mal vivera

Serie: 73. Internationale Filmfestspiele Berlin vom 16.– 26.02.23, BERLINALE, Wettbewerb 13

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Ja, wie man leben sollt, ich krieg’s nicht raus, in meinem Leben nicht…, sang vor Jahrzehnten Wolf Biermann und spricht die Grundfrage von Leben an, eben auch, ob wir nur Gefüge von anderen sind, oder es uns möglich machen, ein eigenes Leben zu führen.


Wenn man nicht nur das eigene Leben, sondern ein Hotel zu führen hat, potenzieren sich die Probleme, wie es der weiblichen Fünferriege geht, die einen großen Hotelkomplex mit einem weiten geschwungenen Schwimmbad im Stil der 50er Jahre betreiben. Mit dem Blick über das Bad beginnt es und wir lernen schnell, daß es langsame Einstellungen gibt, denn unser Blick hat Zeit, auch die Ränder zu erforschen, was über das Bad hinausgeht, obwohl die Augen immer wieder vom sich bewegenden Wasser angezogen werden, wo Blätter hineinfallen, die mit dem großen Netz herausgefischt werden. Denn ein solches Schwimmbad ist teuer zu unterhalten.

In einem solchen Hotel fällt zudem viel Arbeit an und es gibt große Unterschiede in der Art der Arbeit, ob ich beispielsweise chic gekleidet an der Rezeption die Gäste empfange oder in der Küche den Abwasch mache. Letzteres stimmt so nicht, denn natürlich gibt es Hotelpersonal, aber auch dieses zu koordinieren fordert immense Aufmerksamkeit. Und wer Kind von Hoteleignern war, der weiß um die ewige Kränkung, daß jeder Gast besser behandelt wird als die eigenen Kinder, wobei sich das ‚besser‘ in der Zeit und der Zugewandtheit ausdrückt.

Jetzt geht es eigentlich um das Überleben des Hotels, es fällt an allen Ecken zusammen, die menschlichen Beziehungen sind es schon lange. Wenn man die langen Flure entlang geht, wirken die weiten räumlichen Abstände wie die emotionalen zwischen den Menschen. Auf jeden Fall zwischen Mutter und Tochter, hier zwischen Mutter Piedade (Anabela Moreira) und der sie anklagenden Salomé (Madalena Almeida). Hinzu kommt die Kommentare, die Einmischung der anderen, die sowieso immer alles besser wissen. Doch die Arten der Kommentare sind spezifisch und auch, wie einzelne darauf reagieren.

Zwischen den heftigen Wortwechseln gibt es ruhige und sehr lange Bildeinstellungen, so daß die heftigen Worte mit der Stille und der Weite der Anlage in einen Dialog treten.

Eigen ist, daß Regisseur und Drehbuchschreiber João Canijo nicht Partei ergreift, sondern ein komplexen Geschehen abbildet, wo der Zuschauer manchmal durchaus eingreifen will. Denn die Streitpunkte und jeweiligen Argumente kennt man, es sind ewige menschliche Grundkonflikte, die je nach Interessenlage vorgebracht werden. Aber, sagt der Film, es gibt auch ein GENUG!

Können die ‚Menschen im Hotel‘, wie der interessante Roman von Vicky Baum lautete, der allerdings den Gästen galt, diese GENUG sehen und hören? Oder wurde es überhaupt nicht ausgesprochen? Auf jeden Fall gibt es auf Seiten der stets damenhaft auftretenden und die Gäste empfangenden Piedade eine Entscheidung, die alles verändern wird.

Der Film ist sehr portugiesisch heißt es und in Portugal die große Nummer. Das, wofür das portugiesische Kino wie Literatur und Musik bekannt sind, Saudade – die Übersetzung lassen wir gleich, da wir mindestens zehn Begriffe aufzählen müßten – als Begleiterscheinung zum Leben, trifft der Film in meinen Augen nicht. Hier geht es nicht um Wehmut und Weltschmerz, hier geht es ums Überleben.

Foto:
©berlinale.de

Info:
Stab
Regie João Canijo
Buch  João Canijo
Kamera Leonor Teles

Darsteller
Anabela Moreira (Piedade)
Rita Blanco (Sara)
Madalena Almeida (Salomé)
Cleia Almeida (Raquel)
Vera Barreto (Ângela)