87. Oscarverleihung in der Nacht vom Sonntag auf Montag, 22./23. Februar, im Deutschen Filmmuseum Frankfurt, Teil 4

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Noch immer sind wir im Filmmuseum, aber nur im Geiste, als dort lauter Jubel herrschte über die Prämierung von CITIZENFOUR, gedreht von der in Berlin lebenden Amerikanerin Laura Poetras, die Edward Snowden in Hongkong filmte, als er 2013 seine Enthüllungen über die NSA und andere Internetungeheurlichkeiten der Welt kund tat.

 

Und weil wir immer schnell dabei sind, über Hollywood oder überhaupt Amerika die Nase zu rümpfen, weil sich diese Vereinigten Staaten nicht nur zum Herrn der Welt aufspielen, sondern kulturellen Kahlschlag erzeugen, wenn sie mit ihren Werbestrategien die Erdenbewohner von sich abhängig machen, so wollen wir an dieser Stelle einmal ihr Loblied singen. Denn, daß sich der nationale Todfeind, zu dem Edward Snowden in der Meinung der meisten Amerikaner geworden ist, die ihn als Verräter ansehen und nicht – wie wir und andere – als Aufklärer und Sachwalter der freien Meinung und der freien Meinungsäußerung in der Welt, daß sich ein solcher Mann in einem Film auf dem wichtigsten Filmfestival der Welt zeigen darf – und dann die Filmemacherin auch noch den Oscar dafür erhält – das gibt es, behaupten wir, auch nur in den USA.

 

Dort gibt es nämlich, anders als in der braven Bundesrepublik, wo schon durch so etwas wie die Spiegelaffäre Leute als Vaterlandsverräter stigmatisiert wurden und allgemein Hysterie herrschte, statt einheitlich die Staatsoberen zu deckeln, in den USA also gibt es eine lange Tradition des investigativen Journalismus, die auch für die zum politischen Skandal produzierten Filme, die ja viel Geld kosten, gilt. Denken wir nur an die Watergate-Affäre, die flugs als Mißbrauch staatlicher Gewalt gebrandmarkt wurde, 1974 zum Rücktritt des Präsidenten Nixon führte und etliche filmische Aufarbeitungen hatte.

 

Nun ist das Besondere an Citizenfour, daß es eine Gemeinschaftsproduktion von Deutschland und den USA ist. Also auch ein Mitoscar für die Deutschen. Das ist auch nötig, denn die Preisverleihung für CITIZENFOUR, die wir begrüssen, verhinderte den Oscar für den wunderbaren Film von Wim Wenders SALZ DER ERDE. Sympathisch war, daß auch Wenders seine Konkurrenz quasi vorzog und Edward Snowden alles Gute wünschte. Daß der Film aber mitnichten nur aus politischen Gründen den Oscar erhielt, sondern tatsächlich ein hervorragend gemachtes Dokument der Zeitgeschichte ist, wo einem der Atem stockt, weil man dabei ist, das wollen wir in einer ausführlichen Filmbesprechung vertiefen, wenn am 8. Mai die DVD von CITZENFOUR erscheint.

 

Diesen Oscar zu erwähnen war uns wichtig, denn alle kann man nicht kommentieren. Wichtig ist uns aber noch etwas zur Oscarnacht im Filmmuseum zu sagen, die man so vielfältig nutzen kann. Auch für den Besuch der Dauerausstellung und der Sonderausstellung FILMTHEATER, wo es sogar noch bis 2 Uhr Oscar-Themenführungen gab. Wir sind stattdessen dabei gewesen, als mehrmals eingeladen wurde, in den im FILMTHEATER installierten Kinosaal, in dem es Wochenschauen der Fünfziger Jahre und noch danach zu sehen gab. Das überlegt man sich, als jemand, für den die jede Woche wechselnde Wochenschau – darum hieß sie ja so – im Kino als Kind die einzige Quelle der filmischen Information war – Fernsehen gab es erst gar nicht, später nur vereinzelt –, daß die heutigen Generationen das überhaupt nicht mehr wissen. Es war wunderbar, diese Stimmen aus der Kindheit und Jugend zu hören, denn damals sprach man einfach anders, diese Wochenschaustimmen voll von Weltbedeutung sind unverwechselbar.

 

Zudem ist es lustig, die kulturellen Änderungen im Sprachgebrauch und der Darstellung von Zeitgeschichte an Wochenschauen nachvollziehen zu können. Sicher liegt es auch daran, welche Erinnerungen man an damals hat. So glaubt es einem kaum einer, wenn man erzählt, daß man eine Wochenschau für immer im Gedächtnis behalten hat. Das war der Tod Stalins, der ja für mich als Kind überhaupt keine Bedeutung hatte. Aber ich sehe noch heute diesen Mann aufgebahrt auf dem Totenbett. Es muß das allgemeine Umfeld gewesen sein, daß mir als Kind dies zu einem Erlebnis von historischer Bedeutung machte. Diese Wochenschau, die möchte ich gerne wiedersehen. Das wäre ganz einfach und nach dieser frage ich das nächste Mal im Filmmuseum. Man muß nur den Todestag des russischen Diktators heraussuchen – es war der 5. März 1953 – dann vielleicht noch ein-zwei Tage dazugeben, denn es war die öffentliche Aufbahrung, die damals gezeigt wurde, an der Massen vorbeiströmten.

 

Leider haben sich die Besucher meiner Wochenschauvorstellung – zuerst kam niemand, dann war es voll – sofort in der Ausstellung verkrümelt, denn ich hätte sie gar zu gerne befragt, was sie eben gesehen hatten, ob Heutige, die nicht damit großgeworden sind, daraus geschichtliches Wissen schöpfen oder einfach vergleichen, wie pathetisch damals die Artikulation zu politischen Themen war, was aber offensichtlich ist und das Zuhören und Zusehen dann wiederum durchsichtig macht. Heute kommt das alles so sachneutral daher, die politische Kommentierung, ob die nicht viel stärker unterschwellig als Einfluß läuft und nicht vom Hirn kontrolliert wird. Das sind so Medienfragen, die sich anschließen und um die wir uns kümmern wollen.

 

Aber seit 2.30 Uhr läuft die Live-Übertragung aus Los Angeles und wir sind ab da total in die Preisverleihung vertieft, die lange lange erst einmal durch das Über-den-roten-Teppich Laufen bestimmt ist. Wim Wenders durfte besonders lange und launig reden. Aber das war nur gerecht, wo er schon keinen Oscar bekam, sich aber für seine Kollegin freute und darauf verwies, das dies ein deutscher Film sei. Das war dann in den Diskussionen untereinander im Foyer des Filmmuseums auch Thema, wie groß die Studioanteile von Babelsberg bei GRAN BUDAPEST HOTEL waren – und erst Görlitz! Das aber führt zum Anfang zurück. Diese Oscarnacht ist vorbei und alle können sich schon auf die nächste vorbereiten. Auf jeden Fall ist dies eine richtig gute Idee vom Filmmuseum, diese Nacht gemeinsam zu begehen, wenngleich...aber das Thema, daß Hollywood nicht alles ist, das hatten wir ja schon.