Maria Orska by Arnold MocsigaySerie: MARIA ORSKA  ... WIEDERENTDECKT ...Die Verfolgung einer kulturhistorischen Spur..., Teil 6/15

WM.Wolfgang.Mielke

Hamburg (Weltexpresso) - Gleichwohl: Die Orska ist aber der Grund, weshalb Kortner nach diesem recht erfolglosen Jahr kurzerhand nach Berlin zu Reinhardt engagiert wird: #"Für mich ganz überraschend griff die Orska in mein Schicksal ein. Es war etwa sechs Uhr, als sie eines Morgens bei mir im Zimmer erschien, um mir mitzuteilen, dass ihr Onkel, der Geheime Kommisionsrat Frankfurter, der sagenumwobene Vertreter aller Großen des deutschen Theaters und der internationalen Oper, in etwa einer Stunde, aus Paris kommend, eintreffen werde.

Ich solle mich sofort anziehen und ihn mit ihr zusammen von der Bahn abholen. Das wäre für einen Unbekannten die einzige Möglichkeit, an den Vielbeschäftigten heranzukommen. Sie werde ihren Einfluss auf ihren Onkel für mich verwenden. Ich passe nicht in ein Provinztheater. 'Sie gehören nach Berlin. Ich warte unten auf Sie.' Das alles vollzog sich sachlich und unpersönlich.

Es klappte! Frankfurter war offenbar ein reicher Mann, verdiente viel Geld und lebte auf großem Fuß. Ich tat meinen ersten Blick in diese Welt. Er stieg mit seinem exquisiten Großweltgepäck in einem Zwei-Zimmer-Appartment des an sich schon ehrfurchtgebietend teuren Hotels ab. Wir frühstückten opulent zu dritt. Schließlich sagte er: 'Schön sind Sie gerade nicht. Aber bei Reinhardt sind alle mies. Da gehören Sie hin.' Er hob den Hörer ab und verlangte Berlin, Deutsches Theater, mit einer Selbstverständlichkeit, als ob die Menschheit seit Adam Ferngespräche geführt hätte. Ich sollte zum erstenmal einem beiwohnen. Auch Ham and Eggs hatte ich vorher noch nie zum Frühstück gehabt. Mich beeindruckte das alles mächtig. Betrachtete doch mein Vater ein gekochtes Ei am frühen Morgen als Hochstapelei.

Berlin meldete sich, und Frankfurter sprach mit einem Vertreter Reinhardts. Zuerst über das von ihm gemanagte, bevorstehende Gastspiel des Reinhardt-Ensembles in Russland. Städte und Daten wurden genannt. Mir benahm's den Atem. Da war sie, die große Welt. Ich fühlte, etwas feierlich gehoben, dass ich sie an diesem ereignisreichen Morgen betreten hatte. Schließlich erwähnte Frankfurter meinen Namen. Er musste ihn buchstabieren. Noch! - dachte ich, durch all das dreist geworden. Eines Tages werde ich auch an internationalen Tourneen teilnehmen, so wohnen und Ferngespräche führen. Frankfurter sagte äußerst Schmeichelhaftes über mein Talent.

'Hab' ich ihm geschrieben', flüsterte die Orska mir zu. 'Sie sollen, sobald Sie können, nach Berlin kommen und sich vorher ansagen. Sie werden Max vorsprechen.' Das war Reinhardt. So wurde er von seinem Kreis genannt. Ich bekam auch ein Glas Sekt."# --- Und Kortner schließt mit einer Bemerkung über die Orska, der er diesen rasanten Karriere-Sprung zu verdanken gehabt hat: #"So unglaubwürdig und paradox diese Orska in allen Lebensäußerungen war, dem Beruf gegenüber war sie offenbar geradlinig. Ihr Interesse für mein Talent war echt. Was sie an Aufrichtigkeit besaß, gehörte ausschließlich dem Theater."#

Damit trennten sich die Wege beider. Kortner wurde von Reinhardt mit auf die Tournee nach Russland genommen; die Orska wechselte ans Hamburger Schauspielhaus; das ebenfalls ein Helmer & Fellner-Bau und im Inneren sogar ein getreuer Nachbau des Wiener Volkstheaters ist. Es wurde übrigens in nur 1 Jahr schlüsselfertig errichtet, - eine Leistung, die man sich heute nicht einmal mehr vorstellen kann! - Im 2. Weltkrieg wurde das Haus nicht beschädigt; und so steht es, von einigen kleinen, teils ganz unnötigen Veränderungen (wie dem Wegwerfen der originalen Eingangstüren aus Holz) abgesehen, heute noch mehr oder weniger unbeschädigt da. 

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Info:
Ursula Overhage, "Sie spielte wie im Rausch" / Die Schauspielerin Maria Orska, Henschel-Verlag, 2021
Fritz Kortner, Aller Tage Abend, Kindler Verlag GmbH, München, 1959  (ist seitdem in mehreren Taschenbuchausgaben erschienen)