Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. November 2014, Teil 1

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – So oft finden Premieren nun auch nicht in Frankfurt statt, aber so selten auch nicht, aber noch nie hatte ein Film seine Premiere so eindeutig am richtigen, dem passenden Ort: nicht nur in Frankfurt, sondern im Kino Metropolis, das das umgebaute alte verläßliche Volksbildungsheim am Eschenheimer Turm ist, was auch Fritz Bauer ein Begriff war, der sich eben auch als Volkspädagoge verstand. Und es war.



Premieren haben ihre eigenen Gesetze, zu denen gehört, daß die Auserwählten deutlich zu spät kommen – das sind Regisseur Guilio Ricciarelli, Hauptdarsteller Alexander Fehling, zu dem auch seine Filmbraut Friederike Becht und der den FR-Reporter Gnielka spielende André Szymanski gehören,die vielen anderen und Robert Hunger-Bühler als Übriggebliebener, also mehr als leicht gestriger Chef der Behörde, dessen Oberchef Fritz Bauer war und dessen Filmpart Gert Voss verkörpert, zu dessen letzter Rolle dieser Film wurde, weil er im Juli 2013 plötzlich verstarb, weshalb seiner im Besonderen gedacht wurde und er mit dieser Rolle auch im kulturellen Gedächtnis bewahrt werden wird.



Gekommen waren ganz unterschiedliche Leute, die einen, die bei Filmen immer dabei sind, einfach dazugehören, aber auch die rund um das Fritz Bauer Institut, hier vor allem Werner Renz, der die Dreharbeiten begleitet hatte, dann gab es Ehrengäste wie den Oberstaatsanwalt a.D. Gerhard Wiese, der auch oft am Set war und damals als junger Assessor in Frankfurt angefangen hatte, aber auch Peter Kalb, der als ganz junger Mann Zeugenbetreuer im Auschwitzprozeß war. Gekommen war auch der Hessische Wissenschafts- und Kunstminister Boris Rhein, der dann vor dem Film mehr als ein Grußwort sprach, denn dieser Film hat sowohl einen politischen Hintergrund wie auch eine bessere Zukunft zum Thema: will sagen, Aufarbeitung der Infiltration von Nazis in bundesdeutsche Amtsstuben, insbesondere denen der Justiz. Boris Rhein sieht dies heute als Erziehungs- und Bildungsaufgabe an, ist aber selbst Jurist und weiß, wovon er redet. Und nach der Filmvorführung, als lang und breit allen gedankt wurde – das gehört einfach dazu - bedankte sich Rhein ausdrücklich dafür, daß bei den 800 000 Euro Filmförderung so viel herausgekommen sei.



Zum 123minütigen Film selbst ist viel zu sagen und wir fragten die Premierengäste auch, unter denen die Älteren sehr viel weniger waren und die Jüngeren sehr viel mehr. Betroffen waren sie alle: „Daß die Nazis so überwinterten, wußte ich nicht.“ - „Unglaublich, was waren das für Verhältnisse.“ - „Toll, diese Partys zu sehen, mit dem Rock 'n' Roll und dem Tanzen und gesoffen haben sie, das sagt meine Oma auch immer.“- „Ich kann das gar nicht fassen, dieser Fritz Bauer ist dem eigentlichen völlig unähnlich und hat doch dieselbe Wirkung.“ - „Dieser Staatsanwalt Radmann, das geht alles irgendwie so schnell, erst ist er so, dann so, das muß doch jeden überfordern, eine Verantwortung für die Geschichte. Mein Gott.“ - „Ich bin ganz durcheinander. Das war so viel und ständig passierte etwas. Traurig bin ich, wie so etwas geschehen konnte. Erst diese Verbrechern und dann das Leugnen von Schuld.“

 

Andere sprachen darüber, wie sie während des Films geweint haben, vor allem die Szenen, die im Film dann geradezu sequentiell unter viel Musik geschnitten sind, nämlich die Befragung der endlich namentlich gefundenen (Held der Wirklichkeit: Hermann Langbein) noch lebenden Opfer und deren Erzählungen von den Greultaten. Schon das Hören darüber, wie kleine Kinder in Auschwitz von einem dieser Verbrecher an den Füßen gepackt und mit dem Kopf gegen die Wand geschleudert ermordet wurden, ist unerträglich. Und im Sekundentakt wird von einer Schandtat nach der anderen berichtet, der reine Sadismus und das alles im Namen des deutschen Volkes. Ist das eine Einbildung, daß früher mehr Leute Konzentrationslager als Stätte der Verbrechen zum Gedenken besuchten? Das kann irgendwie nicht sein, denn gerade junge Leute, vor allem aus den USA und Israel, strömen beispielsweise in den Schwurgerichtssaal des Nürnberger Justizpalastes, wo die Prozesse gegen die Haupträdelsführer der Nazis stattfanden. Aber hier im Saal fanden wir nur zwei Ältere, die das Lager Auschwitz besucht hatten, denn dort zu sein, ist immer noch etwas anders, als es im Film zu sehen.



Auf jeden Fall kann man konstatieren, daß dieser Film bei den Zuschauern die richtigen Gefühle hervorruft, die von Scham und Mitgefühl und diese Gefühle sind nicht von falschen Begebenheiten auf der Leinwand verursacht, so sehr man den Film als überausgestattet und wirr im Erzählen zu vieler Geschichten empfindet. Wahrscheinlich sehen diesen Film diejenigen, die die Geschichte kennen, einfach anders als diejenigen, für die das neu ist. Und diese gibt es, wie man an diesem Filmabend wieder einmal merken konnte.



Die beiden jungen Staatsanwälte, die gemeinsam im Auftrag von Bauer ermittelten: Vogel und Kügler sind beide tot. Zu ihnen stieß zur Formulierung der Anklageschrift damals Gerhard Wiese, der, wie er vom Podium aus sagte, 'bis auf's Hemd“ ausgefragt, ausgequetscht wurde, was er von damals noch wisse und wie es überhaupt war. Das überraschte dann doch, daß er in seiner längeren Rede nach der Filmvorführung nur von sich sprach, kein Wort über Fritz Bauer wie auch Auschwitz verlor.



Das holte Heiko Maas, Bundesjustizminister, im Kaisersaal des Frankfurter Römer nach. Dorthin hatte der Frankfurter OB Peter Feldmann geladen, der den Film dringend in den Frankfurter Schulen sehen will, Fritz Bauer einen Helden nannte und ein Vorbild. Richtig. Heiko Maas setzte das nicht nur fort, sondern hob die Einzigartigkeit von Fritz Bauer hervor, weshalb er auch als Minister gerade einen speziellen Fritz Bauer Preis kreierte – es gibt bisher einen der Humanistischen Union, die Fritz Bauer mitbegründet hatte – den Fritz Bauer Studienpreis für Menschenrechte und juristische Zeitgeschichte. „Die Geschichte der deutschen Justiz ist alles andere als eine Heldengeschichte“, was man immer gewußt habe, was aber gegenwärtig die sogenannte Rosenburg-Kommission aufarbeite (Rosenburg wurde das Bundesjustizministerium in Bonn genannt).



Dabei geht es um den Einfluß der alten Nazis im Ministerium und der bundesdeutschen Justiz und die verheerenden Folgen. Heiko Maas nannte ausdrücklich den Namen Dreher, ein ehemaliger Nazirichter, der ins Ministerium protegiert, besonders unrühmlich für die frühzeitigere Verjährung der Beihilfe zum Mord, versteckt in einem Artikel des Ordnungswidrigkeitengesetzes verantwortlich ist, das der Bundestag wirklich ahnungslos 1968 beschlossen hat. Heiko Maas hatte einen starken Auftritt, den er mit dem Bekenntnis begonnen hatte, der Film habe ihn bewegt, aufgewühlt, aber auch wütend gemacht, wütend über die Versäumnisse der bundesdeutschen Justiz, weshalb derjenige, der sich damals entgegenstellte, Fritz Bauer, für ihn Vorbild sei.



Nur in einem irrte sich der Bundesjustizminister, als er meinte, daß dieses der erste Film über Fritz Bauer sei. Vielleicht hatte er auch die Produktionsnotizen Seite 9 gelesen, wo von der „im Kino noch nie erzählten Geschichte“ gesprochen wird, was einfach nicht stimmt. In diesem Moment erkannte man erst, daß den ganzen Abend über kein Wort zu FRITZ BAUER – TOD AUF RATEN, dem Dokumentarfilm von Ilona Ziok aus dem Jahr 2010 gesagt wurde, der tatsächlich im Ausland bekannter ist als in Deutschland und dort als Dokumentation gefeiert wird. Also befragten wir dann im Foyer, wo interessante Gespräche zwischen Filmleuten und auch Zuschauern untereinander bis weit in die Nacht abliefen, einzelne nach dem Ziokfilm. Sofort bejahte Hauptdarsteller Alexander Fehling, wie viel sie an Zeitkolorit aus den Aussagen über Fritz Bauer und auch den Originalaufnahmen geschöpft hätten. Für ihn ist es eine läßliche Filmsünde, daß Fehling selbst als Johann Radmann im Film die treibende Kraft ist, der den Auschwitzprozeß in die Gänge bringt und nicht, wie in Wirklichkeit Fritz Bauer selbst.



Auch Regisseur Guilio Ricciarelli kennt und schätzt den Ziokfilm, setzt aber als Spielfilmmacher andere Prioritäten. Auf den Hinweis, es gäbe – verstärkt beim zweiten Sehen des Films – einfach zu viele Geschichten in der Geschichte, zu viel Mode und Ausstattung der Fünfziger, so daß das eigentliche Thema darunter leide, kontert er: „Dieser Film ist für den Erstseher gemacht.“ Und er sagt auch etwas zur Person von Fritz Bauer, die in der Verkörperung durch Gert Voss im Film keine Randfigur sei. Da hat er unserer Meinung nach völlig Recht. Denn Fritz Bauer erscheint immer wieder quasi als deus de machine, wenn die Geschichte vom jungen Radmann hakt, wenn er neue Impulse braucht, seine Widerstandskraft schwindet und er den Unterschied zwischen den Hauptwidersprüchen und den Nebenwidersprüchen und ihre Aufarbeitung in der richtigen Reihenfolge lernen muß – lernen durch das strategisch-taktische Geschick des Hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer, dem Gert Voss nun eine weiteres Gesicht und eine Statur gegeben hat, an die man sich erinnern wird, wenn anderes aus dem Film längst verblaßt ist.

 

 

Literatur:

 

Gerade ist in der Europäischen Verlagsanstalt ein kleiner Band erschienen: Hrsg. von Kerstin Gnielka und Werner Renz, „Als Kindersoldat in Auschwitz. Die Geschichte einer Klasse“ von Thomas Gnielka, ein Romanfragment mit einer Dokumentation, die wir im Zusammenhang mit dem Film besprechen werden.

 

Ebenfalls dort erschienen ist von Bernd Naumann, Der Auschwitz-Prozess. Bericht über die Strafsache gegen Mulka u.a. vor dem Schwurgericht Frankfurt am Main 1963-1965, aktualisierte Neuausgabe mit einem Vorwort von Werner Renz.