girlgirlSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. November 2023, Teil 5

Redaktion

Dublin (Weltexpresso) –  Die Geschichte entfaltet sich durch die Augen der kleinen Cáit. Warum haben Sie sich für diese Erzählweise entschieden?


Ich wusste bei dieser Geschichte immer, dass der Film der Hauptfigur gehört, dem jungen Mädchen Cáit. Zusammen mit Kate McCullough, unserer Kamerafrau, habe ich viel Zeit damit verbracht, zu überlegen, wie wir es dem Zuschauer ermöglichen können, sich in die Sichtweise dieses Mädchen hineinzuversetzen. Diese Frage wurde zu einer Art Motivationsfaktor für fast alle Entscheidungen hinsichtlich Ästhetik, Look und auch dembesonderenGefühldesFilms.

Selbst das Seitenverhältnis, in dem wir filmten, nämlich 1,37:1, war ein Versuch, dem Publikum zu sagen, dass dies eine Perspektive auf die Welt ist, die noch nicht ganz ausgereift ist. Es gibt Dinge, die außerhalb des Rahmens liegen, die Cáit aber noch nicht begriffen hat.

Es ist die Perspektive eines jungen Menschen, dessen Horizont sich noch erweitern muss. Diese Idee hat uns sehr gut gefallen, weil sie die Welt einrahmte. Man kann nicht alles sehen, weil es sich um einen jungen Geist und ein junges Herz handelt, das noch nicht alles versteht, was um es herum passiert. Wir haben also immer ver- sucht, den Bildern eine gewisse Naivität zu geben.

Es gibt eine Sequenz, in der Cáit zur Farm der Cinnsealachs, ihrem neuen Zuhause für den Sommer, gebracht wird. Und ich wusste schon beim Schreiben des Drehbuchs, dass sie von ihrem Vater mit dem Auto gefahren wird. Es ist eine lange Autofahrt vom County Wicklow in den Südosten Irlands zum County Waterford. Ich wusste von Anfang an, dass die Kamera nie den Rücksitz des Autos verlassen würde. Ich wusste, dass ich niemals eine große Totale der Landschaft brauchen würde, durch die sich das Auto schlängelt, oder eine Kameradrohne, die dem Auto folgt. Das wäre für mich ein Verrat an dem gewesen, was der Film erreichen wollte, nämlich sich in die Lage dieses jungen Mädchens hineinzuversetzen und ihren Blickwinkel vollständig zu übernehmen. Es geht also darum, worauf ein Kind achtet, wenn es sich auf so engem Raum befindet, und jeder erinnert sich daran, wie er als Kind aus dem Fenster geschaut und geträumt hat, wie die Landschaft vorbeizieht oder wie sich die Stromleitungen in Irland am Straßenrand entlangschlängelten.

Wir wollten Details finden. Wenn ich an meine Kindheit denke, dann denke ich oft an sehr isolierte, winzige Bilder. Man hat natürlich eine breite Vorstellung von sei- nem emotionalen Selbst als Kind und von bestimmten Ereignissen, aber die Dinge, die sich mir wirklich einprägten, waren oft eher unbedeutend. Es sind oft Erinnerungen an die Maserung auf der Anzugjacke oder dem Hemd meines Vaters, die im Film auch bei Cáits Vater im Auto zu sehen ist. Da gibt es diese Aufnahme von seiner Schulter. Auch Dinge wie die Berührung der Hand eines Elternteils auf deinem Gesicht oder wie sich die Hand meiner Mutter anfühlte. Und das Haar meiner Mutter, an so etwas erinnere ich mich. Meine Kindheitserinnerungen bestehen also aus diesen ganz bestimmten, isolierten Bildern. Das wollte ich in diesem Film zeigen. Cáits Blickwinkel einzunehmen, war ein Versuch in diese Richtung.

Außerdem stammt das Seitenverhältnis 1,37:1 aus einer Zeit, in der das Kino selbst noch in Kinderschuhen steckte oder vielleicht in der Pubertät. Aus all diesen Gründen erschien es uns sehr geeignet für das, was wir erreichen wollten.



Gibt es ein bestimmtes Bild, dass Sie beim Publikum erzeugen möchten?

Die Sequenz im Auto ist ein gutes Beispiel. Die vorbeiziehende Landschaft und die Stromleitungen, die Maserung auf der Anzugjacke des Vaters und dann auch Details wie die Zigarettenkippen im Aschenbecher. Die Zusammenstellung dieser kleinen Bilder, die sich dem jungen Mädchen aufdrängen, helfen den Zuschauern hoffentlich dabei, ein wenig in die eigene Kindheit zurückzukehren. Denn dieser Film verlässt sich darauf. Die Zuschauer sollen sich daran erinnern, wie es sich anfühlt, ein Kind zu sein und wie es sich anfühlt, an einem unbekannten Ort oder irgendwo zu sein, wo man verwirrt ist oder ein bisschen Angst hat. Man soll sich aber auch an die Momente erinnern, in denen man eine unerwartete Freude erlebte, oder dieses allumfassende Glücksgefühl, wenn man sich sicher fühlt. Denn das sind alles Dinge, die Cáit in diesem Film erlebt.

Es ist eine unglaublich feine und tiefgründige schauspielerische Leistung, die hier von der jungen Catherine Clinch erbracht wird. Sie trägt als Hauptfigur einen entscheidenden Teil der Geschichte. Wie schwierig war es, ihre Cáit zu finden?

Wir wussten als wir mit dem Casting begannen, dass die beste Chance für den Film darin bestehen würde, dieses junge Mädchen zu finden, das die Hauptrolle spielen sollte. Und ja, es hat eine Weile gedauert. Wir haben sieben Monate gebraucht, um Catherine Clinch zu finden, die Cáit spielt. Es war die wichtigste Entschei- dung, die wir treffen mussten, denn ihre Figur ist in 99% des Films zu sehen. Es gibt nur zwei sehr kurze Momen- te, in denen wir sie aus einem bestimmten Grund nicht drin haben, aber sonst wird der gesamte Film durch sie getragen. Wir brauchten also jemanden, der nicht nur in der Lage war, diese Rolle auszufüllen und die gefor- derte Leistung zu erbringen, sondern auch jemanden, der in der Lage war, den gesamten Film zu transportieren. Wir drehten 25 Tage und an jedem dieser Tage sind alle aufgetaucht, die ganze Crew und alle anderen Darsteller. In gewisser Weise sind alle für diese eine Person gekommen, so groß ist diese Rolle. Als Regisseur sah ich meine Aufgabe darin, eine sichere Atmosphäre für diese junge Schauspielerin im Brennpunkt des Ganzen zu schaffen und sie auch vor dieser gewaltigen Anforderung zu schützen. Doch Catherine Clinch ist viel zu intelligent und ein sehr aufmerksames junges Mädchen, als dass ihr das alles nicht klar gewesen wäre. Sie verstand die Verantwortung, die sie auf sich nahm, und sie hatte die Stärke und die innere Entschlossenheit, die dazu nötig war. Sie sagte, ja, ich werde diesen Film tragen.

So wurde sie zum Leitstern und gab bei der Entstehung des Films auf seltsame Weise den Ton für uns alle an. Und wir sind ihr gefolgt. Wie ein kleines Wunder trat sie in unseren Film und unser Leben. Wir sind sehr dankbar, dass wir sie gefunden haben.

Die Zusammenarbeit mit Catherine war eine außergewöhnliche Erfahrung. Sie hatte einfach dieses wunderbare Verständnis für ihre Rolle. Schon bevor ich sie kennenlernte. Ich begegnete Catherine zunächst über ein Video-Selbstporträt. Wir starteten einen Aufruf an die irischen Sprachschulen, um Mädchen in diesem Alter zu finden und sie für ein Vorsprechen zu gewinnen. Zu diesem Zeitpunkt konnten wir keine persönlichen Vorsprechen abhalten, also baten wir die Eltern, ihre Töchter dabei zu filmen, wie sie einige Szenen aus dem Film spielten. Eines Tages bekamen wir das Band von Catherine und sofort war klar, dass hier ein junges Mädchen ist, dass diese Figur und ihr Schweigen verstand. Sie verstand von Anfang an, dass Cáit gelernt hatte, alle ihre Gefühle nach innen zu kehren und sie vor den Menschen um sie herum zu verstecken. Es war wirklich beeindruckend, das zu sehen und ohne, dass ich sie jemals gelenkt habe.

Eine andere Sache, die sofort klar war, als wir das Band ansahen, war die Tatsache, dass sie sich ihrer selbst überhaupt nicht bewusst war. Obwohl sie eine Figur darstellt, die sich irgendwie versteckt, war Catherine selbst völlig offen für die Kamera. Wir wussten also schon nach diesem ersten Band, dass wir unsere Cáit gefunden hatten. Kurz danach machten wir eine sogenannte Chemieprobe mit Carrie Crowley (Eibhlín Cinnsealach) und Andrew Bennett (Sean Cinnsealach), die filmischen Pflegeeltern.

Ich werde mich immer an den Tag nach dem Vorsprechen erinnern. Die Produzentin Cleona Ní Chrualaoi, meine Frau, und ich gingen nach Hause und waren so aufgeregt. Wir wussten, dass wir unsere drei Hauptdarsteller gefunden hatten. Und vor allem das junge Mädchen. Wenn man seine Besetzung gefunden hat, dann ist das der aufregendste Moment bei der Entstehung eines Films, und man kann gar nicht schnell genug anfangen.

Bemerkenswert ist auch, dass Catherine Clinch noch nie vor einer Kamera stand. Sie verstand sehr schnell alle technischen Anforderungen, die mitunter ziemlich kompliziert sein können. Sie war in der Lage, im Moment zu bleiben, wenn man in dieser hochgradig konstruierten Situation ein Team von Leuten um sich herum hat und all diese Vorrichtungen. Das erfordert eine außergewöhnliche Vorstellungskraft und eine emotionale Intelligenz, die sie einfach mitbrachte. Sie hat von Anfang an den Nagel auf den Kopf getroffen. Es war eine Freude, Catherine, Carrie und Andrew zuzusehen. Zusammen schafften sie dieses wunderschöne Porträt dieser Figuren und dieses einen Sommers, den sie zusammen verbrachten. Und dieses Zusammenwirken geschah ohne Dialoge. Es war mehr eine Art gestische Kommunikation.

Was können Sie zum Look des Films sagen?

Wir haben viel Zeit damit verbracht, Drehorte zu finden, die wirklich authentisch sind und die der damaligen Zeit entsprechen, bei denen die Iren sagen würden: „Ja, ich kenne dieses Bauernhaus. Ich kenne diese Küche. Ich kenne diese Tassen.“ Für uns war das von großer Bedeutung. Die Welt, in die wir die Figuren versetzen, sollte absolut authentisch sein, um dieses Eintauchen zu ermöglichen, damit diese Darstellungen in diesem Raum existieren konnten.


Es ist ihr erster Spielfilm, für den Sie bereits eine beeindruckende Wertschätzung erhalten haben...

Wir haben den Film im Mai 2022 in Irland in die Kinos gebracht und zur gleichen Zeit auch in Großbritannien. Und die Resonanz, die der Film hier gefunden hat, war einfach so erfreulich und berührend. Der Film lief bei seinem ersten Kinostart über sechs Monate in den irischen Kinos, was äußerst selten ist. Und er wurde der am längsten laufende Film aller Zeiten im Irish Film Institute, diesem wunderschönen Programmkino in Dublin. Das war eine Art heiliger Ort meiner Jugend, an den ich gereist bin, um so viel vom Weltkino zu sehen. Es bedeutet mir also sehr viel, dass unser Film dort eine solche Wirkung erzielte. Und ja, bis jetzt haben wir den Film in Großbritannien und Irland gestartet und auch in Australien und Neuseeland. Der Film hat in diesen Ländern über eine Million australische Dollar eingespielt. Wir haben alle Kassenrekorde für einen irischsprachigen Film gebrochen. THE QUIET GIRL war einer der kommerziell erfolgreichsten irischen Filme der letzten Jahre.

Wir sind all den Leuten so dankbar, die aufgestanden sind und ihr Haus verlassen haben, um eine Karte zu kaufen und die sich entschlossen haben, unseren Film in einer gemeinschaftlichen Umgebung zu erleben. Und das in einer Zeit, in der die Leute der Idee, wieder ins Kino zu gehen, skeptisch gegenüberstanden, in einer Zeit, in der es für unabhängige Filme so schwierig ist, überhaupt ins Kino zu kommen. Wir sind dem Publikum so dankbar für alles, was es dem Film gegeben hat. Wir hoffen, dass das Publikum in den USA und in all den anderen Ländern, in denen der Film anläuft, ähnlich reagiert und den Film und das junge Mädchen genauso annimmt.

Wir hatten das große Privileg, mit unserem Film zu reisen und ihn zu präsentieren und all diese erstaunlichen Menschen zu treffen und über unseren Film und ihre Filme und das Kino im Allgemeinen zu diskutieren. Dann wurde uns die außerordentliche Ehre zuteil, für zwei BAFTAs und für einen Oscar® in der Kategorie Bester internationaler Spielfilm nominiert zu werden. Es ist das erste Mal, dass ein irischsprachiger Film für diese Preise überhaupt nominiert wurde.

Foto:
©Verleih

Info:
The Quiet Girl (Irland 2022)
Originaltitel: An Cailín Ciúin 
Filmlänge: ca. 95 Min.
Regie: Colm Bairéad
Drehbuch: Colm Bairéad nach der Kurzgeschichte Foster von Claire Keegan (2010)
Darsteller: Catherine Clinch, Carrie Crowley, Andrew Bennett, Michael Patric, Kate Nic Chonaonaigh u.a.
Verleih: Neue Visionen Filmverleih GmbH
FSK: ab 12 Jahren

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