romafelliniVERSO SUD 21 im Frankfurter Deutschen Filminstitut & Filmmuseum (DFF), Teil 12

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Handlung von LA STRADA mit der wirklich ans Herz gehenden Giulietta Masina als naive, früher hätte man gesagt leicht schwachsinnige junge Frau, heute würde formuliert: mit niedrigem IQ, Gelsomina, ist schnell erzählt. Sie wird von besagtem Zampanò - der als Alleinunternehmer (heutiger Sprachgebrauch) herumzieht und sich von jeweiligen aufgefundenen Impressarios verpflichten läßt, meist aber nicht mit der Truppe weiterziehen darf, weil er so gewalttätig ist, also wieder alleine. auf sich selbst gestellt, unterwegs ist, auch alleine in Dörfern seine Kraftnummern zeigt - ihrer Familie abgekauft, nachdem schon die Schwester in seinen Diensten verstarb. Sie bringt in sein Leben Licht, was er aber nicht rechtzeitig wahrnimmt und sie ununterbrochen demütigt, bis zum Tod.

Den Schmutz der Straße, denn auf dieser leben beide buchstäblich, und die Erniedrigungen im Alltag heute anzusehen, ist schon hart. Wie muß es erst gewesen sein, so leben zu müssen. Aber dies bleibt auf der Leinwand heute historisch, was nicht wundern muß, denn auch damals hatte Fellini eine vergangene Zeit im Blick, die er mit seinem Film dokumentieren wollte. Vergangen sind allerdings nur die äußeren Umstände. In der Beziehungsfrage, also die abhängige Unterlegenheit einer zarten schwachen Frau von einem starken brutalen Kerl, und auch in der Armut der Beteiligten gelten solche Verhältnisse vielerorts noch heute.

Die interessanteste Rolle hat der Seiltänzer ‚Il Matto‘ (Richard Basehart, ebenfalls ein US- amerikanischer Schauspieler), der sich liebevoll um Gelsomina kümmert, die ihn verehrt, vielleicht liebt, sich aber nicht traut, den großen Zampano zu verlassen, dessen Abhängigkeit von seinen Emotionen sie kennt und der Il Matto eines Tages aus Eifersucht zusammenschlägt, was unglücklich mit dessen Tod endet, denn dieser Kraftmensch Zampanò besteht nur aus Aggression und hat selber nicht genug Verstand, die Massivität und Gefährlichkeit seiner Schläge richtig einzuschätzen. Dieser Seiltänzer spielt nicht nur den Gegenpart als guter Mensch und guter Mann, sondern auch als einer, der die Welt und die menschlichen Handlungsweisen durchschaut und weiß, daß Gelsomina keine Chance hat, moralisch keine Chance hat, sich vom großen Zampano zu lösen,für den sie sich verantwortlich fühlt, gerade weil er für sich selbst nicht verantwortlich handeln kann.

Die Aussage zur kulturgeschichtlichen Relevanz von LA STRADA gilt auch für Fellinis ROMA von 1972. Das ist kein herkömmlicher Film mit einer stringenten Handlung, auch kein Sittengemälde der Vor- und Nachkriegszeit (ein bißchen schon), sondern eine Momentaufnahme aus der Stadt, die auf den Mauern des antiken Roms aufgebaut, noch heute von ihrer Geschichte und ihren Geschichten lebt und durchwabert ist. Dürers Apokalyptische Reiter fehlen noch, aber sonst wird alles an echten archäologischen Schätzen aus dem Untergrund Roms und den römischen überkommenden Monumenten geboten, einschließlich Grusel und fiese Kabinettsstückchen: ROMA ein musikalischer, auch farblicher Rausch, nachdem man schon von den Bildern berauscht ist. Den roten Faden im Film spinnt der Regisseur selber, der erzählt, wie das damals war, als er aus Rimini als junger Bursche nach Rom kam, man fährt mit ihm auch U-Bahn und in die Vergangenheit und klappert mit ihm Teile der Stadt ab, wobei immer wieder die heute verschwundenen „Verlustbarkeiten“, also die Stätten öffentlicher Auftritte und anschließender Besäufnisse wie in einer Trauerverarbeitung als besonders bunt auffallen: wo Menschen noch vergnügt einfach beisammensaßen, sich vom fahrenden Volk unterhalten ließen und sich verlustierten.

Dies heute anzuschauen, ist im Coronazustand unseres Lebens irgendwie absurd. Deshalb fallen die Veränderungen des öffentlichen Lebens in unseren europäischen Gesellschaften, hier speziell der italienischen, von damals ( also im Faschismus und Nachfaschismus) gegenüber heute auch viel stärker auf, wenn man zudem mit Maske im Kinosaal dem Treiben zuschaut. Wovon Fellini eben auch spricht ist die Vielfältigkeit der Menschen, ihrer Lebensumstände, ihrer Ideale, wem sie folgen, was es an Irrsinn gibt, aber an Gutsein auch. Daß unsere Welt mit zunehmender Zivilisierung sehr viel eindimensionaler wird, das zeigen Fellinifilme auch. Dieser propädeutische, kultursichernde Zug seiner Filme ist mir noch niemals so wie bei dieser Hommage anläßlich von VERSO SUD 21 aufgefallen: daß nämlich Federico Fellini ein filmischer Kulturhistoriker ist! Und zwar ein ganz bedeutender.

Foto:
ROMA

Info:
BAR IN DEN FOLIES BERGÈRE VON EDOUARD MANET
©

Info:
LA STRADA
Regie: Federico Fellini
Drehbuch: Federico Fellini, Tulio Pinelli, Ennio Flaiano
Darsteller: Giulietta Masina, Anthony Quinn, Richard Basehart

Besuch der Vorstellung am 29. November, weitere Vorstellung im Rahmen derFellini-Retrospektive des DFF am 25. Dezember!

ROMA
Regie: Federico Fellini
Drehbuch: Federico Fellini, Bernadino Zapponi
Darsteller: hauptsächlichBewohner Roms
128 Minuten, 1972

Besuch der Vorstellung am 1. Dezember, weitere Vorstellung im Rahmen derFellini-Retrospektive des DFF am 30. Dezember!