das meerSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. November 2024, Teil

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Seltsam, Albanien scheint ein Land voller Männer zu sein, vorwiegend ältere, aber auf jeden Fall Männer. Vereinzelte Frauen sind alte Tanten oder ganz junge und wenn sie heiraten, dann sprengen sie gleich die Hochzeit und hauen mit dem Liebhaber ab. Dazu brauchen sie aber ein Auto. Und da ist Leon (Blerim Destani) endlich einmal richtig an Ort und Stelle. Denn ansonsten empfindet er sich überall als Fremdkörper. So richtig dazu gehört er nirgends. Noch nicht mal im eigenen Körper.


Das ist ein Film, der aus dem Dusteren, dem Zwielichtigen, dem Schaurigen ins Helle, ins Licht wandert. Nein, nicht in den Himmel, denn, wenn das Meer der Himmel ist, was der Großvater von Leon immer erzählte und wohl eine alte albanische Metapher ist, dann heißt das auch, daß es um Jenseits geht, wohin die Eltern von Leon entschwanden. Im dunklen, ungemütlichen Filmanfang sind wir in Frankfurts Bahnhofsviertel. Übel beleumdet. Zurecht. Und auch wieder nicht. Auf jeden Fall erfahren wir so, wie eingekastelt Leon lebt und später klärt er über seine kaltherzige, gutgeldverdienende , gewalttätige Arbeit auf: Für Häuserspekulanten macht er Terror bei bisherigen Mietern, damit diese ausziehen. Wie soll einer bei solch einer Tätigkeit außer harsch aufzutreten und kantig zu sein, auch gute Miene zum bösen Spiel machen?

Das bekommt auch sein Onkel ab, der ebenfalls in Frankfurt lebt, ihn aufsucht und vom Tod des Großvaters Marian berichtet, dessen letzter Wunsch es war, den Enkel, der seine Kindheit bei ihm verbracht hatte, noch vor dem Tod wiederzusehen. Doch der will erst einmal nicht und als er dann doch schlechtgelaunt einem Flug zustimmt, kommen die beiden zu spät in Albanien an: es findet gerade die Totenfeier statt. Innerlich kopfschüttelnd nimmt Leon die Verwandten wahr, die alle an ihm und seinem Leben sehr interessiert sind. Das hält ihn nicht, diese Leute, seine angebliche Familie, sind ihm fremd, er will rasch zurück, was der letzte Wille des Großvaters verhindert, denn der wünscht sich, daß sein Enkel Leon seine Urne an eine bestimmte Küste bringt, nämlihc, wo er geboren ist, wo beide Urlaub gemacht hatten: er soll seine Asche dort ins Meer streuen.

Und jetzt beginnt der eigentliche Film, wie gesagt ins Licht, aber auch ein klassisches Roadmovie, das zunehmend Spaß macht und wo aus Abziehfiguren Menschen werden, das Kantige und Eckige rund wird und es echt menschelt, ohne falsche Harmonie oder unechte Gefühle zu verbreiten. Aber erst einmal muß Leon seine extreme Introvertiertheit und Nichtwahrnehmung von anderen noch ausleben, bis er vom äußeren Weg abkommt und gleichzeitig den inneren Weg naach und nach findet. Dem Zuschauer kommen die Bergregionen von Albanien wie weite unendliche Landstriche vor. Alles passiert gleichzeitig. Einmal nimmt er einen redseligen Anhalter mit, der ihn dirigiert, nicht zu seinem Ziel, sondern zum eigenen, dem Haus seiner schwangeren Frau, die er als Soldat nur auf diese Weise erreicht und wo Leon Zeuge der Geburt wird. Dann ist es die deutsche Journalistin Zoe(Ariana Gansuh) , die er schon im Flugzeug wahrgenommen hatte, die unterwegs liegenblieb und doch so gerne das Dorf der Kinder besuchen und darüber berichten möchte, wo Kinder der Fama nach sich selbst regieren. Eine offene, herzliche junge Frau, was Leon erst nach und nach registriert und am meisten, als sie im Dorf der Kinder, das sie tatsächlich finden, zurückbleibt.

Slapstickartig und wirklich gekonnt serviert die Szene, in der Leon in eine Hochzeitsfeier gerät, mitfeiert und beim Wegfahren sich die Braut in Weiß, die schon bei der Trauung in der Kirche immer einen anderen Mann als den gerade Angetrauten anschaut, mit gerade diesem Mann flieht, sich ins Leons Auto rettet und FAHREN, FAHREN signalisiert, was er tut und so einem Liebespaar zur Flucht verhilft. Das wird alles durchaus langsam, aber überhaupt nicht langweilig erzählt, auf einmal hat der Film Zeit und wir auch und es verändert sich einiges. Auf einmal erinnert sich Leon an so viele Szenen mit seinem Großvater, die wir nun auf der Leinwand sehen; die Vergangenheit ist lebendig.  Die mißmutige Miene von Leon hatte sich schon länger aufgehellt, die Landschaft wird in Meeresnähe immer luftiger, heller, die Sonne, die schon lange brennt, wird durch den Wind erträglicher. Und endlich das Meer, wo Leon seiner Enkelpflicht genügt.

Die schönen Bilder von Landschaft und Licht grenzen schon manchmal an Kitsch, aber sie entsprechen den Gefühlen, zu denen Leon zunehmend fähig wird. Er, der uns am Anfang als personifizierte Negativität gegenübertrat, der tatsächlich die Erinnerung an seine Kindheit beim Großvater, ohne Eltern eben, vergessen, besser: verdrängt hatte, denkt an die schönen Momente mit seinem Großvater, lernt jetzt auf einmal, um ihn zu trauern, was auf einmal aus der Kindheit ans Licht drängt. Er fängt an, sich richtig wohl zu fühlen. Als Zuschauerin denkt man, ach, er sollte doch in Albanien bleiben, auch wenn er die Sprache erst wieder lernen muß. Doch sein Heimattrip ist vorbei. Er wird zurückfliegen, aber er wird in Frankfurt ein anderer sein als der, der nach Albanien flog.

Foto:
©Verleih

Info:
Besetzung
Blerim Destani, Ariana Gansuh, Gezim Rudi, Ndricim Xhepa, Edon Rizvanolli, Tristan Halilaj, Amos Zaharia, Ilirda Bejleri, Linda Jarani Akil Birce, u. a.
Stab
Buch und Regie Enkelejd Lluca