f 7tage1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. Mai 2018, Teil 11

José Padilha

Berlin (Weltexpresso) - Die Erstürmung von Entebbe ging als militärischer Erfolg in die Annalen ein. Aber die Aktion hatte auch viele unbeabsichtigte Folgen – manche davon hatten eine einschneidende historische Bedeutung. Beispielsweise gab Benjamin Netanyahu zu Protokoll, dass er nur wegen seines Bruders in den öffentlichen Dienst ging. Yoni Netanyahu, der Kommandant der Elite-Einheit, war beim Sturm auf das Flughafenterminal ums Leben gekommen. Ich glaube, der Symbolismus von Yonis heroischem Tod und die Operation haben Netanyahus politische Karriere und seine Politik maßgeblich beeinflusst. Es ist kein Zufall, dass die meisten - nicht alle - der Dokumentationen und Filme über Entebbe von einer militärischen Leistung berichten.

Mein Film 7 TAGE IN ENTEBBE erzählt zwei parallele Geschichten über die Erstürmung. Auf der einen Seite blicken wir auf die Geiseln und die Terroristen und wie sich ihre Interaktion und ihr mentaler Zustand im Verlauf der Tage entwickeln; auf der anderen Seite sehen wir bei der internen Debatte zu, die in der israelischen Regierung von der Entführung ausgelöst wurde, und auf die gegensätzlichen Positionen, die von Verteidigungsminister Shimon Peres, der grundsätzlich gegen jede Art von Verhandlungen mit der gegnerischen Seite war, und Premierminister Yitzhak Rabin, für den Verhandlungen eine echte Alternative darstellten, bezogen wurden.

Der erste Erzählstrang, die Saga der Entführer, ist interessant für mich, weil jüngste Recherchen über Entebbe dem widersprechen, wie diese Entführer bislang meist dargestellt wurden. Nehmen Sie beispielsweise das folgende Statement des britischen Gelehrten Saul David in seinem Buch „Operation Thunderbolt“: „Plötzlich taumelten die vier Terroristen, die Wache hielten, zurück durch die Tür, angeführt von Wilfried Böse, der eine Maschinenpistole in der einen und eine Handgranate in der anderen Hand hielt. Aus dem Hinterteil des Raums konnte Ilan Hartuv sehen, wie Böse seine Waffe auf schluchzende Geiseln am Boden richtete. Er war überzeugt, dass Böse das Feuer eröffnen würde. Das dachte auch Michel Bacos, der Pilot der Air France Maschine, dem Böse am Tag zuvor gesagt hatte: „Wenn Soldaten egal welcher Nation kommen, um euch zu retten, dann könnt ihr sicher sein, dass wir sie zuerst hören. Bevor sie in eure Nähe kommen können, werden wir jeden einzelnen von euch töten.“ Jetzt war Bacos sicher, dass Böse seine Drohung in die Tat umsetzen würde. Der Deutsche, aber auch die anderen Terroristen, hätte sicherlich die Gelegenheit dazu gehabt. Aber anstatt den Abzug zu drücken, deutete Böse mit dem Kopf auf den hinteren Teil des Raums und sagte den Geiseln in seiner Nähe, sie sollten sich ,zurückziehen’ und in Deckung gehen.

Dieser Bericht, der uns unabhängig von anderen Geiseln bestätigt wurde, darunter Jaques Lemoine, der Flugingenieur des Air-France-Flugs 139, sagt zwei Dinge aus: 1) Nachdem sie Zeit mit den Geiseln verbracht hatten, hat zumindest einer der Geiselnehmer angefangen, seine Handlungen kritisch zu hinterfragen. 2) Die Operation war militärisch zum Teil auch deshalb erfolgreich, weil die Entführer, beeinflusst von Böse, die Tötung der Geiseln nicht als Priorität ansahen, als ihnen bewusst wurde, dass die Israelis kamen.

Sowohl Professor Davids Buch als auch unsere eigenen Recherchen haben mich über die Entführer nachdenken lassen, über ihre unterschiedlichen Motivationen und wie es den Geiseln gelang, dass manche von ihnen in Frage stellten, was sie da machten. War es womöglich der Fall, dass der militärische Erfolg, der in Entebbe erzielt wurde, zumindest in Teilen den Geiseln zu verdanken war? Mir erschien das ein spannendes Thema zu sein, dem ich unbedingt nachgehen wollte. Die Gestaltung einiger der Figuren, speziell Böse, Brigitte, Jaber und Lemoine, sollte gezielt eine Debatte genau über diese Fragen anregen.

Der zweite Erzählstrang des Films zielt direkt auf eine der Grundfragen ab, mit denen sich die Anführer auf israelischer wie palästinensischer Seite befassen – die politischen Implikationen der Verhandlungsbereitschaft. Tatsächlich illustrieren die Ereignisse in Tel Aviv und Jerusalem, während sich die Krisensituation verschärfte, diese Fragen perfekt. Wenn man untersucht, wie sich Peres und Rabin während der Entführung verhielten, indem man entweder die Abschriften ihrer Zusammenkünfte im Kabinett liest oder mit denen spricht, die damals mit dabei waren, wie Rabins Berater Amos Eiran, wird man zu dem Schluss kommen, dass sie mit zwei unterschiedlichen Problemen konfrontiert waren. Zunächst mussten sie darüber beraten, wie man das Leben der Geiseln retten könnte. Sie mussten zudem überlegen, wie der Ausgang dieser sehr prominenten Entführung die Bereitschaft anderer Terrorgruppen beeinflussen würde, künftig gegen Israel vorzugehen. Das waren die rechtlichen Probleme. Aber dahinter lauerte noch ein Problem, das rein politischer Natur war: Angesichts der Tatsache, dass die israelische Bevölkerung zu dieser Zeit strikt gegen jede Art von Verhandlungsbereitschaft war, mussten Rabin und Peres auch immer überlegen, inwiefern Verhandlungen ihre politischen Karrieren beeinflussen würden. Wenn Shimon Peres Rabin eine durchführbare militärische Option präsentierte und Rabin sich trotzdem auf Verhandlungen einlassen würde, hätte das Peres einen politischen Vorteil gegenüber seinem Rivalen verschafft. Andersherum hätte Rabin die Nase vorn gehabt, wenn er verhandelt hätte, ohne dass Peres eine tragfähige militärische Option angeboten hätte. Es ist pikant, dass Rabin die Operation absegnete, obwohl er große Zweifel an ihrem Erfolg hatte. Vorsorglich hatte er Amos Eiran eine Rücktrittserklärung formulieren lassen.

Diese sieben Tage im Jahr 1976 werfen ein Licht auf viele Themen, die uns auch heute noch beschäftigen. Zusammen mit der Qualität von Kate Solomons Recherchen und Gregory Burkes Drehbuch war das der Hauptgrund für mich, warum ich zusagte, als Tim Bevan mir die Regie des Projekts anbot. Die Beschäftigung mit der politischen Dimension der Entführung gab mir einen Einblick in das grundlegende Phänomen – das immerhin nach wie vor dafür sorgt, dass alle Verhandlungen zwischen Israel und Palästina zum Scheitern verurteilt sind.

Warum befinden wir uns trotz Jahrzehnte langer Verhandlungen heute in einer Situation, in der die Position der Hardliner der politisch sicherste Weg für beide Seiten des Konflikts ist? Die Antwort scheint mir zu sein, dass beide Völker in einem konstanten Zustand der Angst leben – ein Zustand, der leichter von Politikern und religiösen Anführern manipuliert werden kann, die ihr Profil schärfen wollen, als von denjenigen, die ihr Volk vor dem „Feind“ beschützen können. Es ist ironisch, scheint aber zu stimmen: Für einen israelischen Soldaten ist das Einsteigen in ein Flugzeug auf dem Weg zu einer militärischen Konfrontation mit den Palästinensern der ultimative Mutbeweis. Aber für einen israelischen oder palästinensischen Politiker gibt es nichts Mutigeres als die Bereitschaft zur Verhandlung, ein Umstand, der auf traurige Weise unterstrichen wurde als Yitzhak Rabin nach einer Kundgebung, in der er sich für die Verträge von Oslo aussprach, ermordet wurde. In den Wochen vor seiner Ermordung hatten gewisse israelische Politiker massiv Stimmung gemacht gegen jede Form von Verhandlung. Das ging so weit, dass drei Rabbis aus der West Bank öffentlich die Meinung vertraten, es sei akzeptabel, Rabin zu töten. Es gibt Berichte, dass Benjamin Netanyahu selbst eine Kundgebung besuchte, in der die Menge „Tötet Rabin“ skandierte.

Das ist der Grund, warum ich mich dafür entschieden habe, eine Metapher in meinem Film unterzubringen: Schlüsselmomente des Films werden gegengeschnitten mit einem Batsheva- Tanzstück, „Echad Mi Yodea“, erschaffen von Ohad Naharin lange nach der Erstürmung von Entebbe. Ich werde die Metapher allerdings nicht erklären, denn eine erklärte Metapher verliert ihre Magie. Achten Sie bitte auf den Tanz! Die Tänzer, die ultraorthodoxe jüdische Kleidung tragen, singen ein Passahfest-Lied. Ihre Bewegungen deuten auf selbst zugeführte Schmerzen hin. Im Verlauf des Liedes beginnen sie, ihre Kleidung abzulegen. Der einzige Tänzer, der das nicht tut, fällt vom Stuhl, immer und immer wieder.

Foto:
© Verleih

Info:
Abdruck aus dem Presseheft

Besetzung

Wilfried Böse           DANIEL BRÜHL
Brigitte Kuhlmann    ROSAMUND PIKE
Shimon Peres          EDDIE MARSAN
Yitzhak Rabin          LIOR ASHKENAZI
Jacques Lemoine    DENIS MENOCHET
Zeev Hirsch             BEN SCHNETZER
Idi Amin .                 NONSO ANOZIE

Stab
Regie             JOSÉ PADILHA
Drehbuch       GREGORY BURKE