Bildschirmfoto 2020 09 26 um 20.36.20Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. September 2020, Teil 9

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Antonia ist nur die Platzanweiserin in der Carnegie Hall. Ihr Landsmann Willem Mengelberg leitet dort 1926 die New Yorker Philharmoniker, aber heimlich dirigiert sie in der Männertoilette mit. Die Regisseurin Maria Peters konzentriert sich in ihrem Biopic „Die Dirigentin“ auf die steinigen Anfänge der in den Niederlanden geborenen  Antonia Brico.

Mit ihrer Hartnäckigkeit gewinnt sich die junge Künstlerin einen Kapellmeister als Mentor, der sie mit Klavierstunden für die Aufnahme am Konservatorium vorbereitet. Als der Mann aber mit Annäherungsversuchen zudringlich wird und sie sich dagegen wehrt, zerschlagen sich  die Hoffnungen auf das Studium.

In eine weitere Krise stürzt die Heldin, als sie das Geheimnis ihrer wahren Identität erfährt. Ihre Pflegeeltern hatten ihr einen anderen Namen gegeben und sie kurz nach der Geburt von  Rotterdam nach Kalifornien verschleppt, um sie für ihre leibliche Mutter unauffindbar zu machen. Für eine späte Spurensuche nach ihren Wurzeln reist Antonia in ihre Heimat und über Umwege weiter nach Deutschland. Dann ist es soweit und Antonia steht zum ersten Mal vor einem Orchester.

Das Publikum strömt in Scharen, um die Exotin zu bestaunen. Und unverhofft wird das Debüt mit den Berliner Philharmonikern ein Erfolg. Er zieht weitere Engagements  nach sich, zuerst in Europa, dann auch in den Vereinigten Staaten.

Bisweilen allerdings etwas überdeutlich und mit plakativen Dialogen, in denen häufiger der Satz fällt, eine Frau solle besser heiraten und Kinder bekommen, unterstreicht Regisseurin Peters, wie hart jeder dieser Auftritte erkämpft sein will. Bis Antonia 1934, immerhin ein Frauenorchester gründen kann, unterstützt von der First Lady Eleanor Roosevelt.

Fiktive Episoden um die scheiternde Liebe zu einem Konzertmanager und die Freundschaft mit einem Transsexuellen unterfüttern den Werdegang der emanzipierten Frau, die der Karriere wegen Opfer bringt, aber auf die Unterstützung anderer Außenseiter zählen kann.

Als mädchenhafte Schönheit, die Männer höherer Kreise magisch anzieht, sieht Hauptdarstellerin Christianne de Bruijn der realen Antonia Brico, einer Frau mit maskulinen Zügen, allerdings wenig ähnlich.  Zudem erscheint es unglaubwürdig, dass sie, kurz nachdem sie ihr Handwerk bei Karl Muck in Berlin erlernt hatte, schon das Zeug gehabt haben soll, ein Spitzenorchester wie die Berliner Philharmoniker zu leiten. Die Erzählung krankt an solchen verkürzten Darstellungen und Auslassungen, die ein naives Bild vom Konzertleben vermitteln. Überhaupt scheint sich Peters mehr für die starke Frau als für die Musikerin Brico zu interessieren. Über die Qualitäten, die sie als Dirigentin auszeichneten, ist jedenfalls ebenso wenig in ihrem Film zu erfahren wie über die Bedeutsamkeit der Stücke, mit denen die Regisseurin ihre Heldin am Pult in Szene setzt, darunter mehrfach Ausschnitte aus Dvoraks „Amerikanischer Suite“. Die Musik wirkt mithin wie beliebiges, illustratives Beiwerk, auch wenn der Film verdienstvoll in Erinnerung ruft, dass es solche Kämpfernaturen brauchte, damit heute Dirigentinnen wie Joana Mallwitz oder Simone Young von ihrem Beruf leben können. Einen hohen künstlerischen Anspruch verschenkt der Film mit solchen Schwächen, eine liebenswerte, engagierte Hommage an eine faszinierende Persönlichkeit ist „Die Dirigentin“ trotzdem.

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Info:
Niederlande 2018, Regie: Maria Peters, Drehbuch: Maria Peters, Kamera: Rolf Dekens, Musik:Quinten Schram, Bob Zimmerman, Schnitt: Robin de Jong, Darst.: Christanne de Bruijn, Benjamin Wainwright, Richard Sammel, Scott Turner Schofield, Annet Malherbe, u.a. Lz.: 137 Min. FSK: beantragt: ab 6 Jahren, Kinoauswertung: dtsch Fassung und OmU Fassung