korsiSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. März 2024, Teil 6

Redaktion

Paris (Weltexpresso) – IN IN DEN BESTEN HÄNDEN BRACHTE AÏSSATOU DIALLO SAGNA, WELCHE IM ECHTEN LEBEN EINE KRANKENPFLEGERIN IST UND DIE SIE AUCH ZUM ERSTEN MAL FÜR EINE FILMROLLE BESETZT HABEN, ETWAS REALES IN DIE FIKTIONALE GESCHICHTE. GAB ES BEIM ERSCHAFFEN VON RÜCKKEHR NACH KORSIKA EIN ANLIEGEN, AUFGRUND IHRER LEINWANDPRÄSENZ EINE GESCHICHTE FÜR SIE ZU KREIEREN?

Absolut. Es gab mehrere Gründe, die mich dazu bewegten, diesen Film zu machen, aber das Herz des Films begann erst zu schlagen als ich mich entschloss für Aïssatou zu schreiben. Bei IN DEN BESTEN HÄNDEN, wo wir professionelle und nicht-professionelle Schauspielende gemischt haben, konnte ich Leben in Charaktere einhauchen, die mich sehr gerührt haben. Aïssatou gewann für ihre Rolle den César. Und doch wissen wir alle zu gut, dass in diesem Gewerbe Menschen in einem Moment gefeiert werden und im nächsten Moment ziehen alle plötzlich weiter zu etwas anderem. Mir war es sehr wichtig sie nicht zu vergessen, und vor allem, sie in das Reich der Geschichten und Fiktion mitzunehmen. Zudem teilte Aïssatou auch ihre Geschichte mit mir, ihr Leben. Mehr noch, sogar ihre Familie kam zum Dreh. Dank ihr entdeckte ich so viel über die guineische und senegalesische Kultur, über die Beziehung zu ihrem Mutterland, oder konkretere Dinge wie zum Beispiel über die Frisuren der Frauen dort. Es war eine wundervolle Erfahrung, die Arbeit, die wir bei IN DEN BESTEN HÄNDEN begonnen hatten, fortzusetzen.


WIE HABEN SIE UND IHRE KO-AUTORIN NAÏLA GUIGUET DIESE FAMILIE, BESTEHEND AUS EINER MUTTER UND ZWEI JUGENDLICHEN TÖCHTERN, GESCHAFFEN?

Naïla ist mit ihren fünfundzwanzig Jahren eine junge Drehbuchautorin und FEMIS Absolventin, deren Mutter aus dem Senegal stammt. Ich schrieb diese Geschichte mit ihr, weil ich das Gefühl hatte, zu weit von dem Lebensgefühl dieser jungen Menschen weg zu sein. Sie hat mir sehr geholfen mein Wissen zu erweitern und diese Geschichte auszuarbeiten. Zum Beispiel nahmen wir den Vornamen ihrer Mutter, Khédidja, für Aïssatous Charakter. Ich bediente mich auch an meiner eigenen Vergangenheit, welche eher kompliziert ist. Ich wurde in einer Familie groß, in der es Loyalitätskonflikte gab. Ich habe zwei Schwestern; einen korsischen Vater, welcher bei einem Unfall ums Leben kam, als ich noch sehr klein war; und eine Mutter, die es nicht mehr in Korsika aushielt, und sich wie ein Vogel im Käfig fühlte.

All diese Dinge verflechten sich zu einem Lebensweg, der Fragen aufwirft über diese komplexe Region, wo man sich fremd fühlt. Ich wollte diese Frauen zeigen, die aus Liebe an einem solchen Ort bleiben, und wie zwei Schwestern am Ende zwei völlig verschiedene Arten haben, mit diesem Ort umzugehen: die eine protestiert und widersetzt sich dem Status Quo, die andere versucht sich zu integrieren. Für eine lange Zeit war ich wie Farah, aber ich finde Elemente von mir in beiden Charakteren.


DIESES FRAUEN-TRIO LEBT PRAKTISCH IM STILLSCHWEIGEN. WORTE ZU FINDEN, UM ALL DIESE DINGE ZU BESCHREIBEN, DIE UNGESAGT GEBLIEBEN SIND, BRINGT ABER LETZTENDLICH EINE VERSÖHNUNG.

Je mehr ich am Schnitt des Films gearbeitet habe, desto mehr bildete sich um Khédidjas Charakter diese mysteriöse Stille, die eine Art Romantik mit sich brachte und Fragen birgt. Etwas passiert bei Khédidja, dass sie unbewusst dazu führt, zurück an diesen Ort zu kehren, wo jede einzelne von ihnen durch eine Konstruktion ihrer Persönlichkeiten untergehen muss. Die drei gehen sozusagen durch eine Katharsis, bevor sie als Familie zusammen ein neues Gleichgewicht finden, wenn die Mutter endlich ihre Wahrheit teilt und spricht. Ich denke dieses Schweigen, ähnlich wie Lügen, bringt nur Unglücklichsein und Verwirrung. Frauen wurde oft beigebracht, still zu sein und nicht alles zu teilen, und Khédidja bringt sich selbst zum Schweigen, mehr noch, weil sie am unteren Ende der Gesellschaft steht.


IHRE CHARAKTERE KONSTRUIEREN IHRE IDENTITÄT UM EINE ABWESENHEIT: KHÉDIDJA UND IHRE TÖCHTER, ABER AUCH GAÏA, WELCHE IHRE MUTTER VERLOREN HAT, UND MARC-ANDRIA, WELCHER OHNE EINEN VATER AUFWUCHS, WIE FARAH UND JESSICA.


Es ist nicht etwas, was ich komplett bewusst mache, aber es ist sicher, dass die Abwesenheit meines Vaters mich stark beeinflusst hat und das scheint auch in meinen Filmen durch. Ich erinnere mich daran, dass ich es sehr erdrückend fand, wenn manche meine Mutter als „Witwe“ bezeichnet haben. Das hat sicher auch meine Imagination gefüttert. Wenn wir älter werden, werden wir offener gegenüber persönlichen Themen, haben weniger Angst uns ihnen anzunehmen und uns durch Fiktion zu offenbaren.


GEHT ES IN RÜCKKEHR NACH KORSIKA UM DAS, WAS UNTERDRÜCKT WIRD? IM FILM SCHEINEN KRÄFTE UNTER DER OBERFLÄCHE ZU ARBEITEN, DIE AN UNS ZERREN UND UNS IN DIE TIEFEN DER REGION FÜHREN.

Zugegebenermaßen, in Korsika ist etwas Bitteres und Gewaltsames in der Landschaft, mit dem Meer auf der einen Seite und den Bergen auf der anderen. Es ist ein raues Land, dessen Realität sehr weit entfernt ist von den touristischen Beschreibungen, die mit ihm assoziiert werden. Da ist ein Erbe, das unveränderbar ist, verbunden mit uralten Kräften. Ich wusste, dass das Filmen in Korsika etwas in mir wecken würde, das sehr erschütternd war. Es war sehr anstrengend, in das Heim meiner Kindheit zurückzukehren. Alles war emotional aufgeladen. Die Szenerie hat mich überwältigt und plötzlich kam alles, was ich unterdrückt hatte über die Jahre, wieder an die Oberfläche. Es war nicht angenehm, aber ich musste mich genau an diesen Ort begeben, um zu sehen, ob es funktionieren würde.


VERSCHIEDENE KULTUREN WERDEN IN DIESEM FILM KONFRONTIERT. WAR DA EIN WUNSCH AUF IHRER SEITE, DIE ASPEKT DER ANDERSARTIGKEIT ZU ERFORSCHEN?

Andersartigkeit beinhaltet, von einem Selbst zu einem anderen zu werden. Tatsächlich wollte ich eine Verbindung aufbauen zu dieser Jugend, die ich idealisierte, aber welche mir unbekannt war, mit Kulturen, die ich nur oberflächlich kannte, und diesem Korsika, welches mir so nah und zugleich so fern ist. Was ich an Filmen mag, ist, dass ich die Möglichkeit habe, anderen eine Stimme zu geben; einzutreten in einen Ort, in einen Kopf, in die Haut von jemandem, den man nicht kennt. Zu beobachten und zu verstehen. Es ist faszinierend, in etwas einzutauchen, das anders ist als wir selbst. Ich war sehr glücklich in der Position zu sein Aïssatou, Esther und Suzy komplexe Charaktere anzubieten, die nicht auf Archetypen reduziert sind, wozu sie oft limitiert werden. Ich finde ihre Charaktere repräsentieren etwas, das sehr umfassend ist, etwas Größeres. Es gibt eine sehr starke korsische Identität. Und ich fühlte mich immer als Außenseiterin, als Fremde dort, weil dieses Land nicht komplett ich bin. Dieses Gefühl von Abstoßung und meine Abscheu sozialer Ungerechtigkeit brachten mich emotional näher an Khédidja und ich verstand, wie fruchtlos ihre Versuche bleiben, ein Teil dieser Gemeinschaft zu werden.

Foto:
©Verleih

Info:
Stab

Regie: Catherine Corsini
Drehbuch: Naïla Guiguet und Catherine Corsini

Besetzung
AÏSSATOU DIALLO SAGNA. Khédidja
SUZY BEMBA Jessica
ESTHER GOHOUROU Farah
LOMANE DE DIETRICH. Gaïa
CÉDRIC APPIETTO Marc-Andria
HAROLD ORSONI Orso
MARIE-ANGE GERONIMI. Michelle
VIRGINIE LEDOYEN. Sylvia
DENIS PODALYDÈS Marc


Abdruck aus dem Presseheft