Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag, 14. September 2023, Teil 5
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zwei Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges hat sich der berühmte belgische Detektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh) ins selbstgewählte Exil nach Venedig zurückgezogen. Er ist nicht bereit irgendwelche Aufträge zu übernehmen und hat mit Vitale Portfoglio (Riccardo Scamarcio) einen ehemaligen Polizisten als Bodyguard engagiert, der außer dem Bäcker, der zwei Mal am Tag kommt, alle anderen Besucher und Bittsteller abwimmelt.
Doch am Abend vor Allerheiligen lässt sein Bodyguard dann doch eine Besucherin durch. Es ist die bekannte amerikanische Kriminalautorin Ariadne Oliver (Tina Fey). Sie bittet Poirot, sie zu einer Séance in einem alten venezianischen Palazzo zu begleiten, der im Ruf steht, dass dort seit dem 17. Jahrhundert die Geister von verhungerten Waisenkindern spuken.
Auch wenn Poirot das alles für Humbug hält, lässt er sich von Ariadne Oliver überreden, genau heraus zu finden, wie die Tricks eigentlich gemacht werden. Das Medium, das stilecht mit einer Maske und einem schwarzen Mantel von einer Gondel gebracht wird, ist Joyce Reynolds (Michelle Yeoh), die auf Wunsch der Hausherrin, der berühmten Opernsängerin Rowena Drake (Kelly Reilly), helfen soll, mit deren verstorbener Tochter Alicia (Rowan Robinson) Kontakt aufzunehmen. Neben Rowena Drake, Poirot und Mrs. Oliver nehmen an der Séance noch der apathisch wirkende Dr. Leslie Ferrier (Jamie Dornan), dessen zwölfjähriger Sohn Leopold (Jude Hill), die Haushälterin Olga Seminoff (Camille Cottin), Poirot Bodyguiard Vitale Portfoglio und völlig uneingeladen Maxime Gerard (Kyle Allen), Alicia Drakes Ex-Verlobter, teil.
Gleich zu Beginn der ersten Sitzung kann Poirot nachweisen, dass Mrs Reynolds getrickst hat, denn er findet mit Desdemona Holland (Emma Laird) und ihrem Bruder Nicholas (Ali Khan) zwei ihrer Helfer. Aber dann beginnt Mrs Reynolds plötzlich mit der Stimme von Alicia Drake zu sprechen und behauptet steif und fest, dass die junge Frau ermordet worden sei.
Als dann aber danach Poirot beinahe ertränkt worden wäre und das Medium Mrs. Reynolds durch einen Sturz aus einem der oberen Fenster zu Tode kommt, muss der berühmte Detektiv doch notgedrungen wieder mit den Ermittlungen beginnen. Poirot muss nicht nur dem Täter auf die Spur kommen, sondern er hat sich auch der Frage zu stellen, ob in dem alten Haus wirklich alles mit rechten Dingen zugeht oder ob nicht vielleicht doch auch höhere Mächte im Spiel waren, denn nur er hört plötzlich Kinderstimmen und sieht Schatten, die durchs Haus laufen, Lichter gehen an und aus, aus dem Wasserhahn kommt plötzlich kein Wasser mehr und überall schlagen Türen und Fenster zu.
Der Detektiv lässt alle Ausgänge verschließen, so da keiner der Gäste das Haus verlassen kann, denn für ihn gelten alle Anwesenden (später außer Mrs. Oliver) als Verdächtige. Jetzt holt er sein Notizbuch heraus und beginnt mit sehr genauen Beobachtungen und Ermittlungen, denn Hercule Poirot steckt doch wieder mitten in einem neuen Fall…
Mit ″A Haunting in Venice″ handelt es sich nach ″Mord im Orient Express″ (2017) und ″Tod auf dem Nil″ (2022) um die dritte Verfilmung eines Agatha Christie Romans, bei der wieder Kenneth Branagh nicht nur Regie führt, sondern auch selbst wieder die Rolle des berühmten belgischen Detektivs Hercule Poirot übernimmt. Das Drehbuch von Michael Green geht auf den 60. Kriminalroman von Agatha Christie Hallowe’en Party zurück, der zuerst im November 1969 in Großbritannien und 1971 unter dem Titel Die Schneewittchen-Party erstmals in Deutschland erschienen ist.
Der Kriminalroman wurde bereits vorher schon einmal verfilmt und zwar in der zwölften (und vorletzten) Staffel der britischen Fernsehserie ″Agatha Christie’s Poirot″ (1989 - 2013), bei der wie in allen anderen Folgen David Suchet den berühmten Detektiv spielt. Der Fernsehfilm wurde unter dem Originaltitel ″Hallowe’en Party″ Ende Oktober 2010 im britischen Fernsehen erstmals ausgestrahlt.
Kenneth Branagh möchte bei dem hier besprochenen Film offensichtlich einiges anders machen als bei seinen beiden Vorgängern, denn das Drehbuch entfernt sich doch recht weit vom Originalstoff. Dabei schreckt der Regisseur auch nicht davor zurück, Horror-Elemente wie Spiegelreflektionen, zuschlagende Türen, wehende Vorhänge, unbekannte Räume, flackernde Lichter, unheimliche Geräusche, geheimnisvolle Stimmen im Hintergrund oder bleiche immer wieder auftauchende Kinder in die Handlung einzubauen. Außerdem spielt der Film nicht wie der Originalroman im ländlichen England, sondern in Venedig, wie der Titel schon verrät. Das schadet der Spannung und auch dem Grusel keineswegs.
Da der Film auch an Originalschauplätzen in Venedig gedreht wurde, hat Kameramann Haris Zambarloukos, der vorher u.a. bereits in ″Thor″ (2011), ″Cinderella″ (2015), ″Mord im Orient-Express″, ″Belfast″ (2021) und ″Tod auf dem Nil″ mit Branagh zusammengearbeitet hat, tolle Aufnahmen von Venedigs engen Gassen, alten Häusern, dunklen Ecken, unübersichtlichen Kanälen und auch von dem alten, unübersichtlich angelegten Spukhaus gefilmt. Natürlich müssen auch maskierte Personen – vor allem Kinder – das alte Haus zeitweilig bevölkern, denn schließlich spielt die Story am Abend vor Halloween.
Auch wenn der Regisseur zu Beginn sich deutlich an den Elementen der Horrorfilme bedient, was dem Ganzen einen morbiden Charme verleiht, geht es letztendlich wieder nur darum, wer denn eigentlich der Mörder oder die Mörderin ist und aus welchen Gründen die Tat begangen wurde. Doch erst einmal weiß Poirot nicht, was in diesem Haus und diesem Fall real ist, was er glauben will und was ihm nur vorgegaukelt wird.
Dabei steht in dem Mystery-Thriller Branaghs Hercule Poirot noch sehr viel stärker im Mittelpunkt als in den beiden vorangegangenen Filmen, auch wenn er für die weiteren Rollen wieder hervorragende Schauspieler gewinnen konnte. Dabei hat Oscargewinnerin Michelle Yeoh eigentlich die undankbarste Rolle, denn als erstes Opfer hat sie nur eine kleinere Rolle. Tina Fey spielt die Kriminalautorin Ariadne Oliver, die Poirot ja schon in anderen Romanen von Agatha Christie geholfen hat, die Morde aufzuklären.
Die Charaktere aller weiteren Darsteller wie Kelly Reilly, Camille Cottin, Riccardo Scamarcio, Kyle Allen oder Jamie Dornan haben – wie Poirot schnell herausfindet - Motive und kommen damit als Täter in Frage. Jamie Dornan und Jude Hill haben bereits in Branaghs autobiografisch geprägten Film ″Belfast″ Vater und Sohn gespielt, dabei war Jude Hill Branaghs kindliches Alter Ego.
Natürlich wird Hercule Poirot letztendlich durch Kombinationen, Beobachtungen und vor allem diszipliniert geführten Listen herausbekommen, wer der Täter oder die Täterin ist und welche Beweggründe die Person für ihre Tat hatte. Dadurch ist eine durchaus spannende Storyline entstanden.
Positiv muss auch unbedingt vermerkt werden, dass ″A Haunting in Venice″ größtenteils in Venedig an Originalschauplätzen gedreht wurde. Durch das Morbide der Lokalitäten ist auf jeden Fall eine passende Gruselstimmung entstanden. Vor allem durch die tolle Kulisse kann man sich als Zuschauer sehr gut von der Story in den Bann ziehen lassen.
All das macht ″A Haunting in Venice″ zu einem gelungenen Kriminalfilm, so dass Kenneth Branagh als Hercule Poirot gerne weitere kniffelige Fälle lösen darf. Agatha Christie hat ihren eitlen belgischen Detektiv schließlich insgesamt in 33 Romanen und noch einigen Kurzgeschichten Fälle lösen lassen, bis er in Vorhang: Hercule Poirots letzter Fall (1975) gestorben ist.
Foto 1: Kenneth Branagh als Hercule Poirot © 2023 20th Century Studios
Foto 2: Michelle Yeoh als Joyce Reynolds © 2023 20th Century Studios
Foto 3: Kenneth Branagh als Hercule Poirot und Tina Fey als Ariadne Oliver © 2023 20th Century Studios
Foto 4: v.l.n.r: von vorne: Jude Hill als Leopold Ferrier, Camille Cottin als Olga Seminoff, Michelle Yeoh als Mrs. Reynolds, Jamie Dornan als Dr. Leslie Ferrier, Kyle Allen als Maxime Gerard und von hinten Riccardo Scamarcio als Vitale Portfoglio und Kelly Reilly als Rowena Drake © 2023 20th Century Studios
Info:
A Haunting in Venice (USA 2023)
Originaltitel: A Haunting in Venice
Genre: Kriminalfilm, Drama, Thriller, Horror, Mystery, Romanverfilmung
Filmlänge: ca. 103 Min.
Regie: Kenneth Branagh
Drehbuch: Michael Green nach dem Roman Hallowe’en Party (1969) von Agatha Christie
Darsteller: Kenneth Branagh, Michelle Yeoh, Jamie Dornan, Riccardo Scamarcio, Jude Hill, Kyle Allen, Kelly Reilly, Camille Cottin, Tina Fey, Ali Khan, Emma Laird u.a.
Verleih: 20th Century Studio
Vertrieb: Walt Disney Studios Motion Pictures Germany
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 14.09.2023