ihren wohlmeinend-idealistischen Vorstellungen nicht vereinbaren lässt. Es waren zwei herausragende Beispiele von Filmen, die sich mit aktuellen Themen beschäftigen. Ein Filmfest muss eben nicht nur für die aktuellen Trends in der Branche – und die werden eindeutig von den Serien geprägt – pflegen, sondern auch die leidige Politik im Auge behalten.

Fotos:
Coppola  ebenfalls © FILMFEST MÜNCHEN 2017 / Kurt Krieger
Bryan Cranston © FILMFEST MÜNCHEN 2017 / Kurt Krieger