Der Film von Christian Bach mit Tobias Moretti ab 9. Oktober

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Da hatten wir uns sozusagen geschnitten. Denn nach der Pressevorführung dieses zunehmend bedrückenden Films – weil alles so normal daherkommt und jedem passieren kann - , der berückend gespielt ist, besorgten wir uns rasch HIRN-GESPINSTER, das Buch von Ivonne Keller aus dem Knaur Verlag.

 

Wir wollten noch mehr wissen über Hans Dallinger, diesen exzellenten Architekten, der Wettbewerbe gewinnt, aber mit den Nachbarn nicht auskommt. Aber da müssen wir auf den allgemeinen Start warten und uns Tobias Moretti noch einmal anschauen in der Rolle dessen, der aus einem gutsituierten bürgerlichen Dasein abdriftet in eine Wahnwelt, die allerdings einem oft wirklicher scheint als die, die die Augen erspähen. Wir müssen auf den Oktober warten, denn dieses erwähnte Buch aus dem Knaur Verlag heißt zwar auch HIRN-GESPINSTER, handelt aber von Silvie, deren Schwester Anna den Verstand zu verlieren glaubt, während Silvie...ach was, ein ganz anderes Buch, aber eine Menge Schmerzen und Tabletten kommen auch darin vor, was ja nur zeigt, daß HIRNGESPINSTER, HIRN-GESPINSTER ein guter Titel für so manchen Psychothriller abgibt, denn auch das, was Hans Dallinger passiert, könnte man als einen solchen Thriller bezeichnen. Aber eben auch als klinischen Fall, zu dem er wird.

 

Das Sympathische an diesem Film mit dem Motto: „Wer hin und wieder seinen Verstand verliert, der hat wenigstens einen“, einem Film, der einen dann gehörig durchschüttelt, ist der Alltag, den man zu kennen glaubt. Schließlich ist es nicht nur Paranoia, wenn die Nachbarn immer die Grundstücksgrenze zum eigenen Garten für häßliche auffällige Geräte, hier eine Fernsehempfangsschüssel, nutzen, daraus dann aber gedanklich Abhöranlagen zu konstruieren, das gehört dann schon in den Bereich, der zeigt, daß derjenige von Ängsten geplagt wird, die über den Alltag hinausgehen. Aber wo bei diesen Ängsten und Verfolgungsängsten unterscheiden und vor allem, wie darauf eingehen?

 

Subtil nimmt uns Regisseur auf diese Familienfahrt mit, die erst einmal an Simon Dallinger (Jonas Nay) , dem 22jährigen Sohn orientiert ist, der nicht aus den Puschen kommt, sich nicht aus dem Elternhaus fortbewegt, auch deshalb, weil er dort gebraucht wird. Denn der einst als Architekt so erfolgreiche Vater (Tobias Moretti) hat psychische Probleme und die stabile Mutter (Stephanie Japp) hat erst einmal das Herbeischaffen des Lebensunterhalts übernommen, was bedeutet, daß sich Simon um Haushalt und auch die kleine Schwester (Ella Frey) kümmern muß. Wäre nicht Tobias Moretti ein so eindringlicher Schauspieler, der die Rolle des Hans mit Wucht, Wut und Trauer auf die Leinwand bringt, wäre das noch mehr ein Film von dem, der auszog, erwachsen zu werden. In der Tat sind es diese beiden Stränge, die den Film wechselseitig vorantreiben.

 

Einerseits hat nämlich Simon eine gute Entschuldigung dafür, daß er solche Tätigkeiten wie Kinder zur Schule zu fahren als Lebensaufgabe lebt, während er keine Ausbildung macht und vor allem sein Zeichentalent brach liegen läßt, andererseits ist er wirklich der Stabile an der Seite seiner Mutter, denn Hans ist ja nicht nur an Schizophrenie erkrankt, sondern nimmt die Tabletten nicht mehr, die seine Schübe verhindern sollen. Er durchschaut auch die Strategien seines Arztes und überlistet seine Ehefrau, die ihm die Tabletten aufgelöst unter Essen und Trinken mischt. Er verweigert sich dem 'normal Werden'.

 

Zur Verweigerung hat Hans gute Gründe und jetzt wird der Film nicht nur individuell, sondern strukturell wichtig. Es ist einfach so, daß Tabletten, die sedieren, also den Patienten ruhig stellen, auch den Nebeneffekt haben, Regungen im Menschen ruhen zu lassen, die diese positiv für sich und für schöpferische Vorgänge brauchen. Denn dies hat Hans an sich erfahren, daß er bei Tabletteneinnahme geistig schwerfällig wird und das verliert, was man gemeinhin Kreativität nennt, das lateinische Wort für die Fähigkeit, daß ein Mensch Neues entdeckt, in Formen und Farben oder einfach als gedankliche Kraft. Und die Art und Weise, wie uns am Beispiel dieser Figur Hans diese Grundproblematik vor Augen geführt wird, ist deshalb so wichtig, weil man dies auf anderes, auch andere Medikamente und Folgen übertragen kann, aber dies auch über die Medizin hinaus übertragen kann: die Frage nach Ursache und Wirkung und inwiefern die Folgen nicht schlimmer sind als die Ursache war. Daß dies jeder – ohne andere dabei gefährden zu dürfen – für sich aber entscheiden darf, ist auch ein starker Moment des Films, über den wir weiterschreiben, wenn er anläuft.

 

INFO:

Beim Bayerischen Filmpreis 2013 wurde der Film für die herausragende schauspielerische Leistung gleich zweimal ausgezeichnet: Tobias Moretti (Das Wochenende, Das finstere Tal) erhielt den Preis als bester Darsteller. Jonas Nay (König von Deutschland, Homevideo) wurde als bester Nachwuchsdarsteller geehrt. Von der Deutschen Film- und Medienbewertung erhielt HIRNGESPINSTER das Prädikat „besonders wertvoll“.

 

Auf dem 32. FILMFEST MÜNCHEN feierte der Film in der Reihe „Neues Deutsches Kino“ seine Welturaufführung.



HIRNGESPINSTER ist eine Kinoproduktion der Münchner ROXY Film GmbH (Wer früher stirbt, ist länger tot, Almanya, Sommer in Orange) und entstand in Koproduktion mit GLORY Film, CRAZY Film, Bayerischer Rundfunk und arte.

 

HIRNGESPINSTER

Ein Film von Christian Bach

Kinostart 9. Oktober 2014