Bildschirmfoto 2025 05 08 um 01.11.09Pläne nach vorne und bisherige Zahlen des Schauspiel Frankfurt, Teil 1

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - In einer Zeit, in der gesellschaftliche und politische Gewissheiten ins Wanken geraten, richtet das Schauspiel Frankfurt seinen Blick auf die Brüche und Verwerfungen unserer Gegenwart – und nimmt dabei die grundlegenden Fragen in den Blick: »Woher kommen wir?« und »Wohin gehen wir?«. Die neue Spielzeit versteht sich als künstlerische Auseinandersetzung mit einer Welt in brüchigen Zeiten. Sie beleuchtet, wie Vergangenheit und Zukunft untrennbar miteinander verwoben sind, und zeigt, dass jeder Aufbruch auch ein Echo des Vergangenen in sich trägt.

Das Programm der neuen Saison umfasst - ob in großen politischen Erzählungen oder in intimen Familiengeschichten -Themen, die im Lichte aktueller Entwicklungen eine neue Dringlichkeit erhalten.


Bildschirmfoto 2025 05 08 um 01.10.25Der Spielplan

Eine Uraufführung eröffnet im September im Schauspielhaus die neue Spielzeit und leitet einen thematischen Schwerpunkt ein, der den menschlichen Körper als Bühne für gesellschaftliche Erwartungen und den Traum von ewiger Jugend in den Fokus rückt. In unterschiedlichen ästhetischen Handschriften setzen sich die Produktionen mit Schönheitsidealen, Optimierungszwängen und der Vergänglichkeit auseinander.

Ferdinand Schmalz, der für seine gleichermaßen komischen, intelligenten und sprachkünstlerischen Texte bekannt ist und dessen »jedermann (stirbt)« und »Mein Lieblingstier heißt Winter« bereits am Schauspiel Frankfurt zu sehen waren, hat für das Ensemble das Grusical »Sanatorium zur Gänsehaut. Eine Entfaltung« geschrieben. Den musikalischen Abend inszeniert Jan Bosse, der in Frankfurt zuletzt »Onkel Wanja« und eben »jedermann (stirbt)« auf die Bühne gebracht hat. Der Wunsch, auch in Zukunft ewig jung zu bleiben, ist die Triebfeder dieser bissigen Uraufführung.

Damit beschäftigt sich auch »Das Bildnis des Dorian Gray«. Der Klassiker von Oscar Wilde über die (Un-)Vergänglichkeit von Schönheit und verstecktes Begehren wird ergänzt und fortgeschrieben mit Texten des Dramatikers Marcus Peter Tesch, der in seinem Schreiben der Geschichte von Körper und Körperbildern nachfühlt und sie in die Gegenwart holt. Der Regisseur Ran Chai Bar-zvi wurde zuletzt mit dem Kurt-Hübner-Regiepreis ausgezeichnet und zum Festival »Radikal jung« eingeladen. Seine bildstarken Inszenierungen begegnen auch existenziellen Stoffen mit einer großen Leichtigkeit, ohne den ernsten Kern zu verharmlosen. Mit »Das Bildnis des Dorian Gray« feiert Ran Chai Bar-zvi sein Debüt am Schauspiel Frankfurt.

Der ehemaligen Schönheit nachzusinnen, das steckt auch in »Süßer Vogel Jugend« von Tennessee Williams, den Max Lindemann im großen Haus inszenieren wird. Er zeigt den amerikanischen Klassiker durch eine pointierte Reduktion der Mittel in aller schonungslosen Nüchternheit. Zuletzt war Max Lindemann mit seiner Inszenierung »Phädra, in Flammen« von Nino Haratischwili am Schauspiel Frankfurt zu Gast.

Die Eröffnung in den Kammerspielen widmet sich in der Uraufführung »So langsam, so leise« von Björn SC Deigner dem Thema Demenz: Was bleibt, wenn die Erinnerungen verschwimmen? Die Regisseurin Luise Voigt wurde mit ihrer Inszenierung »Die Gewehre der Frau Carrar / Würgendes Blei« mit Texten von Björn SC Deigner zum Theatertreffen 2025 eingeladen. In Frankfurt setzen Regisseurin und Autor ihre erfolgreiche Zusammenarbeit fort. Zugleich stellt sich die für ihre außergewöhnlich starken inhaltlichen und ästhetischen Zugriffe bekannte Regisseurin Luise Voigt mit dieser Arbeit erstmals am Schauspiel Frankfurt vor.

Die Dresden Frankfurt Dance Company ist wieder zu Gast am Schauspiel Frankfurt. Mit seiner neuen Produktion »Here is There« hinterfragt Ioannis Mandafounis gemeinsam mit dem Tanzensemble grundlegende Vorstellungen vom Menschsein. Inspiriert von Themen der Science-Fiction – wie Klonen, Zeitreisen oder Unsterblichkeit – verhandelt die Choreografie ethische, gesellschaftliche und existentielle Fragen unserer Zeit. Im Zentrum steht Mandafounis’ einzigartige Improvisationsmethode, die es den Tänzer:innen ermöglicht, live auf der Bühne eine stets neue, körperlich dichte Choreografie zu erschaffen. Die Produktion reiht sich in die experimentelle Arbeit des Künstlerischen Leiters ein, der immer wieder neue Formate und Erzählweisen im Tanz erforscht. Mit »Here is There« lotet er die Grenzen des Vorstellbaren ebenso aus wie die des Tanzes selbst.

Die Frage danach, woher wir kommen, wird in einem weiteren Spielzeit-Schwerpunkt zum Ausgangspunkt einer künstlerischen Auseinandersetzung mit Frankfurter Prägungen, Geschichten und Theatertraditionen.

Den Auftakt bildet Claudia Bauers Inszenierung, die – anlässlich des 60. Jubiläums der legendären Uraufführung von Peter Handkes »Publikumsbeschimpfung« unter Claus Peymann – diesen ikonischen Text nach Frankfurt zurückholt und auf die Bühne des großen Hauses bringt. Nach »Mephisto«, »Der diskrete Charme der Bourgeoisie« und »Der Würgeengel« ist dies ihre vierte Inszenierung am Schauspiel Frankfurt.

Nach dem Abschluss seiner Frankfurter Essens-Trilogie (»Der alte Schinken«, »1994 - Futuro al dente« und »Der kleine Snack«) schlägt das Text- und Regieduo Stuhler/Koslowski mit seinem neuesten Stück »Die Affäre auf der Straße nach Monaco / L´affare di via Monaco« ein neues Kapitel auf und kehrt für seine – nunmehr ebenfalls vierte - Arbeit nach Frankfurt zurück. Eine Gruppe ungleicher Gefährt:innen macht sich auf zu einer Spurensuche, um der Frage nach der Geschichte und den Geschichten Frankfurts auf den weitverzweigten Haupt- und Nebenstraßen, Handelswegen und Gassen der Stadt nachzugehen.

Die Gerichtsakte von Susanna Margaretha Brandt wurde 1772 geschlossen, doch ihr tragisches Schicksal bleibt bis heute rätselhaft. Bekannt wurde sie als Vorlage für Goethes Gretchenfigur. Das Dark-Pop-Duo »Smilla Zorn & Awesome Universe« (bestehend aus Ensemblemitglied Lotte Schubert und Musiker Thorsten Drücker) begegnet ihrer Geschichte in »Cold Case: Gretchen brennt« mit melancholischen Texten und sphärischen Klängen – und beleuchtet Themen wie Armut, weibliche Unterdrückung und die strafrechtliche Verfolgung von Schwangerschaftsabbrüchen, die bis heute nachwirken.

Politische Zeiten erfordern politische Stoffe. Im Schauspielhaus stellt sich die Regisseurin und Essener Ko-Intendantin Selen Kara mit »Antigone« erstmals in Frankfurt vor, indem sie den antiken Stoff aus einer weiblichen Perspektive befragt. Dabei richtet sie den Blick auf die Kontinuität des Konflikts zwischen Gewissen und Ordnung, Freiheit und Fügung.

Bertolt Brecht schrieb 1941 im Exil mit »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« eine Parabel auf die Karriere Adolf Hitlers und der Nationalsozialisten. Die Ansiedlung der bissigen Satire im amerikanischen Gangstermilieu stellt die Ereignisse nicht als schicksalhaftes Verhängnis dar, sondern als Konsequenz der herrschenden Verhältnisse unter der Mitwirkung Vieler. Regisseur Christian Weise und sein Team erschaffen bildgewaltige und musikalische Welten, in denen sie Klassiker des Theaters spielerisch einer zeitgenössischen Befragung unterziehen.

Ebenso erschreckend aktuell ist Michail Bulgakows »Meister und Margarita«. Der im Exil lebende russische Regisseur Timofej Kuljabin, in Frankfurt bekannt durch seine Inszenierung von »Macbeth«, zeichnet in seiner Adaption dieses Weltromans das Bild einer korrupten Gesellschaft, in der die Unberechenbarkeit allgegenwärtiger Gewalt zum System geworden ist. Aus der Perspektive einer forensischen Rekonstruktion legt er die Mechanismen heutiger totalitärer Herrschaft frei.

Nach den gesellschaftlichen und existenziellen Fragen richtet sich ein anderer Blick auf ein ebenso prägendes Gefüge: die Familie. Ihre Strukturen, Spannungen und Wandlungsprozesse – früher wie heute – bilden einen weiteren thematischen Schwerpunkt der kommenden Spielzeit.

Anja Hillings Auftragswerk »Spiel des Schwebens« stellt faszinierende Fragen von beunruhigender Aktualität. Künstliche Intelligenz ist eine technologische Realität, deren Folgen wir noch lange nicht überblicken können. Wie weit sind wir bereit zu gehen? Es inszeniert Christina Tscharyiski, die nach »Ein Sommernachtstraum«, »Mascha K.«, »IchundIch« sowie »Der Raub der Sabinerinnen« wieder nach Frankfurt zurückkehrt.

Shakespeares »Viel Lärm um nichts« um Liebe in Zeiten des Krieges wird oft als erste »Romcom« der Literaturgeschichte gefeiert. Doch die Fragen, die der Text stellt, sind keineswegs leicht zu beantworten: Wo endet der Krieg, wenn der Frieden beginnt? Was (oder wen) lieben wir, wenn wir meinen zu lieben? Tina Lanik zeigt die klassische Komödie als Spiel um die Liebe in bedrohlicher Zeit.

Den Verfall einer Familie in Umbruchzeiten wird Johanna Wehner in »Buddenbrooks« von Thomas Mann zum Ende der Spielzeit im Schauspielhaus in den Blick nehmen. Sie ist für ihre vielstimmigen Romanbearbeitungen bekannt und hat in Frankfurt zuletzt »Dracula« und »Hiob« inszeniert. Der detailverliebten und humorvollen Sprache Manns wird sie auf der Bühne ihren Raum geben und die Familiengeschichte mit einem großen Ensemble inszenieren.

Mit Franz Kafka, einem Zeitgenossen von Thomas Mann, setzt sich die Uraufführung »Kafka on Fire« auseinander. In Roy Chens Stück fordern Figuren aus Kafkas letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Erzählungen »Ein Hungerkünstler« ihren Platz in der Geschichte ein – vier gescheiterte, aber einzigartige Zirkusartisten. Sie verhandeln die Opfer, die Kunst den Künstler:innen abverlangt: Wo endet die Bühne, wo beginnt das Leben? Der in Deutschland lebende Regisseur Don Aloni und der in Israel bekannte Autor Roy Chen entwerfen in ihrer Zusammenarbeit ein kafkaeskes Szenario über Moral, Identität und Zugehörigkeit.

Eine weitere Persönlichkeit der deutschsprachigen Literatur feiert 2026 ihren 100. Geburtstag: Ingeborg Bachmann. Anlässlich dieses Jubiläums zeigt Andrea Stoll in ihrem Theaterstück »Zwei Menschen sind in mir, einer versteht den anderen nicht« den Menschen hinter der Ikone. Die Nachwuchsregisseurin Ella Haid-Schmallenberg feiert mit der Uraufführung dieses Stücks ihr Debüt in den Kammerspielen.


JUNGES SCHAUSPIEL

Das Junge Schauspiel widmet sich in seinen Stücken ebenfalls der Frage, woher wir kommen und wohin wir uns bewegen bzw. wie wir den Umbrüchen in unserer Gesellschaft begegnen. In den Kammerspielen entsteht das Stück »Paradiesvögel«. Ein junges Ensemble begibt sich auf eine suchende Reise durch die Krisen und Zumutungen unserer Zeit. Inmitten von Sinnfragen, Zukunftsängsten und gesellschaftlichem Druck entsteht ein vielstimmiges Bild von Trauer, Wut, Lebenshunger und Widerstand – jenseits einfacher Antworten und gerader Wege.

Die Ausstellung »SHEROES. Comic Art from Africa« im Weltkulturen Museum Frankfurt zeigt die Vielfalt der afrikanischen Comicszene. Junge Künstler:innen erzählen mit starken Figuren von Geschichte, Zukunft, Identität und gesellschaftlichen Herausforderungen. Inspiriert von der Ausstellung entwickelt ein junges Performance-Ensemble vor Ort in »Nahaufnahmen« eigene künstlerische Reflexionen über Umbruch, Hoffnung und die Frage, was in eine veränderbare Zukunft mitgenommen werden soll.

In der Vorweihnachtszeit kommt mit dem Familienstück »Momo« wieder eine fantastische Geschichte über das Geschichtenerzählen, über Freundschaft und Mut für alle ab 8 Jahren auf die Bühne.

Die 10. Ausgabe von UNART, dem Jugendwettbewerb für multimediale Performances, initiiert von der ODDO BHF Stiftung, präsentiert im Jahr 2026 Performances selbstorganisierter Jugendgruppen auf Bühnen im Thalia Theater Hamburg, Staatsschauspiel Dresden und Schauspiel Frankfurt. Aktuelle Themen Jugendlicher treffen auf ungewöhnliche Formen und bewegende persönliche Geschichten. Die Gruppen von drei bis zwölf Performer:innen im Alter von 14 bis 20 Jahren erhalten Unterstützung von professionellen künstlerischen Coaches verschiedener Kunstsparten. Das Finale der sechs Gruppen – diesmal im Bockenheimer Depot – verspricht ein Feuerwerk an Ideen und Formen.

Die intensive künstlerische Zusammenarbeit mit Schulen wird ebenso fortgeführt wie die theaterpädagogische Begleitung von Inszenierungen – unter anderem des Familienstücks »Momo« – sowie zahlreiche inklusive, kreative Prozesse in Workshops.

Die Box am Schauspiel Frankfurt ist und bleibt ein Ort für Experimente, ungewöhnliche Begegnungen und neue Erfahrungen. Auch in der neuen Spielzeit werden hier Regiedebüts gefeiert, neue Formate erprobt und andere Wege eingeschlagen.

Ensemble, Band und Special Guests setzen ein erfolgreiches Musikformat in den Kammerspielen fort: Im »Liedschatten« mischen sich weiterhin Pop mit Chanson, Experimentelles mit Punk, Trash mit Romantischem.

Das Begegnungsformat »Nach(t)gespräch« ist eine Dialogreihe im Kammerfoyer. Zu ausgesuchten Inszenierungen kommen Expert:innen unterschiedlicher Disziplinen mit Ensemble und Publikum ins Gespräch, um die in der Inszenierung aufgeworfenen Themen diskursiv zu beleuchten.

Wie in den vergangenen Spielzeiten wurde passend zum Themenfeld auch die Fotostrecke und das Spielzeitheft gestaltet. Die Bilder von Noel Richter zeigen das Ensemble im Stadtraum, inmitten von Bewegung. Für das digitale Magazin sind in diesem Jahr mehrere literarische Beiträge der Autor:innen entstanden, die man sich wie gewohnt vom Ensemble digital vorlesen lassen kann.


Fotos:
©Robert Schittko
v.l.: Lukas Schmelmer (Dramaturg), Alexander Leiffheidt (Geschäftsführender Dramaturg), Katja Herlemann (Dramaturgin), Katrin Spira (Geschäftsführende Dramaturgin), Anselm Weber (Intendant und Geschäftsführer Schauspiel Frankfurt) mit Publikum

v.l.: Lukas Schmelmer (Dramaturg), Alexander Leiffheidt (Geschäftsführender Dramaturg), Katja Herlemann (Dramaturgin), Katrin Spira (Geschäftsführende Dramaturgin), Anselm Weber (Intendant und Geschäftsführer Schauspiel Frankfurt)

Info:
Quelle Schauspiel Frankfurt