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Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. März 2023, Teil 9
 

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Das ist ein erstaunlicher Film, ein richtig guter dazu. Da kommt auf einmal im Jahr 2023 ein Film, der in der Nachkriegszeit fällig gewesen wäre, spätestens in den Fünfzigern, allerspätestens in den Sechzigern zur weiteren Bekräftigung der Studentenbewegung, die sich auch gegen die Vätergeneration mit braunem Dreck richtete. Es geht um einen Prozeß der direkt nach dem 2. Weltkrieg gegen die Nazi-Chargen, die des Mordes und der Beihilfe zum Mord im KZ Flossenbürg angeklagt sind.

 

Das Besondere an diese Gerichtsfilm ist, daß er tatsächlich auf eine einzige, aber umfassende Zeugenaussage rekurriert,der Hauptbelastungszeuge, an dem es nun liegen wird, ob er glaubwürdig die Untaten belegen kann. Der Film zeigt hauptsächlich seine Aussage Dies ist Carl Schrade (Bernd Michael Lade), der jahrelang in den KZs Buchenwald, Lichtenburg, Esterwegen und Flossenbürg inhaftiert war.

Des weiteren kommen die zu Wort, die auf der Anklagebank versammelt sind, die NSDAP-Funktionäre, viele von ihnen in der SS, auch Ilse Koch (Lina Wendel), die Frau des Lagerkommandanten von Buchenwald, Karl Otto Koch ist dabei.

Für den Film sind auch die beiden Übersetzerinnen (Katrin Schwingel und Simone Hausdorf ) ins Deutsche wichtig. Denn der 1946 in den Räumen des ehemaligen KZ Dachau ablaufende Prozeß durch die amerikanische alliierte Gerichtsbarkeit bringt die Notwendigkeit von Übersetzungen aus zwei Gründen ins Spiel. Der Zeuge Schrade begründet am Anfang, daß er aufgrund seiner schrecklichen KZ-Erfahrungen nicht Deutsch sprechen möchte. Die Aussagen der Angeklagten dagegen, die diese auf Deutsch vorbringen, werden von der Gerichtsreporterin (Maria Simon ) ins Englische übersetzt.

Was der Zeuge konkret über die von ihm miterlebten Gräuel, die Schläge und den Hunger, von den Aussortierten für die Gaskammer ganz abgesehen, vorträgt, ist der Wahrheit gemäß so furchtbar, daß die erste Übersetzerin kaum die Fassung wahren kann und die Worte fehlen. Das wirkt überhaupt nicht aufgesetzt oder melodramatisch, sondern ist sehr nachvollziehbar, weil der Zeuge konkret das furchtbare Geschehen, das verbrecherische Treiben in den KZs, die Erniedrigungen, Schläge, Morde benennt, was übersetzt werden muß. Wenn also die Stimme der Übersetzerin stockt, die Tränen kommen, geht es dem Zuschauer genauso.

Eine völlig andere Funktion erhält im Film die Übersetzung ins Englische durch Maria Simon. Sie übersetzt das Lamentieren, das Sich Herausreden, das Entschuldigen, die Lügen der Angeklagten. Und sie übersetzt das glasklar mit einer kaum beschreibbaren Aura, die nach und nach entsteht. Mir lief es kalt den Rücken runter, denn die Ausflüchte der Angeklagten, deren Frechheit, sich im Detail selbst als Verfolgte und nicht als Täter zu stilisieren, sind kaum zu ertragen. Und jetzt verdoppelt, also noch einmal auf Englisch.

Für mich ist diese totale Zweisprachigkeit des Films der geniale Zug, der diesen Film zu etwas Besonderem macht. Denn wir hören ja alles doppelt. Das Englisch des Schweizers Schrade ist leicht verständlich und wird uns ja übersetzt. Die Übersetzung ins Englische wird geradezu Wort für Wort zelebriert, was auch für schwach Englischsprechende verständlich ist. Dies alles doppelt zu hören, ist eine neue Erfahrung, die das grausame Geschehen in den KZs sozusagen doppelt geschehen läßt.

Bleibt hinzuzufügen, daß der Regisseur und Drehbuchschreiber, der sich auf Gerichtsprotokolle stützen konnte, der gleichzeitig die Hauptrolle spielt,Bernd Michael Lade, diese Dreifachfunktion furchterregend perfekt hinbekommt. Er ist nicht der naive Verfolgte, sondern er wurde von den Nazis aufgrund von Wirtschaftsvergehen verhaftet, ob er wirklich ein Krimineller ist, wird nicht geklärt, aber sicher ist es jemand, der immer seine Geschäfte macht. Die Angeklagten glauben, sie könnten seine Aussage in Zweifel ziehen, weil sie ihn als Menschen diskreditieren wollen und deshalb seine Kapo-Funktion, die er im KZ Flossenbürg jahrelang ausübte, als Hinweis auf Unglaubwürdigkeit dick auftragen. Doch haben sich die Angeklagten längst um Kopf und Kragen geredet, sie wälzen die Schuld immer auf andere ab, genauso wie es diese Täter und Mitläufer immer taten.

Das ist ein Sprechfilm, wo es auf jedes Wort ankommt und der Zeuge ständig im Bild ist, dem die Angeklagten nur halb zuzuhören scheinen. Mit deren Aussagen werden dann allerdings moralisch-ethisch die Worte des Zeugen erst recht bekräftigt. Verbrecher waren alle, die diese KZs betrieben und in ihnen arbeiteten, die einen nur schlimm, die anderen am schlimmsten.