„Wir sind hier nicht in Amerika.“, erinnert Inspektor Colbert (Olivier Rabourdin) den abgehalfterten Schriftsteller, den Gerald Hustache-Mathieu vor die titelgebende Frage seines kriminalistischen Kurrikulums stellt. „Wir sind in Mouthe.“ Verschneit und verschlafen, ist das Städtchen in der französischen Provinz was Winnipeg für Kanada ist: der kälteste Ort des Landes, wo keinerlei Leben Fremde anlockt. Nur der Tod.  

Im Fall von David Rousseau (Jean-Paul Rouve) ist es der des Erbonkels, der seinen Besitz der Gemeinde vermacht. Dem an einer Schreibblockade laborierenden Krimiautor hinterlässt er nur Toby. „Toby? Ist der nicht tot?“ Das ist der präparierte Berner Sennenhund, der mit seinem Herrchen nun im Jenseits vereint ist, und nicht das letzte der Todesopfer. Das letzte ist Candice Lecoeur (Sophie Quinton). Ihr Lächeln hypnotisiert David von einem Straßenplakat vor Mouthe, das sich als ihr Geburtsort rühmt. Der Nachtrag, das es auch ihr Todesort ist, fehlt noch. So frisch ist die Leiche der wasserstoffblonden Lokalschönheit, die als Kalendermädchen, Werbemodel und Wetterfee eine Provinzkarriere machte. Der Körper, dem sie den bescheidenen Ruhm verdankte, ist konserviert im Schnee, wo er mit einer Dose Schlaftabletten in der erstarrten Hand gefunden wird, im Gefrierfach der Pathologie, wo David sie auf der Suche nach kreativer Inspiration aufsucht, und in seiner Fantasie. Letzte schlägt ihr lockendes Traumbild in Bann.

Von der Geistesverbindung impliziert der retroreflektive Soundtrack mit einem gehauchten „I put a Spell on You“. Die Fähigkeit allein durch ihre Erscheinung zu bezaubern brachte Candice ins Fernsehen und in die Betten der drei gegensätzlichen Männer, denen David nachforscht. Der frühere Biathlet Gus (Lyes Salem), Nachrichtenredakteur Clement (Fred Qiring) und Bezirkspräsident Jean-Francois Burdeau (Ken Samuels) sind die kleinstädtischen Pendants der Sportstars, Intellektuellen und Staatsmänner Marilyn Monroes, nach der Candice modelliert. Nicht nur auf äußerlicher Ebene. Beide seien am 1. Juli geboren, erfährt David von Candice´ Psychiaterin Juliette Geminy (Arsinee Khanjian). Und beide wählen den Nachnamen ihrer Großmutter für ihr Pseudonym. Candice neurotische Identifikation mit Marilyn gewinnt einen makaberen Twist dadurch, dass sie noch nicht einmal Candice Lecoeur ist, sondern Martine Langevine. Kein Name für eine Schauspielerin, sagt sie dem Fotografen, der sie entdeckt.

Das ließe sich leicht ändern, entgegnet der und der Straßenrand vor einer schäbigen Tankstelle wird Geburtsstätte von Candice Lecoeur. Der seelische und biografische Ballast, den das fragile Starlett mit sich herumträgt, ist indes immer noch der von Martine. Sie sei zwei Menschen, notiert sie in den Tagebüchern, die David verschlingt: „Die Tochter eines Niemands und ein anderes Mädchen, das ich nicht kenne.“ Der Zuschauer kennt sie umso besser aus Filmen, Büchern und Mythen über Marilyn Monroe, aus denen das skurrile Handlungsgespinst schöpft. All das Feinsinnige und Zartbittere der morbiden Amour Fou zwischen lebensüberdrüssigem Autor und toter Muse wurde schon anderswo gesagt - von originären Figuren in spannenderen Szenarien. Die Inszenierung teilt die Sehnsucht nach Reinkarnation, die alle Figuren treibt. „Um jemand zu sein muss ich jemand anderes werden.“, ließt David in Candice Tagebüchern, die er zu einem Kriminalroman verarbeiten will: geschrieben im Stil James Ellroys und veröffentlicht unter norwegischem Autorennamen.

„Suchen Sie sich ein neues Thema.“, warnt Colbert David, dessen Zweifel an Candice Selbstmord heimliche Ermittlungen mit dem Dorfpolizisten Leloup (Guillaume Gouix) schüren. Die kollektive Brutalität, die sie enthüllen, ist die Schattenseite des armseligen Ruhms, den die Hauptfiguren teilen. Neben einem Augenblick zärtlicher Zweisamkeit an der Kreuzung ihrer Wege, deren interessanterer sich mit Candice traurig-süßer Stimme verliert: „Ich mag das Ende von Büchern und Filmen nicht. Vor allem, wenn es schlecht ausgeht.“

Oneline: Manche mögen´s kalt(blütig) in der tragisch-komischen Lookalike-Lovestory.