vigil

Wiedergesehen, Wiedergelesen, Wiedergehört, Teil 13

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Von der ersten Sekunde an, wenn wir Yakov (Dave Davis) sehen, wirkt er unsicher, ja unglücklich. Wofür er eigentlich erst später Anlaß hat, durcheinander zu sein, kennzeichnet ihn auch schon beim Gespräch mit den Freunden. Wir sehen nur in Rückblenden, wie er früher war, als die Schläfenlocken noch dran waren und er als waschechter orthodoxer Jude nicht zu verkennen war. Doch nun sind sie ab und eigentlich möchte er die Gemeinde, die ganze Gegend verlassen, aber er hat kein Geld.

 

Deshalb läßt er sich für 400 Dollar gegenüber Reb Shulem (Menashe Lustig) auch darauf ein, eine fünfstündige Totenwache bei einem alten Verstorbenen zu übernehmen, der Holocaust-Überlebender war und dessen Frau zunehmende Demenz hat. Die ist renitent, als die beiden ankommen, verzieht sie sich dann aber in den ersten Stock. Die ganze Zeit schauen wir uns im Zimmer um, wo die Leiche unter einem gewaltigem weißen Tuch aufgebahrt liegt. Die Kamera verweilt so lange auf den Falten und Berg und Tal des Stoffes, daß wir jede Sekunde erwarten, daß der Tote sich regt oder wenigstens etwas sagt. Aber nichts da. Da ist die Erwartung mächtiger als das Sein. Aber etwas ist im Busch, das merkt man, als auf einmal oben die Decke aufreißt.

Und ab jetzt ist es passiert. Zuerst hatte er lauter Anweisungen gelesen, wie man mit Frauen spricht, sich ihnen nähert, alles Verhaltensweisen, über die er nicht verfügt, aber jetzt tut er seine Pflicht, spricht Psalmen, aber es hilft nichts, da sind übersinnliche Kräfte am Werk, die ihn Dinge sehen lassen, die doch gar nicht möglich sind. Er ist doch durch seinen Austritt aus der orthodoxen Gemeinde eh angeschlagen, aber das ist zuviel. Er ruft seinen Therapeuten an, erzählt ihm von seinen Wahngebilden, doch plötzlich ist das Gespräch weg und es meldet sich, wir denken, erneut sein Therapeut. Doch dieser entschuldigt sich, er habe nicht früher anrufen können. Doch wer war der vorherige Gesprächspartner. Das sind aber nur die harmlosen Verwirrungen. Die schlimmeren sind inwendig. Denn auf einmal hat Yakov seltsame Anwandlungen und erfährt vom Dasein und Wesen des MAZZIK. Das ist im jüdischen Volksglauben der Totengeist, der nun den Toten verläßt und sich einen neue Heimstatt, einen neuen Menschen sucht, in dem er sein Unwesen treiben kann. Daß der Verstorbene mit seiner KZ-Vergangenheit ein guter Wirt war, das glauben wir gerne. Aber Yakov?

Und ob, denn wie im vorangegangenen Film geht es weniger um die Dämonen von außen, sondern die von innen. Yakov muß sich dem stellen, was er in der Vergangenheit getan und gut verdrängt hatte.

Auch hier werden die Ausbrüche durch laute Musik und eine anschwellende Geräuschkulisse wiedergegeben, aber viel wesentlicher bleibt der junge Mann und seine Phantasien, Erinnerungen, Phobien, denen er in diesen Stunden dank Mazzik ausgesetzt ist. Diese Szenen sind einmal somnambul, dann aber derart realistisch, daß man den tiefen Schrecken des Jakov versteht.

Wir sind die ganze Zeit im Wohnzimmer, wo der Tote aufgebahrt ist, immer wieder kommt dessen Frau von oben herunter, steigt wieder die Treppen hinauf, eine klaustrophobische Situation auch für den Zuschauer. Aber deshalb kann er auch nicht ausweichen, sondern ist den Dämonen von Jakov mitausgeliefert. Hier wird kein Hokuspokus veranstaltet, sondern Horror als Konsequenz von Leben gezeigt. Das ist ein richtig guter Film, der nicht die großen Horrorszenerien braucht, sondern mit den inwendigen zufrieden ist.

Keith Thomas hat das Drehbuch geschrieben und Regie geführt. Wird man sich merken müssen.

Außerdem habe ich eine Menge über jüdische Riten gelernt; die ganzen Exorzistereien kennt man halt schon.

Foto:
Umschlagabbildung

Info:
The Vigil
DVD
USA, 2019
FSK ab 16 freigegeben
Bestellnummer: 10381040
Erscheinungstermin: 11.2.2021

Genre: Horror
Spieldauer: 86 Min.
Regie: Keith Thomas
Darsteller: Dave Davis, Lynn Cohen, Malky Goldman
Originaltitel: The Vigil
Sprache: Deutsch, Englisch
Tonformat: Dolby Digital 5.1
Bild: Widescreen