Serie: NACKT UNTER WÖLFEN. Zum Wiederaufleben des Romans durch die ARD-Ausstrahlung am 1. April 2015 , Teil 8

 

Elke Eich

 

Berlin (Weltexpresso) – Mehrere Anläufe braucht es, bis unser Gespräch endlich zustande kommt. Dafür haben wir dann aber auch viel Zeit, mehr als es vorher der Fall gewesen wäre! Schön!

 

Nackt unter Wölfen“ hatte zwischen unserer ersten Begegnung in Hamburg und unserem Gespräch auch schon zwei Vorabpremieren im Kino, eine in Weimar - auf ehemaligem DDR-Gebiet und in direkter Nähe vom KZ Buchenwald - und eine in Berlin, wo der Osten und der Westen Deutschlands so intensiv durchmischt ist.


Die Menschen in den Kino-Vorstellungen weinen, sind fassungslos, können erst mal nichts sagen. Florian Stetter ist auch da.

Cineasten kennen ist er durch seine Auftritte in “Amour Fou“, “Sophie Scholl“ und “Kreuzweg“ ein Begriff. Mit seiner Rolle als Friedrich Schiller in “Geliebte Schwestern“ von Dominik Graf ist der sympathische Schauspieler und Familienvater Florian Stetter seit 2014 einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Hans Pippig, Stetters Rolle in Philipp Kadelbachs Neuverfilmung von “Nackt unter Wölfen“ nach Motiven des gleichnamigen Roman von Bruno Apitz, ist Sympathieträger und Held.

Frank Beyer hatte den Stoff nach einem Drehbuch von Wolfgang Kohlhaase bereits 1963 verfilmt, und der Film wie auch Apitz’ Roman gehörten bald zum Kanon der Schul-Lehrstoffs in der DDR. “Nackt unter Wölfen“ mag wohl auch der meist gesehene DEFA-Film überhaupt sein. Kein Wunder, handelt er von einer Gruppe von Kommunisten und Sozialisten als Helden, die im KZ Buchenwald ein kleines Kind retten und als Befreier des KZ inszeniert werden. Hans Pippig – dargestellt von Florian Stetter - kommt mit seinem Vater ins Lager, den er bald durch SS-Hand verliert und erobert sich im Selbstverwaltungs-System im KZ einen Platz.


Wie war denn die Zusammenarbeit mit Philipp Kadelbach?

Gut! - Das Tolle bei Philipp ist ja, dass er wahnsinnig gründlich ist und sich wirklich in diesen Stoff hineingestürzt hat. Man hat immer gemerkt , dass er diese Geschichte mit Leib und Seele erzählen möchte und sich auch überlegt, wie er das filmisch umsetzen kann.

An Philipp gefällt mir sehr gut, dass er in Filmbildern denkt, ohne dabei an Substanz zu verlieren. Zusammen mit dem Kameramann Kolja Brandt hatte er auch ein visuelles Konzept, wie man dieses Grauen bebildern kann, und zwar ohne dass es jetzt tröge wird oder nur dokumentarisch ist.

 

 

Mir wurde beim zweiten Anschauen des Films verstärkt bewusst, dass die Figur des Hans Pippig ja eigentlich mehr dem Vater zuliebe unterwegs war, ohne selbst ein überzeugter Kommunist zu sein.
Und letztlich gerät er ins KZ, weil er dem Vater geholfen hat.


Genau. Er ist mehr oder weniger da so rein gestolpert...
Und er ist kein so überzeugter Typ, der Flugblatt-Aktionen machen wollte. Also, anders als bei “Sophie Scholl“ (Anm.: Florian Stetter spielte im Film einen studentischen Widerstandskämpfer) denen klar war, dass sie dafür ins Gefängnis kommen, wenn sie erwischt werden, oder wo es dann sogar noch weiter geht. Die Sophie Scholl ist ja ganz klar damit, was ihr passiert, wenn sie erwischt wird. Und das war ihr immer klar. Aber bei Hans Pippig ist es anders. Bei ihm ist es so, dass er seinen Vater aus Liebe zu ihm unterstützt, aber auch eher widerwillig. Das sieht man dann im Rückblick.

Er zweifelt den Nutzen der Flugblatt-Aktionen ja an sich an und diskutiert mit dem Vater darüber...


Ja, er fragt den Vater „Was willst du damit erreichen? Glaubst du wirklich, du kannst jetzt damit den Kurs der Nazis noch verändern?“
Das macht es dann auch wirklich tragisch, weil er letzten Endes ein Mitläufer vom Vater war und dann war's halt eine Aktion zu viel. Beide werden dann deportiert, wobei der Vater tragischerweise auch gleich umgebracht worden ist. Und er muss dann alleine relativ schnell lernen, zu überleben.


In diesem Lagerwahnsinn konnte er sich mit seiner Trauer darüber, dass er jetzt in diesem KZ ist, nicht lange aufhalten. Er musste relativ schnell auf die Beine kommen und gucken, wie er jetzt den Tag überlebt. Außerdem hat ihm André Höfel (Peter Schneider) relativ schnell klargemacht, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder er bleibt jetzt sitzen und weint seinem Vater hinterher - wobei er dann höchstwahrscheinlich auch gleich getötet wird – oder er näht sich jetzt dieses rote Dreieck an, das ihn als Häftling der Effekten-Kammer ausweist, und legt los! Und das ist die einzige Chance, zu überleben


Ja, und im Grunde genommen hatte es für ihn nur funktioniert in Kombination mit der Unterstützung von André Höfel. Ohne das Zureden von Höfel, hätte sich Pippig aus einem Impuls heraus so auffällig verhalten, dass er gleich getötet worden wäre.

Er wäre wohl in eine völlige Depression verfallen. Es ist ja auch der Wahnsinn: Da ist er gerade ins Lager gekommen, und der Vater wird gleich umgebracht. Er kommt überhaupt nicht mehr hinterher und ist eigentlich schon in Minute fünf am Ende.
Höfel hat ihn ja auf eine Art sogar gerettet, und das hat er ja schon in der Effektenkammer so anklingen lassen. Wir behaupten, dass Höfel den Vater kannte.


Er sagt ja auch: „Du bist der Sohn von Gottfried!“

Genau, er sagt: „Du bist der Sohn von Gottfried!“. Und Gottfried ist ein bekannter Kommunist, der sehr mutig ist und gegen die Nazis etwas unternommen hat. Das behaupten wir. Dadurch kriegt Pippig eine kleine Extra-Behandlung: Er muss nicht diese Holzpantoffeln anziehen, sondern er bekommt Schuhe, und er bekommt ein Stück Brot. Aber das ist nur, weil Höfel seinen Vater kennt.

Er hat also diesen Bonus durch den stramm kommunistischen Vater.
Stefan Kolditz sagte mir im Gespräch, dass die Menschlichkeit nur jenseits der Ideologie existiere. Was sind denn dazu Deine Gedanken? Du bist ja ein Westdeutscher, bist in Regensburg relativ behütet und weit weg von DDR-Mythen und –Ideologien aufgewachsen, in denen auch Frank Beyers Film entstand.


Der Frank-Beyer-Film ist, wie ich finde, ein großartiger Film – ein Lehrstück im brechtschen Sinne, weil relativ klar ist, dass es Gut und Böse gibt, und zwar klar aufgeteilt.


Bei uns ist es ein bisschen komplexer. Man sieht in unserem Film, wie man sich in einem solchen Lageralltag arrangieren muss, dass die höher eingestuften Häftlinge auch mehr Spielräume hatten. Man sieht auch, dass man Abtransport-Listen manipulieren konnte, wenn man jemanden hatte, den man beschützen wollte: Da ist Gut und Böse nicht mehr so klar definierbar.

Trotzdem haben sich diese Häftlinge total für dieses Kind eingesetzt, und dieses Kind hat etwas bei ihnen gezündet: einen Rest von Seele, eine Menschlichkeit, die sie wieder gespürt haben nach langer Zeit, und dass sie eben mutig und bereit waren, alles für dieses Kind - mit vollem Risiko - zu geben.


Ich glaube schon, dass so was nicht möglich ist, wenn du völlig dogmatisch indoktriniert bist. Du musst dich frei spüren können, so wie die Häftlinge durch dieses Kind. Das Kind hat bei diesen Häftlingen so etwas wie einen Panzer aufgebrochen, es wurde wieder etwas aktiviert, um überhaupt im Sinne einer Menschlichkeit handeln zu können. Und so was funktioniert nicht, wenn man es unter so ein großes Dogma stellt, dass wir sowieso “die Guten“ sind.


Bei stark ideologischer Sichtweise setzen meist Gruppenmechanismen ein, die bewirken, dass das Negative in der eigenen Gruppe in die Gruppen der Anderen hinein projiziert wird und man sich selbst im guten Lager wähnt.


Der Pippig wird mit der Zeit auch relativ hart.
Wenn er dieses Kind entdeckt im Koffer, siehst du, wie er schon völlig pragmatisch in diesen Strukturen ein Teil von diesem Zahnrad ist, ein Teil dieses KZ-Apparats. Du siehst, wie er die Häftlinge rum scheucht! Und wie er sagt: „Ihr müsst eure Koffer abgeben! Geht da hoch! Klamotten aus! Duschen!“ Et cetera… Und du siehst, wie dann dieses Kind bei ihm wieder etwas aufbricht! Aber ich finde es toll, dass Pippig auch mal so eine harte Seite hat, dass der nicht nur der große Sympathieträger ist. Ich finde schon, dass er nicht nur die ganze Zeit sympathisch ist, was sich auch gerade in der Szene mit den ankommenden Häftlingen zeigt, um die er sich kümmert. Er ist da schon eben auch ein Teil des Apparats.


Diese eher harten und pragmatischen Anteile von Pippig sind mir beim zweiten Sehen auch aufgefallen. Die Anteile, die mit dem Funktionieren-Müssen in diesen Strukturen zu tun hat. Das Funktionieren in dem Ganzen ist das A und O, und im Rahmen dessen beruhigt er die ankommenden Häftlinge noch mit der Aussage: „Es ist nur Wasser, kein Gas! Ihr braucht keine Angst zu haben.“ Das heißt: Im Rahmen des Möglichen beruhigen, aber im Ganzen doch funktionieren.

Genau.


Würdest Du sagen, dass die große Gefahr darin besteht, zu sehr in Systemen und im Funktionieren zu denken? Bzw., was sind denn aus Deiner Sicht die Lektionen, die Erkenntnisse für uns und für unsere Gesellschaft?

Ich glaube, du musst immer vor deiner eigenen Haustüre kehren. Es ist immer schwierig, was man jetzt auch beispielsweise bei der Pegida sieht: Wenn sich viele Leute sammeln und es einen Lautstarken gibt, der etwas vorneweg brüllt und sich viele dem anschließen. Letzten Endes sind ja so viele Bewegungen entstanden, weil es einen gab, der laut war oder der ein Paar schlüssige Formeln gesagt hat, und es viele gab, die in ihrer eigenen Not oder in ihrer Unzufriedenheit darin etwas darin erkennen, sich daran festklammern und dann einfach relativ blind und dümmlich hinterher laufen.

Du musst wirklich vor deiner eigenen Haustüre kehren. Und du musst gucken, mit den eigenen “kleinen“ Problemen, die jeder so mit sich rumträgt, etwas zu machen. Aber das sind meine, und das sind die, die mich ausmachen, und ich muss eine Haltung dazu zeigen, wie ich meinen Alltag und mein Leben bewältige, ohne dass ich auf die Schulter eines anderen hüpfen möchte, der mich dann durch mein eigenes Schlamassel trägt.

Man ist schon selber verantwortlich für das, was man tut und sollte da auch immer genau hinschauen und auch im eigenen Rahmen seine Möglichkeiten ausschöpfen: Sei es auch beim Einkaufen, dass man mal eine Tüte von jemandem trägt, bei dem auffällt, dass er gerade Probleme mit dem Tragen hat.

Das klingt alles banal, aber ich meine gerade, dass auch in dieser Banalität viel steckt. Ich vermisse auch, dass sich die Leute auf der Straße anschauen und wahrnehmen Dass jeder nur so für sich und in sich verbohrt ist und gar nicht mehr so in Kontakt geht.

Wenn diese Häftlinge bei „Nackt unter Wölfen“ keinen Kontakt miteinander gehabt hätten, hätten sie das Kind auch nicht retten können. Man muss miteinander umgehen und eben auch eine Haltung zeigen mit dem, was man dann auch möchte.

 

Die kleinen Gesten zählen schon auch. Und positive Energien hinterlassen positive Spuren im Gesamtkontext.

Das glaube ich auch. Die Gesten sind es!
Ich habe auch unterschätzt, was da so hängen geblieben ist nach diesem Filmdreh. Es war nicht möglich, das abzuschütteln. Abgesehen davon, wollte ich das auch gar nicht abschütteln.


So intensiv und so hart diese Drehzeit war, so positiv war die Erfahrung für mich, weil ich das sehr mochte: Dieses Sorgsame, wie Philipp Kadelbach das geführt hat und wie Nico Hofmann das Ganze produktionsmäßig aufgezogen hat. Dass der Rahmen immer sehr geschützt war für uns alle. Das war höchst-professionell. Das ganze Setting war so, dass es nie an irgendetwas gefehlt hat. Es gab keine Ablenkungen, und es war einfach so, dass wir sehr konzentriert arbeiten konnten. Das habe ich sehr genossen.

Und dann bin ich nachhause gekommen nach Ende des Drehs und habe gemerkt, wie ich weiter so einen Trauerkloß mit mir herumtrage aus dieser Depression, was diese Figuren erleben - auch meine Figur. Dieses sich völlige Hineinschmeißen, was ich und auch alle anderen getan haben, weil wir einfach voll eingestiegen sind, hat schon auch nachgewirkt. Und das muss man dann ernst nehmen und sagen: „Gut, das ist jetzt so, und das braucht auch Zeit zum Verklingen. Das hat bestimmt zwei, drei Monate gebraucht


Wie lange genau habt ihr gedreht – also, von wann bis wann?

Wir haben gedreht von April bis Juni.

 

Die meiste Zeit hattet Ihr in der Tschechien gedreht, aber ihr wart ja auch in Buchenwald selbst - für einige Schlüsselszenen.

Ja, aber wir durften in Buchenwald nicht auf den Appellplatz. Bis zu dem Tor durften wir dort drehen. Wir haben von der Rampe ab gedreht, den Karacho-Weg, Registratur dann zum Tor hin, aber nicht in das Gelände hinein. Das haben wir dann alles in der Tschechien gedreht.


Wie war für Dich diese am Originalschauplatz Buchenwald gedrehte Szene der Ankunft? Es sind ja völlig andere Dimensionen, das zu kennen, also darum zu wissen und darauf vorbereitet zu sein, und es dann am Originalschauplatz zu spüren bzw. zu spielen.

In Tschechien war es ein Set. Es war fantastisch gebaut, aber trotzdem wusstest du, es ist für diesen Film gebaut worden.
In Buchenwald war es echt. Da kannst du dich nicht in eine Fiktion flüchten, sondern da ist es einfach Realität. Und da sind die Gefangenen auch wirklich alle aus den Lastwägen rausgekommen und über die Rampe gegangen.

Sie mussten dann diesen berüchtigten Weg zum Tor lang laufen, genau das, was wir dann gedreht haben.
Das ist schlimm, weil einen die Realität einholt und man merkt, dass man eigentlich fehl am Platz ist, weil es letzten Endes ein Ort der Trauer ist und nach wie vor ein Ort des Todes. Ein Ort, an dem man eigentlich nur schweigen und nicht in eine Art von Aktivität verfallen möchte. Das hat uns noch viel mehr in eine Verantwortung gebracht

 

An diesen zwei, drei Tagen in Buchenwald war wirklich auch komplette Stille am Set. Und es war dann auch nur laut für die Szenen. Ansonsten waren wir sehr, sehr zurückhaltend und reduziert Das Team war reduziert Also, wirklich nur das, was wichtig ist: Kamera, Ton, Kostüm. Alle anderen Mitarbeiter waren nicht da. Das war das, was wir dazu beitragen konnten, damit es einfach nicht zu brutal da einbricht. Obwohl wir natürlich doch auf eine gewisse Art und Weise da eingebrochen sind. Deswegen war ich auch froh, dass wir nach zwei Tagen da wieder weg waren.


Die Erfahrung der Spielszene der Ankunft in Buchenwald hat Dich dann ja wohl auch ziemlich umgehauen.


Ja klar! Pippig ist ja mit seinem Papa zwei, drei Tage in diesem Lastwagen unterwegs – im Dunkeln hinten drin im Planwagen stehend. Und plötzlich ist da dieses völlige Überforderung: laute Hunde, Nazis, es ist Nacht, Geschrei! - Das ist schon sehr alptraumhaft. Ich hatte da auch immer wieder das Gefühl von Bildern von Hieronymus Bosch.

Die Momente und damit meine ich auch die inszenierten Momente, die ich als Schauspieler erlebt habe, fühlten sich mitunter regelrecht apokalyptisch an. Das war schon manchmal so wie ein gelebter Albtraum: gerade dieser Moment aus dem Planenwagen heraus, und dann bist du in diesem vernebelten Arrangement mit irgendwelchen Menschen, die schreien. Das war schon gruselig!


Und selbst am Drehort in Tschechien – auch wenn es sich um ein Set gehandelt hat – war doch das KZ dort auch extrem realistisch nachgebaut, soweit ich weiß. Ihr hattet doch dort nicht oder kaum Kulissen-Situationen, so im Sinne, dass da z.B. Türen gewesen wären, die dann ins Nichts hinführten.

Das Szenenbild bzw. die Kulisse hat ja Matthias Müsse gemacht, ein Super-Szenenbildner. Ich kann nicht sagen, dass der Buchenwald nachgebaut hat, weil Buchenwald so riesengroß ist, dass du das nicht mal schnell nachbauen kannst. Aber er hat praktisch eine reduzierte Form von Buchenwald so etwa auf die Hälfte des Areals originalgetreu nachgebaut.

D.h., dass es ein in sich geschlossener Komplex war. Und dass es, wie Du schon eben sagtest, nicht so war, dass es da Türen, die ins Leere führen, gegeben hätte und zwei Straßen weiter dann da noch eine Kulisse mit Baracken gewesen wäre: Nein, das war ein in sich geschlossenes Gelände mit Stacheldraht, mit dem Tor, mit den Wachttürmen, mit den Baracken, alles begehbar, total realistisch nachgebaut. Und dadurch waren wir wirklich in einem Gefängnis – und zwar permanent!

Über diese sechs Wochen, die wir da gedreht haben, waren wir da eingesperrt. Wir sind in der Frühe da rein. Das Tor ging auf, wir sind rein, das Tor ging zu, und wir waren dann da drin und haben gedreht. Und das war für uns als Schauspieler gut, weil wir dadurch wirklich auch das Gefühl des Eingesperrt-Seins, der Enge, des sich Ständig-Wiederholens hatten. Diese Ödnis des Lageralltags, das haben wir in einer Art auch wirklich erfahren als Schauspieler.

 


Was hat diese intensive Erfahrung in diesem realistisch nachgebauten,
geschrumpften Buchenwald-Lager mit Dir gemacht? Du bist ja dann auch abends in Dein kleineres Landhotel gefahren und hast Dich dort ohne Ablenkungen zurückgezogen.

Es bringt dich natürlich in eine Art von Trauer, weil du weißt, dass es Millionen von Menschen so erging. Und die waren eingesperrt. Und es waren Deutsche, die diese Menschen eingesperrt haben, und das ist ein Teil auch von meiner Vergangenheit, selbst wenn es schon viele Generationen zurück liegt. Aber ich bin Deutscher, und das ist eben auch ein Teil meiner Geschichte. Und das ist etwas, was sehr bedrückt. Im Drehalltag musste ich das allerdings eher ausblenden, weil ich ja als Häftling auch irgendwie überleben musste “in dem Ding“.

Ich war auch in diesem Pragmatismus und musste schauen, wie ich mir meine Kräfte einteile. Eigentlich konnte ich gar nicht sehr weit denken. Ich musste immer eher so denken: „Okay, das ist jetzt heute unser Drehtag und bis zur Mittagspause müssen wir das drehen.“ Und ich musste mir tatsächlich auch meine Kräfte entsprechend einteilen, um es überhaupt aushalten zu können.
Wir haben ja alle auch im Vorfeld sehr viel Gewicht verloren, damit wir nicht zu gesund ausschauen. Wenn man nicht mehr so viele Energiereserven hat, ist das natürlich auch etwas, was einen an bestimmte Grenzen bringt.

Wie viel hast Du im Vorfeld abgenommen?

Lass mich überlegen: Ich glaube, ich habe schätzungsweise zehn Kilo abgenommen.

Dann hat sich ja im Grunde genommen in Eurem Schauspieleralltag und an Eurem originalgetreuen Set das widergespiegelt, was auch im Lager war: Man musste in Buchenwald pragmatisch sein und seine Kräfte einteilen, um überhaupt überleben zu können.

Genau. Es waren auf jeden Fall bestimmte Impulse da, die ich jetzt nicht künstlich herstellen musste, sondern es ist einfach wirklich passiert. Die körperliche Erschöpfung hat wirklich stattgefunden, und das Nervenkostüm wurde dünner. Dadurch kam ich auch leichter in bestimmte Zusammenbrüche und Zustände, weil man eben nicht mehr so ein dickes Fell hat und die Haut - womit auch die seelische Haut gemeint ist - dünner und viel anfälliger wurde.
Was auf der anderen Seite auch heißt, dass man sich sehr schützen musste.

Ich musste auch aufpassen, gerade als wir in Buchenwald gedreht haben, dass ich selber nicht innerlich wahnsinnig werde und durchdrehe. Also, dass ich mein Privates irgendwie auch noch schütze, weil das so dicht und direkt reinging, diese Berührung mit dieser Geschichte, dass ich so einen Rest-Kern von mir, d.h. von Florian, vor dieser Materie auch schützen musste.

Was macht denn diesen Kern von Florian aus?

Na ja, es ist einfach das, zu wissen, wer ich bin, was mir wichtig ist, was mein Leben ausmacht. Das ist nicht was, was ich Dir direkt in Worten sagen kann. Das ist etwas, was ich in mir spüre, wer ich bin. Etwas, das hoffentlich viele spüren, wer sie sind. Was einem Kraft gibt. Wenn du so ein ständiges Leid permanent siehst – und das wird ja Kriegsreportern, die so was jeden Tag sehen, noch viel heftiger so gehen, oder Ärzten, die in irgendwelchen Krisengebieten sind. Das ist ja nochmal eine ganz andere Baustelle. Bei mir war es ja Film, und dafür ginge das mir schon sehr, sehr nahe.


Würdest Du das, was Du da schützen willst, als etwas “Heiles“ bezeichnen?


Es ist etwas Gesundes, würde ich sagen. Es ist etwas, was mir positive Energie fürs Leben gibt. Weil ich grundsätzlich ein positiver Mensch bin, der daran glaubt, dass es auch ein gutes Leben gibt.


Dann ist im Grunde genommen das Kind im Film eigentlich das, was an diesem “Gesunden“ andockt!

Ja klar. Deswegen setzt ja auch dieser Beschützerinstinkt ein, weil man dieses Kind diesem Wahnsinn nicht ausliefern möchte. Und was er bei den Häftlingen wiederum über diesen Beschützerinstinkt dann auch wieder etwas Heiles, oder etwas kleines “Restheiles“ bei ihnen wachruft und wo sie merken, dass sie noch nicht alles in ihnen bzw. in ihrer Seele kaputt gemacht haben.

Du hast ja intensiv mit Vojta gespielt, dem tschechischen kleinen Jungen, der in seiner Rolle diese katalysatorische Bedeutung für die Männer im KZ hat. Und Du hast Dir ja nahezu väterliche Sorgen um ihn gemacht, ob ihn diese Erfahrung belasten oder sogar traumatisieren könnte. Kannst Du Dir vorstellen, eines Deiner Kinder solch eine Rolle spielen zu lassen?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich muss auch dazu sagen, dass Vojta sehr gut geschützt war. Vojta war immer der letzte, der ans Set kam, und der erste, der sofort wieder gegangen ist.

Wir hatten noch ein zweites Kind, das sehr viel älter war, und dass ich zum einspielen hatte, wenn es dann doch mal etwas länger gedauert hat. Also, Vojta hat Gott sei Dank relativ wenig mitbekommen von dem, was wir da eigentlich gedreht haben. Er hat den Film auch nicht gesehen. Er war und wird schon sehr gut geschützt

 


Und wie haben diese Gefühle und Gedanken dann, als Du in Deiner Landhotel-Unterkunft nach den Drehtagen für Dich alleine warst, in Dir nachgewirkt?

Da ging es eigentlich. Währenddessen, d.h. in der Drehphase, ging es, weil ich so für mich am Abend froh war, dass das jetzt auf eine Art in diesem Lager bleibt. Und ich war dann immer am Abend eigentlich fast meditativ in meinem Hotelzimmer und habe geschaut, dass ich meinen Kopf leer kriege. Und das ist mir in der Zeit nicht besonders schwer gefallen, auch weil ich abends so erschöpft war, dass ich von daher eh schon ziemlich leer war. Ich hatte mich im Vorfeld gut vorbereitet und musste mich jetzt nicht mehr jeden Abend hinsetzen und überlegen, wie ich am nächsten Tag die Szenen spielen werde. Das wusste ich schon. Es ging darum, wie ich am Abend in diese Ruhe und wieder zu mir komme. Und das ist mir währenddessen nicht besonders schwer gefallen.

Was das Nachwirken betrifft, ging es eher um so Dinge, die danach stattgefunden haben – am Ende des Drehs, als ich wieder zuhause in Berlin war und dann gemerkt habe: „Da ist noch was, das mich noch von diesem Dreh begleitet.

 

Laut einer Studie finden 81% der Deutschen, dass man nicht mehr an der Nazizeit rühren und sie ruhen lassen sollte. Der Informations- und Motivationsbedarf scheint groß zu sein, was die Auseinandersetzung mit dem Stoff von „Nackt unter Wölfen betrifft“. Die Vertreter der jüngeren Generation sind nun auch nicht so hinterher, um sich diesen Teil der deutschen Geschichte in der Tiefe zu erschließen ... Was würdest Du, bzw. was möchtet ihr gerade der jüngeren Generation gerne mit auf den Weg geben?

Ich möchte bzw. wir möchten da natürlich etwas bewegen – und wir sind ja alle noch relativ jung, auch Peter Schneider.
Als ich 15 war haben wir mit unserer Klasse und unserem Geschichtslehrer das KZ Mauthausen besucht, und ich weiß noch, dass das für mich ein Schlüsselerlebnis war. Es bewirkte, dass irgendetwas bei mir aufging – was ich mir vorher so gar nicht vorstellen konnte. Das ist etwas, was wir erzählen müssen, und es ist etwas, das zu unserer Geschichte gehört.

Es wäre schon viel erreicht, wenn wir es mit unserem Film schaffen würden, dass wir die Fünfzehn- bis Siebzehnjährigen, für die schon der Mauerfall ewig weit weg ist, erreichen, dass wir es schaffen, ihnen ein bisschen die Augen öffnen können, dass sie Lust bekommen, ihre Augen dafür zu öffnen.


Über den Stoff lässt sich bestimmt vortrefflich mit Schülern arbeiten.

 

Ich bin auch gerne bereit, in die Schulen zu gehen und mit Schülern zu diskutieren. Das mache ich ja auch mit “Geliebte Schwestern“. Gerade gestern habe ich in Berlin wieder mit 100 Schülern diskutiert, über die “Geliebten Schwestern“ und über Schiller. Und ich merke, wie das ankommt. Ich merke, dass ich auch nicht zu weit weg bin von den Schülern, dass ich halt auch nicht jemand ganz Altes bin, der da sitzt und doziert. Sondern ich bin jemand, der auch Lust hat, mit den Schülern in Kontakt zu kommen. Und ich fände es toll, wenn uns das mit “Nackt unter Wölfen“ in dieser Weise auch gelingen würde.


Nach den Dreharbeiten zu „Nackt unter Wölfen“ hattest Du lange Zeit keine neuen Rollen angenommen.

Ich habe auf jeden Fall nach diesen Dreharbeiten erst mal bewusst pausiert. Wobei ich vorher schon wusste, dass ich jetzt nicht direkt gleich den nächsten Film drehen möchte.


Die Schwierigkeit war dann eigentlich viel weniger, dass mich diese Dreherfahrung jetzt so runtergezogen hat, als mehr, dass es in Deutschland eigentlich schwierig ist, gute Stoffe zu finden. “Nackt unter Wölfen“ war ein guter Stoff, “Geliebte Schwestern“ war einer und “Kreuzweg“. Ich hatte die letzten Jahre wirklich großes Glück und durfte viele gute Stoffe spielen. Aber es ist gar nicht so leicht, so ein Level zu halten oder auch eine Geschichte zu finden, die alles abfordert und abverlangt von mir, was ja auch ein Alles-Abverlangen im positiven Sinne sein kann. Viele Stoffe sind einfach müde und nicht mehr so frisch, wie man es sich wünschen würde.


In welchen Bereichen liegen denn in den deutschen Stoffen die Defizite, bzw. woran mangelt es eigentlich?

Es mangelt am Mut! Ich merke oft, dass es so mutlos ist, dass man versucht, etwas zu kopieren. Das kann irgendwie ein amerikanischer Film oder eine amerikanische Komödie sein. Dann ist es irgendwie so ein laues Stück, das dann probiert wird. Und dann wird versucht, aus einem Drama möglichst ein Melodram zu machen, aber dann so, dass bitte schön die Liebesgeschichte auf jeden Fall auch noch drin ist! Und so verliert man dann den Kern von dem, was man eigentlich erzählen möchte.

Und auch visuell, optisch ist Vieles so ähnlich, so nach dem Motto: „Einer macht's vor und hat damit eine gute Quote oder - beim Film - für den dann viele ins Kino gegangen sind. Und das alles frustriert mich! Ich sehe ja auch, bei vielen Schauspielkollegen, wie sie denken, sie müssten auf diese Boote aufspringen, weil die ja dann die größten Quoten bringen und es die großen Kinoerfolge sind. Bloß, damit sie solche Zuschauer-Catcher werden.


Und Quote, bzw. Kassenerfolge sind Dir weitgehend egal?

Als Schauspieler hätte ich schon das Gefühl, irgendwas zu verraten, wenn ich so denken würde. Ich definiere mich ja über das, was ich tue, also wie ich diese Stoffe und Figuren zum Leben bringe und wie komplex die auch werden. Aber wenn ich schon immer gleich ergebnisorientiert daran denken würde, dass ich jetzt möglichst 9 Millionen dazu bringen muss, dass sie den Fernseher einschalten, finde ich das schwierig. Auch weil es davon ablenkt, worum es eigentlich gehen sollte.

Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht möchte, dass ein Film Erfolg hat! Das schließt das ja nicht aus. Aber das ist nicht mein primäres Ziel. Und ich suche mir meine Stoffe nicht danach aus, ob sie massenkompatibel sind oder nicht.

 

Fotos:

aus dem Film (MDR) und der Premiere (c) Marco Prosch

 


INFO:
 
Das Buch
 
Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen, erweiterte Neuausgabe auf der Grundlage der Erstausgabe des Mitteldeutschen Verlags Halle (Saale) von 1958, hrsg. von Susanne Hantke und Angela Drescher, Aufbau Verlag 2012
 
 
 
Der Fernsehfilm
 
Originaltitel Nackt unter Wölfen
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 2015
Länge 105 Minuten
Altersfreigabe FSK 12
 
 
Stab


Regie Philipp Kadelbach
Drehbuch Stefan Kolditz
Produktion Nico Hofmann
Benjamin Benedict
Sebastian Werniger
Musik Michael Kadelbach
Kamera Kolja Brandt
Schnitt Bernd Schlegel
 
 
Besetzung
 
Florian Stetter: Hans Pippig
Peter Schneider: André Höfel
Sylvester Groth: Helmut Krämer
Sabin Tambrea: Hermann Reineboth
Robert Gallinowski: Robert Kluttig
Rainer Bock: Alois Schwahl
Rafael Stachowiak: Marian Kropinski
Thorsten Merten: Bochow
Torsten Michaelis: August Rose
Robert Mika: Zacharias Jankowski
Matthias Bundschuh: Gotthold Zweiling
Ulrich Brandhoff: Heinrich Schüpp
Torsten Ranft: Mandrill
Andreas Lust: Förste
Marko Mandi?: Leonid Bogorski
Janusz Cichocki: Zidkowski
Max Hegewald: Roman
Leonard Carow: Johann Müller
Robert Hunger-Bühler: Pippigs Vater
Vojta Vomácka: Kleiner Junge

    Matthias Bundschuh: Gotthold Zweiling
    Ulrich Brandhoff: Heinrich Schüpp
    Torsten Ranft: Mandrill
    Andreas Lust: Förste
    Marko Mandi?: Leonid Bogorski
    Janusz Cichocki: Zidkowski
    Max Hegewald: Roman
    Leonard Carow: Johann Müller
    Robert Hunger-Bühler: Pippigs Vater
    Vojta Vomácka: Kleiner Junge