auf dem RückenSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. November 2025, Teil 10

Redaktion

Paris (Weltexpresso) - MIT LIEBE UND CHANSONS basiert auf Ihrem Roman „Ma mère, Dieu et Sylvie Vartan“ (2021). Es ist Ihre eigene verrückte Lebensgeschichte. Vom Kind, das mit einem Klumpfuß geboren wurde und dem Wunder, das Ihre Mutter vollbrachte. Bis zum Tod meiner Mutter Esther habe ich nie über meine Behinderung gesprochen. Nachdem sie nicht mehr da war, hatte ich den Wunsch, davon zu erzählen, um ihr und allen anderen unsichtbaren Müttern, die für ihr Kind kämpfen, eine Stimme zu geben. Ich wollte ihnen mit dem unbeschreiblichen Humor meiner Mutter Hoffnung und Mut machen.


Aber es gab noch ein anderes Geheimnis, das Sie daran gehindert hat, Ihre Geschichte zu erzählen…

Ich habe Sylvie Vartan kennengelernt, ohne dass sie etwas von ihrer Rolle in meinem Leben wusste. Ich hatte Angst, dass sie denkt, ich hätte das alles eingefädelt als wäre ich Glenn Close in GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN – eine Katastrophe. Obwohl ich meiner Mutter verboten hatte darüber zu sprechen, hat sie vor ihrem Tod meiner Freundin Sophie Davant alles erzählt, die es natürlich Sylvie erzählte. Sylvie war der Meinung, dass Künstler keine Bewunderung der Öffentlichkeit verdienen. Meine Geschichte aber hat das verändert, glaube ich.


Trotz ihrer Behinderung hatten sie eine schöne Kindheit?

Meine Mutter hat das Wort „Behinderung“ nie ausgesprochen. Wir lebten in einer Sozialwohnung im 13. Arrondissement. Als ich fünf Jahre alt war, krabbelte ich immer noch auf allen Vieren und verbrachte meine Nachmittage mit meiner Mutter und ihren Nachbarinnen. Meine Mutter war wie eine Vorsteherin des Wohnblocks. Mir erschien das alles völlig normal. Ich hatte nette Geschwister und einen liebenden, mutigen Vater. Es gab nie irgendwelche Beschwerden. Meine Mutter kümmerte sich um das Leben von allen sechs Kindern und war dabei
stets gut gelaunt.


Man bekommt im Film das Gefühl, Ihre Mutter lebte nicht wirklich in der Realität…

Sie hat die Wahrheit immer verleugnet. Als sie merkte, dass mir die Schulmedizin nicht helfen konnte, hat sie sich dem Glauben zugewandt. Sie versuchte es mit Beständigkeit, Vertrauen und Beharrlichkeit und indem sie Gott beschimpfte. Sie besaß eine unerschütterliche Zuversicht. Obwohl sie sehr übergewichtig war, erzählte sie, dass alle Taxifahrer mit ihr flirteten, weil sie wie Claudia Cardinale oder Sophia Loren aussah. Sie zweifelte nie an irgendetwas. Sie kämpfte wie eine der Frauen aus dem „Denver-Clan“. Sie fiel allen ins Wort und log sie an, wenn
es ihren Kindern zugutekam. Dennoch gelang es ihr, die Dinge zum Guten zu verändern. Man fand sie zwar peinlich, aber man bewunderte sie. Wie eine Filmheldin.


Zwischen dem Erscheinen des Romans und der Verfilmung sind nur drei Jahre vergangen. Eine sehr kurze Zeit.

Man könnte meinen, meine Mutter zieht noch immer die Fäden von da oben. Ich hatte mein Manuskript aus einem Impuls heraus noch vor der Buchveröffentlichung auf einer Party der Filmproduzentin Sophie Tepper gezeigt. Sie war begeistert von meiner Geschichte und bot mir an, die Rechte zu erwerben. Gleichzeitig hörte auch Sidonie Dumas (Gaumont) wie ich im Radio über das Buch sprach und interessierte sich dafür. Daraufhin hat ihr Sophie Tepper das Projekt vorgeschlagen. Die Sterne standen günstig und alles verlief wie in Lichtgeschwindigkeit.


Die Produzenten wählten den Kanadier Ken Scott, um das Drehbuch zu schreiben und zu inszenieren.

Sie meinen Ken Perez (lacht)? Er ist ein Wunder. Ein sensibler, sanftmütiger Mensch, aber auch sehr witzig. Er verleiht dem Film diesen gewissen Mix aus Drama und Komödie, den angelsächsische Autoren besonders beherrschen. Wir sind sehr gute Freunde geworden.


Haben sie die Dreharbeiten besucht?

Ja, mehrmals. Es gab einen magischen Moment als ich die Wohnung meiner Kindheit vollständig rekonstruiert sah. Ich hatte ein paar Fotos geschickt und die Einrichtung beschrieben, aber das hatte ich nicht erwartet. Alles war da: Das blaue Linoleum, die Spüle in der Küche, das Sofa… es war unglaublich.


Was war Ihr Gefühl als Sie den Film zum ersten Mal gesehen haben?

Ich hätte gerne ein bisschen Distanz bewahrt, um mir eine eigene Meinung zu bilden, aber ich wurde sehr schnell von meinen Emotionen überwältigt. Ich war extrem positiv  
überrascht von der komödiantischen Ebene des Films. Und ich konnte meine Freude darüber nicht unterdrücken, mich als Jonathan Cohen zu sehen.


Welche zusätzliche Dimension hat der Film im Vergleich zum Buch?

Der Film zeigt etwas, das ich bisher selbst nicht über meine Kindheit verstanden habe. Ich dachte, für eine Frau sei es selbstverständlich, für ihren Sohn zu kämpfen. Ich schrieb mein Buch wie eine fröhliche Fabel, eine Ode an das Leben. Als ich den Film zum ersten Mal sah, wurde mir die Dimension des Kampfes meiner Mutter bewusst. Ich hielt sie für unbesiegbar, in Wirklichkeit aber spielte sie mit dem Feuer. Die Behandlung hätte scheitern können und das Sozialamt mich wegnehmen. Mir wurde klar, dass es fast so weit gekommen wäre. Um ein Haar wäre ich von meinen Eltern getrennt, mit Beinschienen versehen worden und für immer behindert gewesen. Meine Mutter hatte den göttlichen Funken.


Was halten sie von der Wahl von Leïla Bekhti als Darstellerin ihrer Mutter?

Leïla hat mich meine Mutter vergessen lassen, ich weiß nicht, wie sie das geschafft hat. Sie sehen sich zwar überhaupt nicht ähnlich, aber vom Wesen sind sie gleich als wäre es ihre Substanz in einem anderen Gewand. Mit einer reinen Imitation wäre ich nicht glücklich gewesen, aber Leïla spielt sie so, wie sie sie versteht und das funktioniert. Sie lässt sie mit all ihrer Kraft wiederauferstehen und spielt dabei wunderbar.


Sylvie Vartan war Teil ihrer Behandlung und heute spielt sie sich selbst in MIT LIEBE UND CHANSONS. 

Während der achtzehn Monate, die ich mit meiner Behandlung ans Bett gefesselt war, sah ich fern. Mein Blick war auf ihre Augen, ihre Gesten und ihre Kleidung gerichtet. Ich lernte mit ihren Liedern lesen und schreiben. Sie war wie eine Medizin für mich. Ich kann, wenn es um sie geht, nicht objektiv sein. Für mich singt sie besser als Maria Callas. Ich freue mich über jeden ihrer Erfolge und empfinde unendliche Zärtlichkeit. Meine ganze Familie kennt ihre Lieder auswendig, mein Lieblingssong ist „Non, je ne suis pas la même“. Und ich wäre nicht der, der ich bin, ohne sie.

Foto:
©Verleih

Info:

Komödie /
Frankreich 2025 /
103 Minuten

Besetzung
Esther Perez.   Leïla Bekhti
Roland Perez    Jonathan Cohen
Litzie Gozlan.     Joséphine Japy
Sylvie Vartan.     als sie selbst
Madame Fleury.   Jeanne Balibar
Maklouf Perez.       Lionel Dray
Roland Perez (5 Jahre alt).      Naïm Naji
Jacques Perez (12 Jahre alt).   Milo Machado-Graner
Madame Vergepoche.     Anne Le Ny
Monsieur Foenkinos.      David Ayala

Stab
Regie
Ken Scott
Drehbuch
Ken Scott
Autor der Romanvorlage
Roland Perez

Abdruck aus dem Presseheft