Wer bekommt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 62. Berlinale vom 9. bis 19. 2. 2012, 21/25

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Heute gab es den dritten deutschen Berlinale-Beitrag, der GNADE heißt und nach dessen Anschauen man selbst nur hoffen kann, daß einem selber die Gnade widerfährt, nicht durchmachen zu müssen, was im Film der Heldin unterläuft: bei Nacht auf einsamer Straße am Polarkreis in Norwegen überfährt sie ein Mädchen. Sie hält an, sieht nichts und fährt weiter.

 

Der Beginn ist durchaus ungewöhnlich, weil einem die Familie und was sie vorhat, in drei Teilen serviert wird. Da erscheint auf der Linken ein Junge (Henry Stange), der mit Kopfhörer Englisch lernt. Dann bleibt das Bild stehen. Rechts sieht man einen Mann (Jürgen Vogel), der seinem Kollegen erklärt, daß er wieder ins Ausland geht – er ist Ingenieur - , diesmal aber seine Familie mitnimmt, weil seine Ehe eine neue Chance braucht. Dann bleibt auch dieses Bild stehen. In der Mitte sieht man nun die Familienmutter Maria (Birgit Minichmayr) beim Wäscheaufhängen, wie sie einer anderen erklärt, daß und warum sie zusammen in den Norden gehen.

 

Dort, das ist Hammerfest, wo die Sonne zwischen 22. November und 21. Januar nicht scheint und es grausig kalt ist, sieht man die Familie dann mitten im Schnee. Niels arbeitet hart und hat gleich eine Affäre mit seiner blonden Kollegin. Maria, die Norwegisch spricht – in der Pressekonferenz erläutert Birgit Minichmayr, daß sie in sieben Wochen mit zwei Lehrern dies auf Bitte des Regisseurs Matthias Glasner erlernt habe - , arbeitet im Krankenhaus und betreut Schwerkranke, bzw. begleitet Sterbende in ihren Tod. Sie ist eine richtig Nette, kollegial und hilfsbereit, wenn es um Vertretungen und andere Hilfen geht. Zu Hause ist sie zusätzlich die liebevolle Ehefrau und gute Mutter.

 

Und dann passiert es. Sie hat – hilfsbereit wie immer – doppelte Schicht gestemmt, fährt des Nachts nach Hause, als ein Polarlicht sie kurz ablenkt und wir fast aus dem Kinosessel fallen, ob des Knalls, der aus den Lautsprechern kommt. Sehen kann man nur, wie sie auf der Straße ins Schlingern gerät. Sie fährt nach Hause, erzählt ihrem Mann verwirrt, sie habe wohl einen Hund überfahren. Der nun ist erst recht verwirrt, weil er seine Frau als aufrechte und immer besorgte und verantwortungsvolle Frau kennt und nicht verstehen kann, warum sie einfach weitergefahren ist.

 

Er macht sich auf den Weg, hält an der Stelle an, kann nichts sehen und fährt wieder zurück. Beide sind beruhigt. Dann aber melden die Nachrichten, daß eine 16jährige Schülerin auf dem Heimweg von einer Party überfahren und schwer verletzt wurde und an der Kälte dann verstarb. Das gibt Maria den Rest, denn zu der Schuld, einen Menschen angefahren zu haben, kommt nun die Gewißheit, daß sie die Tote hätte retten können. Der Ehemann, der sie erst zum Gang zur Polizei überreden will, stimmt ihr zu, daß sie niemanden davon erzählen.

 

Das schweißt die Eheleute erneut zusammen. Das ist richtig, daß große Unglücke bei Menschen, die miteinander etwas Schweres erleben, oft auch deren Beziehung wiederbeleben –oder es folgt die Trennung. Im Film allerdings kommt es einem nicht so sehr glaubwürdig vor, wenn beide nun so plötzlich voneinander erotisch angetörnt, geradezu  übereinander herfallen. Jetzt muß die Geliebte weg, die auch prompt abserviert wird. Als sie sich wehrt und ihn erpreßt, nimmt er das zum Anlaß, seiner Frau alles zu gestehen, die ihm daraufhin ihre Liebe erklärt.

 

Das ist die Grundgeschichte. Sie leben weiter in dem Ort, lernen das Elternpaar der Toten kennen und eines Tages halten beide den Druck nicht mehr auf und besuchen diese Eltern, um die Täterschaft zuzugeben. Was sollen die Eltern damit anfangen? Ratlos und weinend fragen sie, was sie mit dieser ‚Information’ nun anfangen sollen. Zur Polizei gehen? Der Film zeigt dann am Ende in langen Szenen mit der Mitsommernacht das friedvolle Zusammenleben des Ortes, darunter die Eltern des Opfers und die Täter. Auch der Sohn hat sich für seine Schandtaten längst entschuldigt.

 

In der Pressekonferenz wurde gefragt, warum die Geschichte des Ort des Geschehens im Film weiter keine Rolle spiele. Denn die ursprüngliche Stadt ist von den Deutschen im 2. Weltkrieg ausgelöscht und dann mit ihrer Hilfe neu aufgebaut worden. Der Regisseur begründet, warum er dies grundsätzlich im Film ausgelassen hat, obwohl ja grundsätzlich das Thema der Schuld zum Mittelpunkt des Films wird. Schuld hat hier erst einmal jeder, nicht nur die Mutter. Der Ehemann nimmt sich gleich wieder eine Geliebte, wie schon zu Hause.

 

Sohn Markus, dem sich ein Mitschüler nähern möchte, der aber wiederum vom Oberboß der Klasse abgelehnt wird, paßt sich diesem an. Wir erleben auf diese Weise immer wieder, wie das Leben einfach weitergeht, sich entschuldigt wird, aber zur Tagesordnung übergegangen wird. Das läßt den Zuschauer unbefriedigt. Was bedeutet der Titel beispielsweise? Gnade? Weil es für Maria dann doch noch gut ausgegangen ist. Ihre Tat die Ehe gerettet hat und damit die Familie? Nein, das kann nicht alles gewesen sein.