Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. Oktober 2012, Teil 1

 

Romana Reich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die einen freuen sich schon jahrelang auf die Verfilmung des genialen Stückes Literatur vom damals dreißigjährigen Daniel Kehlmann, die anderen fürchten sie. Das muß man grundsätzlich immer, wenn man etwas Liebgewonnenes in einer anderen Form erleben kann, darf, muß.

 

 

DIE VERMESSUNG DER WELT

 

Tatsächlich kann man zu dieser Verfilmung von Detlev Buck unter starker Beteiligung des Autors zwei Meinungen haben – und hat sie auch. Dazu gleich mehr. Aber die Vorgeschichte ist auch nicht ohne. Es war im Jahr 2005, als zum ersten Mal der Deutsche Buchpreis stattfand, der in letzter Konsequenz geschaffen wurde, um einigen deutschen Titeln auf dem internationalen Markt – und das heißt angloamerikanisch – Übersetzungen zu garantieren und damit die deutsche Literatur überhaupt noch global als vorhanden zu präsentieren. Damals war Daniel Kehlmanns verschränkte Geschichte von den beiden Genies, dem Naturforscher und Tausendsassa Alexander von Humboldt und dem Mathematiker Carl Friedrich Gauß, von dem im Sprachgebrauch die Gaußsche Normalverteilung übrig blieb, unter den letzten sechs für den Buchpreis Ausgewählten.

 

Und für solche wie uns war die VERMESSUNG DER WELT eindeutiger Favorit – und wurde es mit über 6 Millionen Auflage auch international. Stattdessen 'gewann' den deutschsprachigen Preis der Österreicher Arno Geiger mit einem faden, noch dazu geschichtsklitternden Familien-/Heimatroman ES GEHT UNS GUT, von dem schon lange niemand mehr spricht und der auch kein Auflagenerfolg wurde. Diese Verhinderung des Besten bleibt eine Wunde im Fleisch dieses Buchpreises, weil dort das passierte, was derzeit Kritiker der Deutschen Filmakademie vorwerfen: Konsensfindung zu Lasten der Qualität.

 

Daniel Kehlmann - der maßgeblich am Film mitgearbeitet hat, am Drehbuch mit Detlev Buck, als Darsteller in kurzer Szene und als Erzähler im Film - war es, der sein stilistisches Mittel im Buch, die indirekte Rede, verglich mit der für diesen Film genommenen 3 D-Technik. Diese sollte also eine Distanz zum Inhalt herstellen, eine Verfremdung, vielleicht auch eine leichte Ironie. Mitnichten. 3 D wirkt hier eher wie eine Märchenwelt, stilisiert die Personen und die Geschichte und gibt dem Geschehen am Orinoko und im Kopf des Gauß das Übertriebene, das ihr tatsächlich entspricht. Gleichzeitig holt 3 D aber das Geschehen auch aus den Köpfen heraus; es wird materialisiert und das tut im braven Aberzählen der verschränkten Lebensgeschichten dann nicht gut.

 

Um was es geht? Also, da ist einmal der aus Adelskreisen und rundherum geförderte Alexander von Humboldt (Albrecht Abraham Schuch), der zusammen mit dem 'Gehülfen' Bonpland (Jerémy Kapone) nach Südamerika aufbricht, um diese ferne, fremde Welt zu dokumentieren, so wie sie ist und sie zu vermessen. Da ist zum anderen der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Gauß (Florian David Fitz), der ob seiner mathematischen Genialität von seinem Lehrer (Karl Markovicz) verhauen, dann aber auch gefördert wird. Ach was, das geschieht eigentlich gleichzeitig, weil mit dem Verhauen ein Normalbegabter auf das Genie reagiert. Beider so unterschiedliche Lebensgeschichten werden im Wechsel erzählt, einschließlich eines fiktiven Treffens als Ältere, was im Film eine Vorhut bekommt, indem nämlich die beiden beim verfressenen Herzog von Braunschweig aufeinander treffen: der eine als gesellschaftliche gleichgestellt, der andere als tumber Bauernbub mit Spezialbegabung, zu der das Rechnen nicht gehört.

 

Im Buch mochten wir uns von den Szenen mit Humboldt kaum lösen und waren jedesmal enttäuscht, wenn es mit Gauß weiterging. Im Film ging es uns umgekehrt. Zwar sind die Filmaufnahmen von der Expedition nach Südamerika, später dann auch Asien, in 3 D von einer Unmittelbarkeit, daß man das schon als Naturfilm weitersehen möchte, aber das Wesen dieses Alexander von Humboldts als preußischer Beamter mit Sinn für Ordnung und Moral läßt zwar Witze zu – der einsichtigste, als er die Sklaven freikauft, diese aber gar nicht wissen, was sie nun machen sollen, wohin sie gehen können -, aber wenig menschliche Entwicklung.

 

Das ist anders beim Misanthropen Gauß, der so einer ist, den man Grantler nennen möchte, weil er bei allem ein Haar in der Suppe findet, die ihm zudem nicht schmeckt, weil das Leben in seinem Kopf stattfindet in Form von Strukturen und Berechnungen von Erdkrümmungen etc. So wird seine Geschichte mit Johanna (Vicky Krieps) so eine, die zwischen Liebe und Wissenschaft changiert, eigentlich interessiert ihn ihr Kopf, ehe der Körper eine Rolle spielt. Das sind so Momente im Film, wo das Skurrile und die feinsinnige Ironie, was das intellektuelle Vergnügen am Buch ausmacht, sich im Film wiederfinden. Nur stirbt sie leider so schnell, seine Frau.

 

Warum man zu dieser Verfilmung eines starken Stückes voller Poesie zwei Meinungen haben kann, liegt eindeutig an den eigenen Erwartungen. Dieser Roman ist vollendet. Er ist ein Geniestreich. Der Film versucht mit vielen visuellen Reizen das Vergnügen im Kopf zu einem der Augen zu machen. Läßt man sich darauf ein, kann man herrliche Aufnahmen und eine verrückte Welt sehen. Will man aber unbedingt das Vergnügen im Kopf behalten, sollte man erneut sich Kehlmanns Buch vornehmen, das übrigens nicht redundant wird, wenn man es mehrmals liest. Alles ein Beweis für seine Einzigartigkeit. Dem Film aber sollte man nicht übelnehmen, daß er kein Geniestreich ist. Das ist saubere Handwerksarbeit und vor allem sieht man eine Reihe von hervorragenden Schauspielern in Rollen, die man ihnen nicht zugetraut hätte.

 

Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt, Rowohlt Verlag 2005