Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. November 2025, Teil 15
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Beglückt verläßt man das Kino! Kaum zu glauben, dass ein Deutscher einen solch poetischen, verspielten, mehrfach historisch angehauchten, gesellschaftskritischen, ja politischen, witzigen, humanen und dazu wunderbar fotografierten Film geschaffen hat, der, die deutsche Romantik als heimlichen Lehrplan im Hintergrund, zudem filmisches Personal aufbietet, das gemeinhin auf der Leinwand kaum zu sehen ist und das einem nach und nach ans Herz wächst. Der Film ist herrlich schräg und zeigt den Alltag von Menschen, denen es aus verschiedenen Gründen nicht allzu gut geht.
Wenn es mit „Die schönsten Rosen blüh’n in Sangerhausen“ beginnt, ein Schmachtfetzen sondergleichen, und die Bilder der berühmten Rosen auftauchen, ist man erst einmal überrascht, dass es mit einem historischen Tableau weitergeht. Ach so, der junge Herr da, dem die Magd auf der weiten Terrasse gerade die Milch einschenkt, ist der berühmte Novalis, Dichter der Romantik, der eigentlich Georg Philipp Friedrich von Hardenberg heißt und im Herrenhaus nahe von Sangerhausen – oder ist es ein Schloß? – sich vielleicht gerade auf das Studium an der Bergakademie im erzgebirgischen Freiberg vorbereitet, damals tatsächlich die modernste Bildungseinrichtung Europas, wo auch Alexander von Humboldt den Bergbau, die Naturwissenschaften und die Gesteine studierte. Ein kleiner türkisfarbener Stein wird dann zum verbindenden Glied zwischen vier Episoden, die mit der jungen Magd Lotte (Paula Schindler) rund 1790 beginnt, die ihn aufgehoben hatte. Aber der Stein bringt ihr kein Glück, als sie mit dem jungen Stallburschen nach Paris aufbrechen will, wo der Revolution die gesellschaftlichen Umwälzungen gelingen und Leute wie sie das Sagen haben. Sehnsucht eben. Doch vorher sehen wir noch, wie Lotte die weiße Porzellanbettpfanne unter Novalis’ Bett hervorzieht und die nächtliche Wurst entsorgen muß. ‚Basis‘ und ‚Überbau‘ gewissermaßen.
Die nächste ist Ursula (Clara Schwinning), die wir beim Putzen kennenlernen, denn dort im Möbelladen saugt sie jeden Morgen und bedient später im dicht frequentierten Café, einem Ortszentrum und Anlaufsteller für Touristen sowieso. Ihr ist die Ödnis ihrer Situation – die 16jährige Tochter gerade aus dem Haus, der Ehemann halt schon altgedient – am deutlichsten anzumerken, die Sehnsucht nach einem anderen Leben eben, denn sie nimmt jede Anregung auf. Wie diese drei Musiker, die sie schon zuvor mit ihren Instrumenten in der Stadt gesehen hatte und die nun im Café sitzen. Vor allem Zulima (Henriette Confurius) hat es ihr angetan und diese geht auf ihren Vorschlag ein, ihr die Stadt zu zeigen. Da beginnt eine kleine Liebelei, auch hier Sehnsucht, doch gibt es ein schnödes Erwachen für Clara, als die Truppe am nächsten Morgen einfach abreist, obwohl sie doch ein Auto organisiert, besser: heimlich die Schlüssel entwendet hat, um die Drei zum nächsten Spielort zu bringen: dem Kyffhäuser, wo Friedrich Barbarossa noch immer nicht aus seinem Schlaf erwacht ist, wie wir dann sehen, weil sie dort Zulima wiedersehen will, was nicht gelingt.
Schon zuvor hatten wir im Café Neda (Maral Keshavarz) erlebt, wie sie mit Kamera und Stativ sich selbst in Szene setzt und erzählt, wo sie gerade ist und was hier los ist. Sie wird zum dritten Kapitel. Sie will als Reise-Influenzerin endlich Geld verdienen. Immer wieder verschwimmen Realität, Wunsch und Traum, die uns die innersten Wünsche, aber auch Ängste der Protagonisten verraten. Neda, die aus dem Iran fliehen konnte, macht sich was vor, dass sie eine Freundin, die nicht ausreisen konnte, jetzt hier wiederfindet. Alle Filmfiguren sind versehrt, Lotte kam nicht nach Paris, wurde noch in deutschen Landen geköpft, Ursula liebte einen anderen und lebt mit gebrochenem Herzen, was man nicht sieht, ihr aber – Sehnsucht! – anmerkt. Neda – ihre Wunde ist eigentlich der Iran und der Verlust der Heimat - hat einen verletzten, verbundenen Arm, was ihre Fotoarbeit mit dem Stativ extrem erschwert und Sung-Nam (Kyung-Taek Lie), um den es gleich gehen wird, hat eine auffällige Halskrause. Alle haben kaum Geld und als jetzt auch noch das Auto von Neda Totalschaden hat, wird ihr zappenduster. Man kann die Vielzahl der kleinen, feinen Geschehnisse gar nicht schildern, aber die auffällig an eine Pyramide erinnernde Spitzkegelhadle Hohe Linde muß erwähnt werden. Der künstliche Berg ist aus dem Abraum des geförderten Kupferschiefers aufgeschichtet worden und das Besteigen heute ein nur mit Führung erlaubtes Touristenziel. Seine heimliche Ersteigung wird unsere Protagonisten zusammenbringen und tatsächlich hat der Film nun mit dieser zusammengewürfelten Schar von Versehrten seine Form und Funktion gefunden.
Was jetzt abgeht, ist so aberwitzig, wie inniglich. Sung-Nam muß man ja erst einmal vorstellen. Und erst jetzt fällt so richtig auf, dass es bisher immer nur um Frauen ging. Er ist ein älterer, aus Korea stammende, aber in der Sowjetunion lebende Mann, der nicht in Afghanistan kämpfen wollte und deshalb hier gelandet ist und davon lebt, dass er mit seinem Bus den Leuten Touren anbietet. Ein Bus! Endlich hat Neda ein Äquivalent für den Verlust ihres Autos, Ursula wartet ja schon die ganze Zeit, dass was passiert und Sung-Nam muß nicht mehr alleine auf den kleinen koreanischen Jungen aufpassen, dem ihm die Frau aus Korea zur Aufbewahrung schickte, die er vor Jahrzehnten heiraten wollte.
Eigentlich begänne mit dem Bus und den Vieren ein neuer Film. Auf jeden Fall ist dieser aus und beschwingt geht man seiner Wege. Sonst.
Hier war ein Gespräch mit dem Regisseur angekündigt, den Gunter Deller vom Mal Seh’n für dessen dritten, hier gezeigten Film vorstellte. Julian Radlmaier freute sich erst einmal über den herzlichen, langen Applaus, dem sich viele lobende, ja begeisterte Worte anschlossen. Die Fragen gingen in alle Richtungen und da sie sich grob in dem hier abgedruckten Interview wiederfinden, kann man auf die Antworten verzichten. Aber es gab ja nicht nur Fragen aus dem Publikum. Dem Regisseur sind die Meinungen der Zuschauer wichtig. Und da wurde vor allem gelobt, dass die gezeigten Personen genau solche sind, die sonst nicht im Licht stehen und nicht vom Glück und mit Geld begünstigt. Die Rosen, die auffällig schönen Bilder von Wiesen, wie man sie sonst nur aus der Vergangenheit kennt, der ganze Film eine bildgewordene Poesie, die Skurrilitäten, die Musik, denn romantischer Schmalz dringt immer an den richtigen Stellen ins unser Ohr. Und als dann noch echte Sangerhausener, die angereist waren, sich glücklich über das Gesehene zeigten, freute sich das Frankfurter Publikum mit.
Ach ja, da gäbe es das eine oder andere, was man vielleicht...aber irgendwie hat man keine Lust mehr, mit durchaus nötiger Kleinkritik am Film herumzufummeln, weil er insgesamt einfach gelungen ist.
Foto:
©Verleih
Info:
SEHNSUCHT IN SANGERHAUSEN
Julian Radlmaier
Deutschland 2025,
90 Min.,
deutsche Fassung
Ab 13. November im Kino
Stab
Buch, Regie, Montage: Julian Radlmaier
Kamera: Faraz Fesharaki
Besetzung
Ursula: Clara Schwinning
Neda: Maral Keshavarz
Lotte: Paula Schindler
Zulima: Henriette Confurius
Marjam: Ghazal Shojaei
Sung-Nam: Kyung-Taek Lie
Buk: Buksori Lie
Bratschist Paul: Jérémie Galiana
Cellistin Daniella: Marlene Hauser
Grete: Luise von Stein
Arnulf: Andreas Döhler
Robert: Leonard Scheicher
Norbert: Jakob Schmidt
Frau Markgraf: Valerie Neuenfels