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Serie: 73. Internationale Filmfestspiele Berlin vom 16.– 26.02.23, BERLINALE, Wettbewerb 6

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Im Nachhinein weiß ich gar nicht, ob ich einen realistischen Film gesehen habe, oder einen Fiebertraum oder auch einen Alptraum. Aber das ist nicht einmal so wichtig, denn Aleksei, der junge Mann aus Belarus wird weite Wege gegangen sein, Stock und Stein überwunden haben, auch sein Gewehr benutzt haben, nicht weiter wissen, wieder am Anfang sein, aber Tanzen, Tanzen, Tanzen als Selbstreinigung, als Ritual und als Rausch erleben und neu sein.

Da gibt es zwei Freunde, zwei Belarussen, die nutzen ein Fußballspiel in Polen, zu dem die Belarussen einreisen können, um von dort aus nach Frankreich zu gelangen, wo die Schwester des Freundes (Michał Balicki) verheiratet ist Zwar gilt nicht: ÜBER SIEBEN BRÜCKEN MUSST DU GEHEN, sondern sie müssen stattdessen viele Gewässer und Wälder durchstreifen, und auf einmal ist Aleksei (Franz Rogowski ) alleine. Er ruft, in Paris angekommen, die Schwester des Freundes zwar in Marseilles an, aber legt auf, als die dessen Namen "Mikhail?Mikhail?"nennt. Was tun?

Eine der Möglichkeiten für Männer, sich ‚geordnet‘ zu einem Franzosen zu verwandeln, ist der Dienst in der Fremdenlegion, für die man sich bewerben kann, aber ein strenges Auswahlverfahren durchläuft, denn es ist eine Ehre, wird ihnen versichert, für das französische Vaterland zu kämpfen, was man mindestens fünf Jahre machen muß, um anschließend Franzose werden zu können, wobei nicht nach der bisherigen Herkunft gefragt wird. Genau das, was Aleksei sucht. Die Ausbildung ist streng und über den Einsatz von Aleksei erfahren wir nur hin und wieder, denn der Film ist nicht chronologisch erzählt, sondern schildert assoziativ Gemütszustände von Aleksei, Erlebnisse, Erfahrungen, aber auch Träume und Phantasien.

Doch dann ist der Einsatz im Nigerdelta, wo der Guerillakämpfer.und Anführer Jomo (Morr Ndiaye) von ihm getötet wird. Das ist zwar sein Auftrag, aber Aleksei wacht auf, so etwas will er nicht. Schon zuvor war er auf Udoka (Laëtitia Ky ) getroffen, deren Bewegungen, deren Tanzen derart ansteckend ist, daß er sich wie von selbst im Rhythmus bewegt, der in dieser Disco durch Elektromusik (Vivalic) bestimmt wird. Es ist ein Klang-, Farb- und Lichterrausch, an dem der Zuschauer teilhat, der die Tänzer und Tänzerinnen auf der Leinwand in unterschiedlichen Zuständen erlebt. Die einen können nicht mehr aufhören, andere erstarren in der Bewegung, Transzendenz ist das Ziel, oder auch nur das Ergebnis. Für Aleksei ist es eine Befreiung, ein Ende und ein Neuanfang. Denn er verbrennt in seinem Spind nicht nur seine Uniform, sondern auch seine Legionärsbescheinigung, was zum Großbrand wird, für ihn aber bedeutet, daß er von vorne anfangen muß, sich und anderen zu erzählen, wer er ist und was er will. Er ist wieder am Anfang, aber ein anderer geworden.

Der 40jährige Giacomo Abbruzzese, Drehbuch und Regie, der als Italiener seit 20 Jahren in Frankreich lebt und arbeitet, verwies darauf, daß auch er Emigrantenprobleme kenne, allerdings auf gehobenem Niveau. Er hat diesen Film seit 10 Jahren im Sinn gehabt, seit 8 Jahren vorbereitet, jahrelang Schwierigkeiten mit der Finanzierung und mit Produzenten gehabt, genauso lange immer wieder Franz Rogowski als seinen Wunsch-Aleksei zu überzeugen versucht, bis auf einmal alles gleichzeitig ins Laufen kam und der Film nun hier seine Weltpremiere feierte.

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Info:

Stab
Regie Giacomo Abbruzzese
Buch Giacomo Abbruzzese
Kamera Hélène Louvart

Darsteller
Franz Rogowski (Aleksei)
Morr Ndiaye (Jomo)
Laëtitia Ky (Udoka)
Leon Lučev (Paul)
Matteo Olivetti (Francesco)
Robert Więckiewicz (Gavril)
Michał Balicki (Mikhail)