Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. Februar 2016, Teil 7

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - – Das wäre interessant, diesem Dokumentarfilm aus Köln eine Berliner Szenerie gegenüberzustellen. Deshalb interessant, weil zum einen dasselbe Problem, derselbe Skandal auftauchen könnte, aber doch die Umgebung auf andere Weise reagieren würde. Denn die Stadt Köln gibt auch eine spezifische Wärme, wie dieser Film neben dem Skandal auch deutlich macht.

 

Welcher Skandal, fragen Sie jetzt hoffentlich? Einer, der nicht einzig in Köln zu erleben ist, sondern als NSU-Prozeß nun schon monatelang von München in die ganze Republik als Lähmung strahlt. Insofern kommt der Film auch zur rechten Zeit. Ja, genau „rechte Zeit“. Um die geht es, wenn Andreas Maus in 92 Minuten die Geschichte des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße von 2004 erzählt, wo das alte Vorurteil über Ausländer generell, solche Türken speziell, dazu führte, daß die Opfer des Anschlags für Staatsanwalt und Kriminalpolizei jahrelang als 'sichere' Täter galten und gegen sie als Verdächtige ermittelt wurde.

 

Es beginnt mit dem 10jährigen Jubiläum der bösen Tat, wozu man nicht gerne Jubiläum sagt, was ja mit Jubel zu tun hat, besser wäre es, vom Jahrestag oder dem Gedenktag zu sprechen, was auch in den Reden der Angereisten zum Ausdruck kommt: vorneweg Bundespräsident Gauck u. a. Feiertagsredner. Man sieht in glückliche Gesichter, die der Überlebenden, die nun Hoffnung haben, daß die Schuldigen bestraft werden. Man sieht in die türkischen Geschäfte hinein, voll von Backwaren, deren leckeren Geruch man zu riechen glaubt.

 

Und dann beginnen die Interviews: „Ich war auf der Keupstraße...“, „Ich war auf der Autobahn...“, „Kurz nach drei bin ich in den Laden...“, „Es gibt 107 Geschäfte in der Keupstraße...“ und wir verstehen nach und nach, daß die in Köln-Mülheim gelegene Keupstraße das Zentrum des türkischen Geschäftslebens ist. Das Attentat geschah am 9. Juni 2004 durch eine ferngezündete Nagelbombe. Vier Menschen wurden schwer verletzt, einer in Lebensgefahr, 17 Personen insgesamt verletzt. Der Attentatsort, ein abgestelltes Fahrrad mit der Bombe auf dem Gepäckträger, stand direkt vor dem Friseursalon, der vollständig verwüstet wurde, die benachbarten Geschäfte waren schwer getroffen und auch die auf der Straße stehenden Autos beschädigt. Am stärksten wirkt die Stille nach dem Krach.

 

Bundesinnenminister Schily sprach tags darauf sofort von einem kriminellen Hintergrund, der aber sehr schnell in solchen Kreisen wie einer türkischen Mafia gesucht wurde. Man konnte sogar mittels einer Überwachungskamera einen Mann mit Fahrrad identifizieren, aber der blieb unbekannt und sein Aussehen ließ auf einen dreißigjährigen Mitteleuropäer schließen; eine Baseballkappe verhinderte, daß man das Gesicht sah. Auch ein Phantombild brachte keine Verdächtigen, die man sehr schnell der türkischen Szene zuordnete. Der Film hat keine Längen, denn wenn man sich im Kreis zu drehen glaubt, dann folgt der Film den schleppenden Ermittlungen, die sich nicht nur im Kreise drehen, sondern dessen Pfeile immer wieder in dieselbe – in die falsche – Richtung zeigen: ins türkische Umfeld. Das wissen wir alles so genau, weil der Regisseur uns die originalen Dokumente zu hören, manchmal auch zu zeigen gibt.

 

Die Zeugenaussagen sind allerdings zum allergrößten Teil nachempfunden, also werden vorliegende Texte von Schauspielern gesprochen. Dabei dramatisieren diese nichts, sondern erschrecken eher durch ihren berichtenden unaufgeregten Ton, der nicht zu den dramatischen Worten paßt. Ein Stilmittel, das dem Film eine Nachdenklichkeit mitgibt, die schon vom Thema her geboten ist, diese Erschütterung und Wahrhaftigkeit aber erhöht. Nicht zu glauben ist, daß die Ermittlungsbehörden auch nachdem die Untersuchungen in eine ganz andere Richtung gingen und erst im November 2011 der Anschlag einer rechtsterroristischen Gruppe – besagter Nationalsozialistischer Untergrund NSU – nachgewiesen werden konnte, nachdem auch der erste Verdächtigte einem Täter der NSU Morde von 2005 in Nürnberg ähnlich sah, wo aber wie bekannt ebenfalls in die falsche Richtung, nämlich ins Umfeld der Türken ermittelt wurde - , nicht zu glauben ist, daß auch heute diese Ermittlungsbehörden – Polizei und Staatsanwaltschaft - in Köln sich nicht zu dem jahrelangen Skandal falscher Ermittlungen über sieben Jahre gegenüber der Öffentlichkeit, hier dem Regisseur äußern. Sie hätten doppelten Grund dazu: erstens klar zu legen, wer es war und zweitens, aus welchen Gründen sie jahrelang in falscher Richtung untersuchten.

 

Es war nämlich der Friseur mit seiner Frau der Hauptverdächtige über eine lange Zeit, einschließlich DNA-Tests. Er wurde nicht nur skurril observiert, ein Beamter trat als angeblicher Käufer auf und als das nichts wurde, kam ein zweiter türkischstämmiger hinzu, sondern wurde in jeder Hinsicht – Steuer! - durchleuchtet, zudem, das erkennt man im Film genau, hoffte die Strafbehörde, die Eheleute gegeneinander ausspielen zu können. Man faselte von Schutzgeldern, eben einer türkischen Mafia und der Türsteherszene.

 

Eindeutig gehört dieses Nagelbombenattentat zum Münchner NSU-Prozeß. Warum dies nicht deutlicher wird, hat auch damit zu tun, daß alle Verletzten überlebten. Warum die Anwohner von zwei Bomben sprechen, bezieht sich darauf, daß die erste eine Nagelbombe war und die zweite die durch die Behörden in falsche Richtung laufenden Ermittlungen wie eine Bombe auf die Straße und ihre Nachbarschaft wirkten. Eine Entschuldigung fehlt bis heute. Deutschland hat mehr als ein Problem mit Fremdenfeindlichkeit. Nicht nur auf den Straßen, auch in deutschen Amtsstuben. Beschämend. Dieser Film zeigt dies nicht mit dem Holzhammer, sondern durch die Akten selbst.

 

P.S.:

 

Wir sind der Filmfirma dankbar, daß wir mittels einer DVD den Film sehen konnten, der in Frankfurt nicht in einer Pressevorführung lief. Wahrscheinlich gehört er in die Kategorie von Filmen, die erst im Fernsehen ein größeres Publikum gewinnen. Wir hoffen, daß wir das mitbekommen und machen dann gerne darauf aufmerksam.

 

 

Genauso weisen wir daraufhin, daß vom 25. Februar bis 8. März der Dokumentarfilm jeweils um 18 Uhr im Frankfurter Kino MAL SEH'N in der Adlerflychtstraße 6 läuft.