hausarrestVERSO SUD 21 im Frankfurter Deutschen Filminstitut & Filmmuseum (DFF) , Teil 7

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Den Italienern gelingen einfach solche ‚kleinen‘ Beziehungsgeschichten als heiterer Film mit Schwergang. Da wir italienische Filme, anders als vor 20 Jahren, kaum in deutschen Kinos sehen, im Gegensatz zu den französischen Komödien, die Konjunktur haben, von den Hollywoodschinken, die die Leinwände überziehen ganz abgesehen, ist das einfach eine Freude, aktuelle Produktionen bei VERSO SUD auf der Leinwand zu sehen, in italienischer Fassung mit deutschen Untertiteln.

Die Eingangsszene ist propädeutisch für den ganzen Film. Da sieht man einen kleinen Jungen und eine Stimme aus dem Off erzählt, daß er schon damals so war, so negativ eingestellt und den guten Sachen im vorauseilenden Gehorsam das Schlimmste unterstellend, was am Beispiel eines Fahrrads, Sehnsuchtsobjekt jedes Jungen, verdeutlicht wird. Denn, wenn Renato (Simone Liberati) an so was Schönes wie ein Fahrrad dachte, kam sogleich die Angst über ihn, was alles passieren könne: es kann gestohlen werden, er könnte auch verunglücken, denken wir weiter, denn jeder hat Erfahrungen im Kopf, was einem mit Fahrrädern passieren kann, nur, der große Unterschied ist, daß Renato aus lauter Angst, was passieren könnte, gleich auf das Fahrrad verzichtet.

Eine so kleine Szene und doch die Analyse eines Schicksals, das so weitergegangen wäre, wäre Renato – im übrigen sehr erfolgreicher Versicherungsvertreter, der jedem alles andrehen kann, so schwätzt er ihn zu – nicht eines Tages auf dem Weg zu seinem Auto von einem jungen hübschen Mädchen nach dem Weg zum Bahnhof angesprochen worden. Das wird eine kleine feine Methode im Film werden, daß Renato, nachdem er mehrmals verneint hatte, die junge Frau mitzunehmen, in der nächsten Szene sie neben sich sitzen hat und sie – ein Riesenumweg – zu ihrem Zuhause fährt, wo er auf einen Kaffee mit ihr hoch in die Wohnung kommt. Inzwischen weiß er, daß sie Anna (Miriam Leone) heißt, Studentin ist, was nicht stimmt, die von einer Prüfung in der Uni kommt, was stimmt, die sie bestanden hat, was nicht stimmt. Da ist eine Anziehung zwischen beiden, was auch beide merken, der Zuschauer auch: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin.“ Aber kaum merkt er seine Gefühle, da ist er auch schon wieder weg. Eigentlich.

Aber er hatte mitbekommen, daß sie in der Wohnung der Mutter lebt, die nach Annas Aussage tot ist, dann aber blitzlebendig zur Tür hereinkommt. Der Polizist, der vorher geklingelt hatte, bleibt vor der Tür stehen, nickt, als er Anna sieht, läßt sich von Renato den Ausweis zeigen. Anna erzählt die Wahrheit, daß sie wegen eines Raubüberfalls zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, deren letzte zwei Jahre sie unter Hausarrest in der Wohnung ihrer Mutter verbringt. Um den Arrest abzukürzen, gibt es ein Bildungsprogramm an der Uni, durch dessen Prüfung sie gerade gefallen war.

Na, das sind doch gute Aussichten für Renato. Eine hübsche lebenskluge junge Frau, die immer zu Hause sein muß, wo er kommen kann, aber auch gehen, wie er will. Da wächst er über sich hinaus, besorgt ihr einen Heimtrainer, weil sie Sport machen will, einen neuen Fernseher, weil der alte aussieht wie aus den Fünfzigern und fühlt sich insgesamt toll, weil auch das Miteinanderschlafen einfach schön ist. Eine solche Frau, eine solche Liebe kannte er nicht. Und da sie eingesperrt ist, muß er auch nicht Angst haben, sie zu verlieren.

In die Idylle platzt Franco (Fabrizio Rongione), der französische Ex von Anna, der eigentliche Bankräuber, der vom Freigang nicht zurück ins Gefängnis ging, nun Hilfe bei Anna sucht und gleich den guten, entschieden naiven, einfach harmlos lieben Renato vereinnahmt. Was dann passiert, ist so skurril und eigen, daß man vergnügliches Lachen und irre Szenen versprechen kann.

Wichtig ist auch die Mutter von Anna (Anna Ferruzzo), Silvana. Die ist von der Situation völlig überfordert, zumal ihr Freund, ein Polizist, nicht in ihre Wohnung darf, so lange Anna Hausarrest hat. Und wichtig ist auch der Vater von Renato, bei dem der Sohn immer noch wohnt, den Sohn wie eine Mutter versorgt, aber eindeutig derjenige ist, von dem Renato seinen Kleinmut und seine Urangst hat, während die Mutter lebensfroh einfach abgehauen ist. Daß aber auf einmal Renato so ganz andere Seiten zeigt, bringt den Vater dazu, dem Sohn zu sagen: „Du bist wie Deine Mutter!“ Der Hintergrund dafür ist, die Ruckzuckentscheidung des doch eigentlich vorsichtigen jungen Mannes, der seine und des Vaters Papiere auflöst, weil er mit dem Geld die Schulden für die Wohnung tilgt, die die Mutter und Tochter auflaufen ließen und so die Zwangsräumung verhindert.

Außerdem hat er seine persönliche Karriere und kurzfristig seine Einladung zum Lehrgang für die nächste Beförderung abgesagt und bringt Anna erst einmal bei, wie man lernt, wie man einen Stoff strukturiert und wie man Dantes Göttliche Komödie interpretiert. Wir sind dann bei der Prüfung dabei, wo Anna schon wieder auf dem Weg durchzufallen, mit Mutterwitz und ihrer Erfahrung mit Renato die Liebe, von der Dante spricht, interpretiert, die Prüfung besteht, keinen Hausarrest mehr hat. Alles ist gut, doch, Hilfe, bei so viel Positivem, wo jetzt endlich alles laufen könnte, da kommen in Renato, der gerade die tollsten Situationen so gut überstanden hatte, die Ängste wieder hoch und er läuft vor Anna und dem schönen Leben mit ihr davon...aber da hat er die Rechnung ohne die Wirtin Anna gemacht.

Wie gesagt, weder ein Historienfilm, noch eine rasanter Krimi, erst recht keine aufregende filmische Biographie, aber ein grundsympathischer und sehr unterhaltsamer Film, für den Emiliano Corapi erst das Drehbuch schrieb und dann auch Regie führte. Daß wir alle selbst, insbesondere im letzten Jahr, unter Hausarrest lebten, ist eine witzige Variante, die aber auch klar macht, daß wir eben keinen echten Arrest hatten, sondern Ausgang erlaubt und möglich war.

P.S. Die Geschichte ist einfach gut, aber sie wäre nichts ohne das hervorragende Zusammenspiel des so ungleichen Liebespaares, wo – wie es so ist – der männliche Part mehr als unbeholfen durch die Liebe stapft, was aber die überlegene Anna in die richtige Bahn lenkt.

Foto:
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Info:
L‘Amore a Domicilio, Liebe unter Hausarrest
REGIE und DREHBUCH  Emiliano Corapi

BESETZUNG
Miriam Leone
Simone Liberati
Fabrizio Rongione

Italien 2020
O-TON Italienisch
LÄNGE1 Std. 29 Min.

Im Festival am 20., 27. und 28. November aufgeführt.

ACHTUNG! Da manche Vorstellungen von VERSO SUD ausverkauft waren, gibt es Zusatzvorstellungen :
Mittwoch, 1. Dezember, 18:00 Uhr. ROMA Fellinis Roma.  +.  Auf alles, was uns glücklich macht, 20.30 Ihr
Donnerstag, 2. Dezember. 18.00 DIE RAUBTIERE
Freitag, 3. Dezember, 20 Uhr LA DOLCE VITA