Die Wettbewerbsfilme der 64. Berlinale vom 6. bis 16. Februar 2014, Film 1

 

Claudia Schulmerich



Berlin (Weltexpresso) – Wer das denn sei, Stefan Zweig, fragte ein Kollege aus dem englischsprachigen Raum auf der Pressekonferenz zum Eröffnungsfilm, dem immerhin aufgefallen war, daß Regisseur Wes Anderson im Abspann sich auf Stefan Zweig bezog. Damit meinte er, wie er dann ausführte, kein bestimmtes Buch, sondern die Atmosphäre und wohl auch das Lebensgefühl, wie er es vor allem aus Zweigs Autobiographie DIE WELT VON GESTERN herausfühlte.

 



Wes Anderson erklärte dem Frager auch, daß Zweig in der englischsprachigen Welt fast unbekannt, aber in Europa, hier - außer den deutschsprachigen Ländern vor allem in Frankreich und Italien - sehr bekannt sei. Und dennoch nicht bekannt genug, was eben auch daran liegt, daß Stefan Zweig sich vor den Nationalsozialisten erst nach London, dann nach Brasilien flüchtete, wo er 1942 zusammen mit seiner Frau Selbstmord verübte. Wir schreiben das so dezidiert, weil es wieder einmal darum geht, wie sehr das nationalsozialistische Deutschland die deutsche Kultur geschädigt hat, weshalb einem das Herz aufgeht, wenn der 44 jährige Wes Anderson aus Texas von dem Österreicher und Kosmopoliten so begeistert spricht.



Und dennoch, wir wollten bei der Pressekonferenz nicht stören, ist uns so, als ob sein Film THE GRAND BUDAPEST HOTEL, mit dem die Berlinale eröffnet wurde und der rundherum nostalgisch schön ist, mit einem anderen Österreicher zu verbinden wäre, nämlich mit Joseph Roth. Dieser hat, wie es Andersons Film ebenfalls tut, von einem k.u.k. Osteuropa erzählt, in dem die Leidenschaft für das Schöne und Gute genauso ausgeprägt war, wie die kriminellen Energien, wenn sie nötig schienen. Und es war oft nötig. Das sind dann die Soldaten, die die anderen umbringen, aber vorher noch miteinander einen saufen gehen und sich prächtig verstehen. Das sind die Männer, die für die Freunde durch dick und dünn gehen, um einer Frau willen dann aber zu Hyänen werden. Immer aber sind die Gefühle echt und tief ritterlich und darum geht es.



Die Ambivalenz des Menschen tritt vielleicht nirgends so in Erscheinung, wie in den menschelnden Erzählungen vom Stettl und vom Militär. Und damit sind wir mitten in THE GRAND BUDAPEST HOTEL. Es heißt im Programmheft: Das Hotelfoyer als Theater der Welt. Heimlicher Regisseur wunderbarer Auf- und Abtritte ist der legendäre Concierge Monsieur Gustave (beeindruckend und verführerisch: Ralph Fiennes). Er kennt die Vorlieben und geheimen Wünsche seiner weit gereisten exzentrischen Gäste. Einige Damen wissen es ihm zu danken. So die schrullige Madame D., die immerhin 85 Jahre zählt (ein unglaubliches Porträt durch Tilda Swinton), die ihm ein wertvolles Renaissancegemälde vermacht.



Doch ihr missgünstiger Sohn Dimitri (so richtig schön schmierig und arrogant Adrien Brody) beschuldigt Gustave des Mordes an seiner Mutter und der Erbschleicherei. Gustave landet im Gefängnis. Dank seiner Menschenkenntnis, des glatzköpfigen Mitinsassen Ludwig und grellfarbiger Patisserie vermag er sich zu befreien. „Im Zuge weiterer turbulenter Ereignisse wird der Page Zero Moustafa sein Vertrauter.“, heißt es. Mit diesem, dargestellt mit jugendlichem Eifer und tiefer Hingabe von Tony Revolori, aber beginnt der Film, der sich gleichzeitig wie eine Schachtel aus der Schachtel aus der Schachtel entwickelt. Denn in diesem THE GRAND BUDAPEST HOTEL hält sich der junge Schriftsteller auf, der sich mit den Erzählungen des ehemaligen Lobby Boys Zero, der vom Concierge Gustave, der – nachdem noch ein zweites Testament der verstorbenen Gräfin aufgetaucht war, daß im Falle ihrer Ermordung Gustave Alleinerbe ist - das Hotel geerbt hatte und nun ein alter Mann ist, so inspirieren läßt, daß er daraus ein Buch macht mit dem Titel THE GRAND BUDAPEST HOTEL. Ein erfolgreiches Buch, weshalb der Film auch mit einem weiblichen Fan beginnt, der des nun auch schon verstorbenen Schriftstellers auf dem Friedhof gedenkt.

Gemeinsam gehen Gustave und Zero auf die Suche nach dem verschwundenen Gemälde, geraten in einen gefährlichen Streit um ein Familienvermögen und in die Wirren einer sich plötzlich dramatisch verändernden Gesellschaft der Zwischenkriegszeit. Allein wie die Putschversuche und sich ändernden Verhältnisse durch das jeweilige Militär dargestellt werden, ist eine Feinheit für sich. Was den Film aber über eine romantische Personalie hinaushebt, ist der doppelte Boden, der jederzeit zu erkennen ist. Genauso begeistert einen das Stilgefühl, das einem Concierge wie Gustave in Fleisch und Blut übergegangen ist, wobei zum Wichtigsten gehört, die Gefühle der anderen nicht zu verletzen, sondern Menschen glücklich zu machen.



Die Handlung ist viel komplexer, aber immer kann man sie spielerisch nachvollziehen, wozu eine Reihe von hochkarätigen internationalen Filmstars beitragen. Wir erinnern uns an keinen Film, in dem so viele wirklich prominente Schauspieler mitspielten, bis in die Nebenrollen hinein. Allein die, die zur Pressekonferenz der Weltpremiere nach Berlin gekommen waren, sprengen durch Aufschreiben der Namen so einen Artikel. Willem Defoe aber muß man einfach erwähnen, weil er, der meist die Sensibelchen spielt, hier als Oberschuft Jopling mit vier Schlagringen an jeder Hand und einem grauslichen Gebiß den Teufel in Gangstergestalt mimt.



Entscheidend scheint uns die Frage des Schriftstellers – als junger Jude Law, als alter Tom Wilkinson – an den Hotelbesitzer Mr. Moustafa (F. Murray Abraham), ob ihm dieser seine Geschichte und die des Concierges Gustave erzählt habe, weil er damit diese alte Welt beschreiben wolle. Nein, sagt dieser, denn das, was Gustave auszeichnete, war, daß eigentlich diese Welt, in der er sich eingerichtet hatte, schon damals längst vorbei war. Es handelt sich bei dem Film also nicht um eine phantasievolle Beschreibung einer vergangenen Welt im osteuropäischen Teil der k.u.k. Monarchie und später der Dreißiger Jahre in kleinen autonomen Staaten, sondern um das Weiterleben von ansonsten Abgestorbenen, um anachronistische Verhaltensweisen und philosophische Fragestellungen, ohne die auch unsere Welt kalt und leer bliebe.



Das Zusammenspiel all der Stars klappt einfach, was diese wiederum auf die besonderen Dreharbeiten zurückführten. Wieso Wes Anderson diese tolle Besetzung zusammenbekam, erklärte Bill Murray so: „Uns wurden viele Arbeitsstunden und wenig Lohn versprochen. Und kaum Brot. Sie müssen beim Drehen mehr Trinkgeld geben, als Sie Lohn bekommen.“ Und Tilda Swinton, die im letzten Jahr Berlinale Jury-Präsidentin war und während der Pressekonferenz sehr aparte Kommentare abgab, lieferte dazu noch eine tiefe Liebeserklärung an die Berlinale und Berlin als einem „wertvollen Ort.“.


Auch Wes Anderson ist hier kein Unbekannter. Er ist „Spezialist für hintersinnige Tragikomödien mit exzentrischem Personal“ und war bereits mit Die Royal Tenenbaums (2002) und Die Tiefseetaucher (2005) im Wettbewerb der Berlinale vertreten.



Ein grandioser Beginn der Berlinale 2014 mit dem alten Europa.



Film

Großbritannien / Deutschland 2014, 100 Min

Englisch

REGIE

Wes Anderson

DARSTELLER

Ralph Fiennes
Tony Revolori
F. Murray Abraham
Mathieu Amalric
Adrien Brody

Willem Defoe

Tilda Swinton

Jude Law

Lea Seydoux