Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. März 2013; Teil 1

 

Romana Reich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zum neuen Film von Kultregisseur Thomas Vinterberg wird erstaunlicherweise weniger über den Regisseur geschrieben, als über seinen – auch Kult - Schauspieler Mads Mikkelsen, ein wirklich so zwielichtiger wie aufrechter Bursche. Manchmal zur selben Zeit.

 

DIE JAGD

 

Vom Regisseur muß man schon deshalb sprechen, weil Thomas Vinterberg auch das Buch geschrieben hat, das einen aktuellen – wann war es das je nicht, allerdings verschwiegen und verdrängt – Fall eines Mißbrauchs an einem kleinen Mädchen – igitt und gemein - und die Konsequenzen für den Täter schildert und gleichzeitig den Zuschauer von der ersten Sekunde erleben läßt, daß diese Anschuldigungen falsch sind, ihm aber auch die psychologische Erklärung liefert, wie es dazu kommt.

 

Dem Regisseur ist aber noch viel wichtiger, was daraus wird, wenn in einer überschaubaren Gemeinde, einer an den Pranger gestellt wird und alle – bis auf eineinhalb Menschen – folgen: erst der sozialen Ausgrenzung, dann den körperlichen Tätlichkeiten gegen den Ausgegrenzten. Damit kehrt Vinterberg den Spieß um. Im Kultfilm DAS FEST war es ein jahrzehntelang geübter und verschwiegener Mißbrauch des mächtigen und erfolgreichen Vaters, der an diesem Tage zum Thema wurde, hier in DIE JAGD ist es ein nicht geschehener Mißbrauch, der geahndet wird. Schon von daher eine hochinteressante Variante.

 

Filmisch allerdings läßt Vinterberg DIE JAGD wie im Zeitlupentempo der Entstehung eines Gerüchts, das zur angeblichen Wahrheit wird in unsere Köpfe sickern. Die Dramatik und die Exaltiertheiten, die im DAS FEST die Familienfeier zum Dekouvrieren bringen und zum Schlachtfest machen, weichen hier den nicht weniger grausamen kleinteiligen Reaktionen der kleinen Gemeinde, die erst aufzeigt, wie so ein Gerücht entsteht und dann, wie zur Aussprache unfähig eine Gruppe von Menschen wird, dessen zuvor akzeptiertes und geliebtes Mitglied fehlt, bzw. wie unfähig die Gruppe zur Aufklärung der angeblichen Verfehlung wird und ihn ins soziale Nichts verstößt, wenn schon das Umbringen, an das einige denken, nicht klappt.

 

Da ist Lukas, in allen Facetten schlicht und artifiziell gleichermaßen von Mads Mikkelsen dargestellt, ein ehemaliger Lehrer, der aufgrund der Schließung der Schule sozial absteigt und Kindergärtner wird, allerdings ein sehr geliebter und angesehener Erzieher. Seine Ehe ist zerbrochen und die Mutter versucht, das Besuchsrecht des gemeinsamen Sohnes beim Vater zu beschneiden. Schlüsselszene ist – im Nachhinein – gleich zu Beginn eine wunderschöne Szene auf der Straße, in der Lukas die kleine Tochter seines besten Freundes dabei beobachtet, wie sie traumtanzt und ihren Weg sucht, ohne die Ritzen zwischen den Platten zu berühren, was sie – da sie den Kopf gesenkt hält - nicht nach Hause führt, wo die oft streitenden Eltern mit der Kleinen sowieso wenig anzufangen wissen.

 

Lukas bringt sie also mit seinem Pendantverhalten – sie solle das weitertun, er gucke dafür in die Luft – sicher nach Hause. Dafür lieben die Kinder ihn, weil er sie ernst nimmt und Auswege möglich macht. Als ihn die Kleine zum Abschied auf den Mund küßt, wird daraus das Drama. Denn Lukas erklärt ihr sachlich, man solle nur die Eltern küssen, aber die Kleine versteht dies als Ablehnung ihrer Person und erzählt später, dieser Lukas habe sie geküßt, ihr das rote Spielzeugherz geschenkt, das er von ihr nicht annehmen wollte, und ihr seinen harten Pipimacher gezeigt. Letzteres – wir verfolgen das alle mit – hat sie aus einem Gespräch ihres Bruders mit Freunden, die Pornos aus dem Internet kommentieren.

 

Die Kindergartenleiterin hört dies, spricht mit dem Mädchen, holt den Psychologen herbei und all dies läßt einen im Kinosessel erstarren, weil man sinnlich wahrnehmbar spürt, wie falsch das alles ist, wenn man angeblich Kinderinteressen zu vertreten glaubt. Das wird noch viel schlimmer, wenn in der Folge das Mädchen, die an der Lüge leidet und von Lukas doch wieder liebgehabt werden will, nun davon spricht, daß Lukas das gar nicht getan und gesagt habe, die Umwelt ihr nicht zuhören will, denn die gesellschaftliche Konstruktion ist längst zu einer Lawine geworden.

 

Und hierin liegt zum Zweiten die ungeheure Wucht des Films, der so leise daherkommt. Wie Männerfreundschaften zerbrechen, wie sie aber wieder weiterbestehen, was Waffen und gemeinsame Schieß- und Saufabende damit zu tun haben, das ist das eine. Das andere ist, wie Lukas nicht einbricht, wie er nicht bei sich die Schuld zu suchen sucht, sondern sich wehrt und aufbegehrt, wie er wie ein Westernheld in der kleinen Gemeinde seinen Freund und andere zusammenschlägt für das, was sie ihm seelisch antun. Ach, sein Hund spielt auch eine ganz wichtige Rolle. Aber das alles sind Szenen, die sie selber anschauen sollten: weil das Allergemeinste in kleinen überschaubaren Gemeinschaften passiert.

 

P.S. Die Unschuldsklärung bringt übrigens dann die zusätzliche kollektive Beschuldigung, daß nun die Jungens des ganzen Kindergarten auch vom Mißbrauch berichten, im Keller von Lukas – übereinstimmend. Der hat aber gar keinen Keller. Da kann man sehen, wie wichtig es ist, keinen Keller zu haben.

Man kann aber mit Vergnügen in diesem Film auch sehen, daß ein sanfter Erzieher hier nicht in lila Latzhosen herumläuft und ein richtiger Kerl ist, wenn es darauf ankommt, sich zu wehren. Zusammen ergibt das einen attraktiven Mann, dem Mads Mikkelsen sehr gewachsen ist.