Ifmop ahuvasommerfeldmpressionen vom 40. Max Ophüls Festival in Saarbrücken

Kirsten Liese

Saarbrücken (Weltexpresso) - Männer und Frauen passen nicht zusammen, sagt ein altes Bonmot. Es kam einem in der Jubiläumsausgabe des 40. Saarbrücker Max Ophüls Festivals oft in den Sinn, ging es doch mehrfach um unüberwindbare Konflikte zwischen den Geschlechtern.


Im jungen deutschsprachigen Kino wimmelt es vor starken, selbstbewussten, mutigen Frauen. Das kommt in Zeiten von MeToo und feministischen Debatten gut an.

Das melancholische Mädchen in dem mit dem Max Ophüls Preis ausgezeichneten Gewinnerfilm von Susanne Heinrich steht beispielhaft dafür. In 14 Episoden, die kammerspielartig absurdes Theater bieten, tritt ihre selbstbewusste Heldin gegenüber fremden Männern, denen sie auf ihrer Suche nach einem Schlafplatz begegnet, als Überlegene auf. Schlagfertig und ohne eine Miene zu verziehen, entlarvt sie die Schwächen ihres Gegenübers. In den besten Momenten gelingen scharfzüngige Wortduelle von lakonischem Biss, aber mitunter verlieren sich die Dialoge in pseudointellektueller Belanglosigkeit.

Weniger überraschend erscheint der Preis des gesellschaftlich relevanten Films für Joy, ein Sozialdrama um die Nöte von Migrantinnen aus Nigeria. Es geht um Ausbeutung und Menschenhandel: Einen Teil des Geldes, das die Titelheldin auf dem Wiener Straßenstrich verdient, schickt sie nach Hause, einen weiteren Teil muss sie an ihre afrikanische Zuhälterin abtreten, die ihr die Reise nach Österreich finanziert hat und mit Härte über einen Ring von Prostituierten regiert.

Das Kino erzählte in den vergangenen Jahren allerdings schon mehrfach und teils noch härter von solch schlimmen Schicksalen insbesondere osteuropäischer Zwangsprostituierter.

Eine tapfere, mutige Bäuerin, die - noch dazu in der prekären Lage einer unehelichen Schwangerschaft - für ihre verbotene, inzestuöse Liebe zu ihrem Bruder kämpft, ist einem dagegen in einem Heimatfilm noch nicht untergekommen. Furchtlos widersetzt sie sich dem Vater, der sie unbedingt unter die Haube bringen und ausgerechnet mit ihrem größten Widersacher verheiraten will. Trotzig bietet sie allen die Stirn, die sie einschüchtern oder das Leben zur Hölle machen wollen. Emotional wachsen einem die liebenden Geschwister ans Herz wie die Wälsungen in Wagners Musikdrama Die Walküre. Das ist auch ein Verdienst des Regisseurs, der mit einem frei erfundenen, aber real anmutendem Dialekt seine Gschicht d’Lieb so emotional packend erzählt, wie es ein Joseph Vilsmaier nicht besser könnte.

Und dann begegnete man in Gestalt von Ahuva Sommerfeld einer markanten Persönlichkeit, die offenbar ein hohes Alter erreichen musste, um für die Leinwand entdeckt zu werden. Unweigerlich erweckt die Dame mit den leuchtenden weißen Haaren den Eindruck, sich selbst zu spielen, doch porträtiert Anatol Schuster eine fiktive Holocaust-Überlebende, die im Alter von 90 Jahren selbstbestimmt sterben will und dazu vieles ausprobiert, weil der Arzt der gesunden, vitalen Eigenbrötlerin diesen Wunsch nicht erfüllt. Ganz gleich aber, ob sich die Berlinerin auf die Bahngleise legt oder es betrunken in der Badewanne versucht- immer kommen zufällige Begegnungen oder tragikomische Ereignisse dazwischen. Und so wie sie im Gespräch mit der Enkelin oder einem Fernsehmoderator, der sie als Talkgast in seine Sendung holt, ehrlich und knochentrocken über Tabus redet, die Existenz Gottes infrage stellt und dazu steht, als alte Frau noch sexuelle Lust zu verspüren, wird Stern zur denkbar schönsten Liebeserklärung an das Leben.

Das Max Ophüls Festival zählt zu den bedeutendsten Plattformen für das Kino aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Da versteht es sich, dass es in einer Jubiläumsausgabe auf seine Geschichte zurückblickt. Einige mittlerweile prominente Schauspieler, deren Karrieren hier begannen, reisten dazu eigens an: Christiane Paul, die im Laufe von Jahrzehnten sehr oft auf diesem Festival präsent war und 1996 für ihre Rolle in Mark Schlichters Drogendrama Ex zur besten Nachwuchsdarstellerin gekürt wurde, oder auch Til Schweiger, der beste männliche Nachwuchsdarsteller von 1993.

Ebenso begann auch der Werdegang Christian Petzolds 1995 in Saarbrücken, wo er seinen Erstling Pilotinnen vorstellte, eine entdeckenswerte Rarität. Angesichts der vielen Auszeichnungen, die der Regisseur in späteren Jahren für diverse weitere packende Frauenporträts zuteil wurden, erstaunt es, dass man dieses Frühwerk kaum einmal in einem Programmkino zu sehen bekommt, auf DVD wurde es seltsamerweise auch nicht veröffentlicht. Eleonore Weisgerber, die in A Gschicht d’Lieb die für sie ungewöhnliche Rolle einer älteren Bäuerin meistert, brilliert in diesem Kammerspiel von Petzold als eine aparte, mondäne, androgyne Frau. Getragen von einem großen psychologischen Gespür für die Heldinnen erzählt Pilotinnen mit überraschenden Wendungen aufwühlend, wie die Konkurrenz unter zwei Frauen über diverse Stress-Situationen und Negativerfahrungen mit dem Chef in Solidarität umschlägt.

Welch spannende Beiträge aber bringen die Nachwuchsfilmer erst zuwege, wenn sie den Mut aufbringen, Männer Stärke an den Tag legen zu lassen und das keineswegs als klischeereiche Superhelden wie sie das Actionkino hervorbringt! Vielmehr erhalten sie über späte Einsichten die Chance, sich zu besseren, verantwortungsvolleren Vätern zu entwickeln als die sie einmal waren. Als ein leichtes Unterfangen gestaltet sich das allerdings nicht.

Der treffliche Mark Waschke schlittert in Carlos Morellis düster-rätselhaftem film noir Der Geburtstag erst einmal mit einem fremden Jungen in einer verregneten Nacht von einem Alptraum in den nächsten, um zu begreifen, was er in der Beziehung zu seinem eigenen Sohn alles falsch gemacht hat. Ihn dabei zu beobachten, wirkt umso spannender, als ihn in einem Treppenhaus plötzlich bizarre Nachbarn terrorisieren, die wie von Figuren aus Polanskis Thriller Der Mieter inspiriert wirken. Überhaupt empfahl sich dieser von der Jury seltsam unbeachtete, ganz in Schwarzweiß gedrehte Film auch mit seiner ästhetisch bezwingenden Umsetzung.

Ebenso stark berührte der abenteuerreiche Trip, auf den Rick Ostermann einen Vater und seinen sechzehnjährigen Sohn zwischen einsamen Tiroler Schluchten und wilden Bächen schickt. Nach der Beerdigung seiner tödlich verunglückten Mutter noch den schwarzen Anzug tragend, widerstrebt es dem Jungen (große Reife in jungen Jahren: Louis Hofmann), Nähe zum lange abwesenden und vermissten Vater zuzulassen. Frustriert entsorgt er erst sein Ruder, dann den Kajak. Diese Eskalation aber braucht es, damit Vater und Sohn, nunmehr aufeinander angewiesen, in unwegsamer, steiniger Gegend sich emotional annähern können. Glaubwürdig legt Lysis die nachvollziehbaren Gründe für die lange Funkstille zwischen den Protagonisten offen, an denen sich auch einmal zeigt, wie gemein und hintertrieben Frauen bisweilen ihre Macht als Mütter ausnutzen.

Mit Nevrland fand sich noch ein weiterer bemerkenswerter, wenn auch dramaturgisch etwas unausgegorener österreichischer Männerfilm im Wettbewerb. Das Problem: Georg Schmidiger reißt verschiedene Themen spannend an, lässt sie aber allzu schnell unbefriedigend versanden, mithin fehlt es der Narration an einem großen Bogen. Da geht es zunächst sehr real um anonymisierte Sexkontakte im Internet, eine Angststörung, die Bedeutung von Kunst und eine weitere gestörte Vater- und Sohn-Beziehung, aber dann driftet die Geschichte völlig unerwartet ins Unwirkliche ab. Josef Hader kommt als Vater des angstgestörten Jungen eine nahezu undankbare Rolle zu: Kaum hat er für seine Figur mit einem aufbrausenden Auftritt Interesse für sich und sein Verhältnis zu seinem Sohn geweckt, scheidet er aus der Handlung schon wieder aus. Simon Frühwirth in der Rolle des zutiefst vereinsamten Jungen hat sich dagegen seinen Schauspielnachwuchspreis mit seinem differenzierten Spiel redlich verdient.

Schade nur, dass diese Männerfiguren in Saarbrücken keine Chance erhielten, aus dem Schatten der Frauen herauszutreten. Den Regiepreis des Saarländischen Ministerpräsidenten und den Drehbuchpreis gewann mit Cronofobia ein schwer verständliches, verworrenes Drama um einen undurchschaubaren Privatdetektiv und eine traumatisierte Eigenbrötlerin.

Foto:
Ahuva Sommerfeld
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