leon4Nachtrag: Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. Juli 2025, Teil 5

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Was hat euch an Leonora Carringtons Geschichte fasziniert?



Thor Klein: Als Mensch und Künstlerin hatte Leonora eine faszinierende Intuition und eine besondere Verbindung zu Tieren und Mythen. Ihr Zugang zur Natur war spirituell. Als Mensch war sie stark und fragil zugleich, wie es ihre engsten Freunde beschrieben, eine komplexe, elektrisierende Persönlichkeit, die an einer psychischen Krankheit litt, und das alles in einer Epoche, in der innere und äußere Welten in sich zusammenfielen. 

Lena Vurma: Die sensible Künstlerin mit psychischen Problemen – das ist natürlich ein Klischee. In Leonoras Fall ist dies für mich jedoch vor allem eine Geschichte über Resilienz, über gleichzeitige Stärke und Fragilität, über innere Kreativität, die nie aufhörte, sie positiv anzutreiben. Abgesehen davon, dass wir uns darin wiederfinden konnten, interessierte uns auch der Aspekt der Heilung. Leonora hat es geschafft, ihre Psyche durch die Kunst in Zaum zu halten. Selbst in der Klinik, wo sie Elektroschocks und Zwangsernährung erlebte, wurde sie nicht gebrochen, sondern kam stärker heraus als vorher - ohne ihre Sensibilität zu verlieren. Also eher eine spannende Genesung als sich – wie so manch männlicher Künstler – ein Ohr abzuschneiden… Leonora konnte sich quasi neu zusammensetzen und für den Rest ihres Lebens den schmalen Grat zwischen Kreativität und psychischer Fragilität beschreiten. Unsere Hauptdarstellerin Olivia Vinall zeigt das auf fast magische Weise. Sie ist regelrecht mit ihrer Figur verschmolzen.


Wie gelingt es, ein solches Leben überzeugend zu verdichten – in einem Drehbuch, in dem dazu jede Nebenfigur mehr als genug Stoff für einen eigenen Film liefern würde?

Thor Klein: Ja, wie fügt man ein ganzes Künstlerinnenleben in knappe zwei Filmstunden? Wie integriert man ihre vielen Themen und die Welten, in denen sie gelebt hat? Das Wichtigste bei diesem Prozess ist Offenheit. Man kann viel planen, aber sollte auch bereit sein, Dinge zu verwerfen, denn in jeder Phase des Filmemachens gewinnt man auch neue Erkenntnisse und Einsichten in die Figur, die einem bis zu diesem Zeitpunkt entgangen sind. Es ist wie ein Kennenlernen, wie in einem interessanten Gespräch. Leonoras und überhaupt das ganze Leben sind voller Widersprüche und meist nicht in einer Dreiakt- oder in unserem Fall FünfaktStruktur anzuordnen, in der die Figur am Schluss ihre Balance gefunden hat. Im Leben gibt es kaum richtige Auflösungen, aber immer Veränderung. Wir wollten Leonoras Entwicklung als Weg der Resilienz zeigen. Ist sie aufgrund ihrer inneren Stärke trotz Krankheit bei ihrer Kunst geblieben – oder hat die Kunst ihr geholfen, diese Stärke zu wahren? Die Frage interessierte uns, und die Antwort liegt vor allem beim Kinopublikum.


Leonoras vielschichtiges Innenleben war prädestiniert für die Kunstrichtung des Surrealismus. Das nicht ganz bei sich Sein, das Eintauchen in andere Bewusstseinswelten, wurde regelrecht idealisiert.

Thor Klein: Die Romantisierung dieses Zustands wurde vor allem von André Breton vorangetrieben, dazu die Idee der „femme enfant“ als klassischer Muse, die in ihrer ursprünglichen Naivität Zugang zu Sphären hat, die den Künstler stimulieren. Eindeutig ein Kosmos, der von Männern angelegt wurde – doch Leonora hat die Grenzen dieses Universums verschoben.

Lena Vurma: Heute haben ihre Arbeiten die der Männer auf dem Kunstmarkt längst überholt.

Thor Klein: Wenn man jung und psychisch labil ist und in einem Umfeld lebt, das diesen Zustand als erstrebenswert ansieht, ist das sehr gefährlich. Apropos Resilienz: Sie ist auch wichtig, um eine künstlerische Vision über einen langen Schaffensprozess lebendig zu halten.


Welche Etappen der Produktion waren wichtig, um LEONORA IM MORGENLICHT realisieren zu können?

Lena Vurma: Nachdem ich Thor von Leonora Carrington erzählt habe, hat er 2016 Elena Poniatowskas Roman „Frau des Windes“ in einer Bibliothek gefunden. Der Stil des Romans ähnelt einer Reportage. Sofort hatten wir einen Film vor Augen und uns entschieden, die Geschichte zu verfilmen. Aufgrund der Berühmtheit der Autorin in Mexiko war es schwierig, das Buch zu optionieren, aber bei einigen Besuchen in Mexiko und Gesprächen mit Elena, einer langjährigen Weggefährtin von Leonora, ist es uns gelungen. Wir sind 2017 dann auch nach Südfrankreich und in den mexikanischen Dschungel gefahren und haben versucht, diese Orte durch Leonoras Augen zu sehen und die Herkunft ihrer Kunst besser zu verstehen. Wir wollten uns keinen Illusionen hingeben, sondern uns den Alltag vorstellen, bevor wir uns den dramatischen Momenten widmen konnten.


Wie hat der Surrealismus die Bildsprache eures Films inspiriert?

Thor Klein: Ich hatte durchaus Luis Buñuel-Elemente vor Augen, aber Leonoras eigener Surrealismus war anders. Da war die Bedeutung des Tarot, der Dschungel, die Hyäne. Für Leonora war die ganze Welt beseelt. Das war besonders in Las Pozas sichtbar. Hier hat Edward James eine surrealistische Stadt gebaut, die sich anfühlt wie die Gemälde von Leonora und Max.

Lena Vurma: Kunst selbst sollte man nicht erklären, sondern spüren. Das ist bei kaum einer anderen Kunstrichtung so wesentlich wie beim Surrealismus, der inmitten von Kriegen in einer Zeit der Auflösung internationaler Ordnungen entstand. Den heutigen Zeiten nicht unähnlich.

Thor Klein: Wir alle, egal ob nun gläubig oder nicht, stellen uns die Frage nach dem Spirituellen, dem nicht Erklärbaren, den Kräften, die auf uns wirken. Leonora hat in ihrer Kunst die keltische Mythologie mit indigenen Mythen verbunden und damit auch ihre Kindheit mit 12 ihrer Zukunft in Mexiko, einem Land, das Breton „das surrealistischste Land der Welt“ genannt hat.


Was hat der Cast mitgebracht?

Lena Vurma: Weil Thor gerne in langen Einstellungen dreht, war uns bei den Hauptdarstellern Bühnenerfahrung wichtig. Dazu kam der Zeitfaktor: Uns standen 28 Drehtage in drei Ländern zur Verfügung. Olivia Vinall und Alexander Scheer, zwei richtige „Theatertiere“, haben diesen Anspruch mehr als erfüllt. Beide haben für den Film eigenhändig Kunst geschaffen. Olivia trainierte dafür sogar ihre linke Hand, weil Leonora Linkshänderin war. Dazu kam ihre komplette äußere Verwandlung. Einmal hat die Security sie nicht zum Drehort vorgelassen, weil sie nicht erkannt wurde. Sie musste sich erst als Hauptdarstellerin ausweisen.


Ihr arbeitet kreativ zusammen und seid auch privat ein Paar. Gab es Wiedererkennungsmomente mit Leonora und Max?

Lena:
Auf der kreativen Schöpfungsebene auf jeden Fall. Aber Max Ernst hatte ein wesentlich altmodischeres Frauenbild als Thor (lacht). Wir arbeiten seit der Filmhochschule sehr eng zusammen, manche Leute sagen, wie die zwei Hälften des Gehirns - oder als Wolke, in der alles zusammen aufgeht. Für uns ist das sehr natürlich, ganz normal. So wie wir gemeinsam frühstücken, machen wir auch einen Film, als Spiel der unterschiedlichen Talente und Ergänzungen. Ein bisschen wie bei den Coen Brothers.

Thor: Obwohl wir ein eingeschworenes Team sind, ist es wirklich nie einfach, aber die Anstrengung immer wert. Als Filmemacher sind wir ja nicht nur für uns, sondern im großen Verbund mit den anderen Departments. Maler, Männer wie Frauen, sind dagegen oft einsiedlerische Egomanen – auch Leonora. Mit jemandem, der so radikal nur in seiner Welt lebt und sie abschirmt, ist es vermutlich komplizierter als mit einer Produzentin, deren Talent unter anderem die Kommunikation ist. Aber Clashes sind gut! Mich macht es eher nervös, wenn es sie nicht gibt und jeder ganz genau zu wissen glaubt, was zu tun ist.

Foto:
©Verleih

Info:
Besetzung & Stab
Leonora Carrington OLIVIA VINALL
Max Ernst ALEXANDER SCHEER
Chiki Weisz ISTVÁN TÉGLÁS
Edward James RYAN GAGE
Remedios Varo CASSANDRA CIANGHEROTTI
Dr. Morales / Leonoras Galerist LUIS GERARDO MÉNDEZ
Junge Leonora WREN STEMBRIDGE
Regie, Drehbuch THOR KLEIN
Regie, Drehbuch, Produktion LENA VURMA

Abdruck aus dem Presseheft