Bildschirmfoto 2018 08 18 um 21.26.43Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. August 2018, Teil 10

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Sicher wird man diesen Film anders sehen, wenn man seinen Hauptprotagonisten Thomas Brasch noch gekannt hat, seine Bücher gelesen und vielleicht die Filme gesehen hat. Und natürlich geht es um alle Familienmitglieder, die die Regisseurin Annekatrin Hendel in einer Art Familienaufstellung auf die Leinwand bannen läßt – und dann immer eine der Figuren aus dem Gemälde herausholt und dessen eigene Geschichte erzählt.

Und dennoch: was unter die Haut geht, vom tragischen Schicksal dieser Familie – einst eine Vorzeigefamilie der Deutschen Demokratischen Republik - einmal abgesehen, die Wiener Mutter, die sich in der Familie genauso eingesperrt fühlte, wie ihre Söhne in der DDR, stirbt früh, alle drei Söhne auch vor dem Alter und nur die Tochter überlebt, die nun selbst eine Tochter hat. Aber, das wußten wir ja schon vorher, daß es ohne die Frauen nicht geht, auch nicht vorwärts geht und so muß man sich nicht wundern, daß auch Thomas Brasch mit den interessantesten Frauen aufwarten kann. Doch dazu gleich. Zuerst noch etwas zu den nicht mehr zufällig zu nennenden Gleichzeitigkeiten. Die FAMILIE BRASCH leistet das, was bald auch im neuen, dem dritten Film von Florian Henckel von Donnersmarck zu bewundern ist: deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts auf dem Hintergrund einer Familiengeschichte zu schreiben, die ausgehend vom Dritten Reich die politischen Folgen im zweigeteilten Deutschland an den Familienmitgliedern deutlich werden läßt, wobei es nach 1945 jeweils in der Ostzone und späteren, aber immer noch frühen DDR anfängt, dann gehen welche in den Westen und darum kommt ab spätestens 1961 – dem Mauerbau – das von heute her auch frühe Westdeutschland in den Blick. Faszinierend.

Und faszinierend ist es auch, daß der Blick auf die DDR nicht mehr von dieser unerträglichen Besserwisserei und sich als Geschichtssieger fühlenden Oberlehrerklasse bestimmt wird, sondern endlich so differenziert auf die Leinwand kommt, wie das Leben dort eben wirklich war. Wozu auch gehört, daß die größten Kritiker an der DDR innerhalb der DDR diejenigen waren, die einen richtigen Sozialismus wollten. So viel mußte als Vorbemerkung sein, weil der Film in seinem Gehalt zwar diese Familie Brasch anteilnehmend und sehr persönlich vorstellt, aber eben diese Familiengeschichte immer auch ein Abbild deutscher Geschichte wird.

Bis auf die Nachzüglerin, die Tochter Marion, der viel Raum gegeben wird, was auch richtig ist, weil sie eben die einzige Überlebende ist und von daher über ihre Eltern und Brüder die tiefsten Erinnerungen hat, zudem dies in einem Buch niedergeschrieben hat, werden die Familienmitglieder aus den Einschätzungen damaliger Freunde, auch Feinde lebendig. Den formalen Rahmen, Name, Alter, Beruf etc. gibt die Filmemacherin vor, wenn sie das jeweilige Mitglied aus dem Bild herausholt und ‚abhandelt‘. Es beginnt mit Horst (1922-1989), dem Vater, der mit jüdischem Familienhintergrund zum Katholizismus konvertierte, früh aus dem Nazi-Deutschland nach England geht, dort beispielsweise den kommunistischen Jugendverband, die Freie Deutsche Jugend (FDJ) mitgründet, später deren Vorsitzender wird, und gleich 1946 nach Ost-Berlin geht. Er ist längst verheiratet mit Gerda (1921–1975) aus Wien, die gerne so richtig berufstätig gewesen wäre, aber mit vier Kindern ein Leben führen mußte, was gerade mal Raum für journalistische Arbeiten bot, ein Leben, das sie nicht glücklich machte, wozu ihr früher Tod mit 54 Jahren durch Krebs paßt. Auch Horst wird nur 67 Jahren alt und stirbt an Krebs. Er macht eine typische Politkarriere, muß sich auf vielen Ebenen bewähren, bis er schließlich stellvertretender Kulturminister wird. Doch kann er sich nicht halten, denn längst hat die oppositionelle Haltung seines Sohnes und dann dessen Flucht nach Westdeutschland seine Karriere beendet. Damit sind wir bei Thomas Brasch ( 1945-2001), einem jungen Mann mit genialen Zügen, der sich im Umfeld von Robert Havemann aufhielt, der mit DDR-Hausarrest überzogen, dennoch die sozialistischen Ideen junger Leute befeuerte. Sein 1971 in den Westen abgehauener Sohn Florian – unsterblich durch Wolf Biermanns Enfant Perdu

Der kleine Flori Have-
Zwei-Meter-Mann, das brave
das uralt kluge Kind
Ist abgehaun nach Westen
Mit seiner derzeit Festen
- wie die wohl rüber sind?

Er ist hinüber - enfant perdu
Ach, kluge Kinder sterben früh
Von Ost nach West - ein deutscher Fall
Laß, Robert, laß sein
Nee, schenk mir kein' ein!
Abgang ist überall

wird über seinen damaligen Freund Thomas Brasch bewundernde Worte finden. Sie wurden 1968 beide eingesperrt, als sie den Prager Frühling als richtig für einen demokratischen Sozialismus feierten. Aber Thomas wird erst – von der DDR Regierung aufgefordert - in den Westen gehen, als er 1976 gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann auf der berühmten Liste schriftlich protestiert. Anders als Biermann geht er nur mit einer Frau, das ist damals die Schauspielerin Anna Thalbach, die auch im Film zu Wort kommt. Zuvor haben wir aber schon Bettina Wegner, die auch im Westen bekannt gewordene DDR-Liedermacherin, an seiner Seite erlebt, die ihm in vielen Erinnerungen ein liebevolles Gedenken widmet und so wirkt, als habe sie es ihm auch damals nicht übelgenommen, daß er sie als Freundin gewann, dafür eine andere im Stich ließ, was auch ihr dann passierte, obwohl sie gerade schwanger war. Der gemeinsame Sohn Benjamin wäre ja eigentlich auch ein Brasch und damit ein überlebender Brasch. Aber er spielt in der Familie wie im Film wohl keine Rolle. Dafür aber sein ältester Freund Christoph Hein, der fast aseptisch in Weiß mit unglaublichem Blick in die Landschaft eine surreale Wirkung erzielt.

Thomas Brasch war dann in der Bundesrepublik einer der genialen jungen Köpfe, der kulturell vielseitig unterwegs war. Wir haben ihn vor allem als Autor wahrgenommen und erinnern uns sofort an „Vor den Vätern sterben die Söhne“, weniger an den Film, der sogar 1981 in Cannes aufgeführt wurde: Engel aus Eisen. Das wäre übrigens eine gute Idee für die deutschen Filmmuseen in München, Berlin und Frankfurt. Diesen neuen Film über die Familie Brasch zu koppeln mit der Vorführung eines der Filme von Thomas Brasch.

Er bleibt die Hauptfigur im Film und verkörpert die Tragik eines, der nie dort ankommt, wohin er eigentlich wollte. Darum ruft dieser eigentlich unsentimental erzählte Film, eine ostdeutsche Familiensaga, dennoch sehr traurige Gefühle wach. Was ist es, das in dieser Familie, die mit so viel Enthusiasmus an einer neuen Gesellschaft mitwirken wollte, solches Scheitern zu Wege brachte. Denn wenn Thomas Brasch mit 56 Jahren stirbt, hat er von den Brüdern dennoch die längste Lebenszeit. Peter stirbt mit 46 und Klaus sogar mit 29 Jahren. Das ist einem unheimlich.

Fotos:
© Verleih

Info:

FAMILIE BRASCH
ein Dokumentarfilm von Annekatrin Hendel
DE 2018, 103 Min., deutsche OF

Kinostart: 16. August 2018

Buch und Regie        Annekatrin Hendel
Kamera                     Thomas Plenert und Martin Farkas
Buch und Montage   Jörg Hauschild
Illustration                 Leif Heanz
Voice Over Roman    Marion Brasch