Rainer Werner Fassbinder FoundationVor der Berlinale 2025 (1)

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Unter den ersten Filmen, die ich hier in Berlin in den letzten Tagen gesehen habe, waren etliche Reisen in die Zeit. Wie immer in den letzten Jahren, gibt es auch bei der anstehenden 75. Berlinale viele Filme aus diversen Sektionen vorab für uns Presseleute zu sehen. Gleichsam zur Einstimmung besuchte ich vorher bereits einige normale Pressevorführungen, von denen es hier viel mehr als in Frankfurt gibt:

 

Der Film über Bob Dylan, „Like a Complete Unknown“ (2024), nimmt uns mit in das New York der frühen 1960er-Jahre. Robert Zimmermann kommt als völlig unbekannter Folk-Sänger, als „complete unknown“, in die Stadt und wird dort zu Bob Dylan. Mehr darf man von dem Film, der bis zu seiner Hinwendung des Musikers zur Rock-Musik reicht, vorab nicht verraten. Er kommt erst Ende Februar in die Kinos. 

Auch „Niki de Saint Phalle“ (2024) führt uns auf eine Zeitreise nach Paris in die 1950er-Jahre. Sie beginnt zu malen und befreit sich dadurch von ihrem Trauma, hervorgerufen durch den Missbrauch des Vaters. Im Kreis der „Nouveaux Réalistes“ um Jan Tinguely, Yves Klein, Arman und anderen reift sie dann zur wirklichen Künstlerin. Sie wird in den darauffolgenden Jahren, die nicht mehr gezeigt werden, zur einzigen, international bekannten weiblichen Künstlerin ihrer Zeit.

Gestern begannen dann die offiziellen Vorabaufführungen für die Presse. Im Arsenal -Kino liefen in der Sektion RETROSPEKTIVE deutsche Genrefilme aus den 1970er-Jahren, die sich den Themen „wild, schräg, blutig“ widmeten. Einige hatte ich damals bereits in Berlin gesehen, als ich dort wohnte.  Nur wenige Kollegen und Kolleginnen kannten die Filme und mir wurde klar, hey, die Streifen sind ja mehr als 50 Jahre alt, also per se eine Zeitreise…

Es begann mit Uli Lommels „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ (1978). Wir reisen zurück ins Nachkriegsdeutschland, in eine Geschichte, die an nur wenigen Orten spielt. Einer davon ist ein altes, heruntergekommenes Haus, das man das Rainer-Werner-Fassbinder-Haus nennen möchte. Denn in allen Wohnungen leben und agieren Fassbinders junge Schauspielerinnen wie Margit Carstensen und Ingrid Caven oder die nicht mehr ganz so junge Brigitte Mira. Und natürlich erselbst. Ganz oben wohnt der glatzköpfige Peter Raab, der den Massenmörder Fritz Haarmann gibt und attraktive Jugendliche mit Vampirbissen tötet. „Das geht nicht mit rechten Dingen zu mit dem Jungenvolk“, meinen die Frauen, „die gehen rein und kommen nie wieder raus.“ Doch großzügig verteilt er in der Nachbarschaft (Menschen-) Fleisch und arbeitet als Polizeispitzel…

Der Film ist eine makabre Erzählung, ganz im Fassbinder‘schen Stil und zeigt mit langen Einstellungen und unheimlichen Lichteffekten ein düsteres Deutschland. Alle Personen agieren behutsam und theatralisch, sie wirken künstlich wie in allen seinen frühen Streifen. Diese Verfremdungen faszinieren, aber irritiert zugleich.

202517133 1 RWD 2400Ganz anders kommt die Horror-Komödie „Lady Dracula“ (1972) daher. Zuerst erleben wir Zeitreisenden wie Graf Dracula 1876 ein adliges blondes Mädchen totbeißt, das dann aber in ihrem Sarg verschüttet wird. Genau 100 Jahre später buddeln Bauarbeitern ihre Totenkiste aus und damit beginnt das Unheil. Die Vampirin macht die Stadt unsicher, tötet gelegentlich Menschen um sie genüsslich auszusaugen. Aber eigentlich arbeitet sie solide nachts fleißig in einem Beerdigungsinstitut als Leichenkosmetikerinnen, indem sie das Blut der Leichen gegen eine andere Flüssigkeit austauscht. Die Hinterbliebenen staunen immer über die Frische ihrer Verstorbenen.



Zu bissigen Übergriffen kommt es nur, wenn Lady Dracula Blut sieht oder provoziert wird. Doch der ermittelnde Kommissar verliebt sich in die attraktive Blondine, und daraus entsteht eine Menge Situationskomik. Auch sie küsst ihn gerne, doch immer wieder wachsen dann ihre Zähne… Damals bekannte Schauspieler wie Theo Lingen, Walter Giller oder Roberto Blanco mixen Grusel, Krimi und derbe (deutsche) Witze. Die Vampirin könnte noch etwas erotischer sein.

Der Haarmann-Streifen knüpft an den deutschen expressionistischen Film der 1920er-Jahre an und sucht neue Wege des Films.  Lady Dracula ist dagegen als üble deutsche Komödie angelegt, aber die Geschichte ist derartig brillant und die Filmästhetik so überraschend, dass man sich beide Filme tatsächlich wieder ins Kino wünscht. Doch wenigstens laufen sie auf der Berlinale und natürlich gibt es noch weitere Beiträge dieser Sektion in der Vorschau und auf der Berlinale.

Foto:
Oben
Deutsche Kinemathek, © Rainer Werner Fassbinder Foundation
Peter Raab, der den Massenmörder Fritz Haarmann gibt

Unten:
Deutsche Kinemathek, © IKOHA Import & Export
Evelyn Kraft als Lady Dracula