
Peter Menne
Offenbach (Weltexpresso) - Die Gemeinschaftsausstellung „Check Your Dogma“ von Sarai Meyron und Ahmad Rafi wurde am Freitag in den prall gefüllten Räumen des „Bundes Offenbacher Künstler“ (BOK) von Ricarda Hinz eröffnet. Die Vorstandsvorsitzende des Düsseldorfer Aufklärungsdienstes (DA!) und Beirätin der Giordano-Bruno-Stiftung erläuterte, warum die beiden Preisträger eines Düsseldorfer Wettbewerbs jetzt in Offenbach zu sehen sind. Ilka Mottscheller, Vorsitzende des BOK, führte in ihrer Begrüßung aus, dass es ein Akt gegen Dogmatismus und pro Demokratie und Meinungsfreiheit ist, jetzt die beiden Werke − von beiden Künstlern zu einer Gesamtinstallation vereint − zu zeigen. Sarai Meyron und Ahmad Rafi begeisterten anschließend die über fünfzig Gäste mit ihrer Performance.


Ahmad Rafi wurde 1961 in Teheran geboren und lebt seit 1986 in Deutschland. Heute lebt und arbeitet er in Frankfurt. Sie entstammen also sehr verschiedenen Kulturkreisen − deren Heiligtümer sich jedoch auf dem Jerusalemer Tempelberg treffen.
Die Performance
Zu Beginn ihrer Performance verbanden sich Meyron und Rafi jeder mit einem weißen Schal die Augen. Sodann führten sie vor der laufenden Projektion von Meyrons Video ein intensives Gespräch über ihre Werke, ihren Zugang zur Wirklichkeit und die Intentionen, die sie damit verbinden. Ein zentrales Thema war Heimat: was bedeutet sie für die Jüdin, deren eine Großmutter aus Bayern stammt? Was für den Iraner, der seit fast vierzig Jahren in Deutschland lebt? Für beide sei „Heimat“ mit Bewegung verknüpft, konstatierte Rafi. Seine ersten drei Jahre in Deutschland seien schrecklich gewesen − erst als er die deutsche Sprache erlernt hatte, sei es besser geworden; jetzt fühlt er sich in Frankfurt heimisch. Aber auch in Teheran, wenn er dorthin reise − aber auf eine andere Art. Für ihn ist „Heimat“ nichts Ortsgebundenes, sondern in Bewegung: er könne sich auch vorstellen, in Indien zu leben. Etwas ziehe ihn hin zu der dortigen Hochkultur… Entscheidend sei die Sprachkenntnis, über die die Verbundenheit hergestellt werde.
Für Meyron ist Heimat das Ergebnis einer bewussten Entscheidung − einer Entscheidung, die auch geändert werden könne. Auch für sie ist Heimat nichts Fixiertes, was sich in ihrer persönlichen Geschichte spiegelt: im Wechsel erst in Israel, dann in den USA, anschließend wieder in Israel großgeworden, entschied sie sich nach ihrem Zivildienst zum Studium in Deutschland. Wichtig ist ihr, nicht auf „Jüdin“ reduziert zu werden: das wäre eine Einstufung in eine Gruppenidentität, mit der ihre Individualität übergangen werde.
Unangenehm aufgefallen war ihr, wie deutsche Behörden ihre Einbürgerung verzögerten. So hätten Ämter Unterlagen angefordert, die gar nicht nötig seien. Hätte sie sich einen Anwalt genommen, wäre der Verwaltungsakt wohl deutlich schneller durchgeführt worden, so die Künstlerin. Nachdem sie die gute Nachricht zuvor erst ihrem Freund mitgeteilt hatte, informierte sie nach der Performance auch das Publikum über ihren frisch eingegangenen Einbürgerungsbescheid − worauf sie mit freundlichem Applaus im Kreis deutscher Staatsbürger begrüßt wurde.
Das Werk von Sarai Meyron
Sarai Meyrons Video „Memory of maybe tomorrow“ ist ihre ganz persönlichen Auseinandersetzung mit dem Zionismus − gleichermaßen mit der Idee des Zionismus wie auch ihren innersten Gefühlen und ihrer familiären Beziehung dazu. Die Familien ihrer beider Eltern waren jüdische Flüchtlinge, so dass Meyron versucht, „diese zionistische Ideologie meiner Familie zu verstehen und gleichzeitig meine eigene politische Kritik daran zu äußern.“ Dabei personifiziert sie den Zionismus, leiht ihm (überwiegend) ihr eigenes Gesicht als seines − wobei das ganze Bildmaterial zumeist blau eingefärbt ist. In einer Einstellung dominiert grün, in einer weiteren sind es blau und orange. Die Figur spricht hebräisch, dazu gibt es englische und deutsche Untertitel. Jeweils nur sehr kurz werden Bilder in natürlichen Farben eingeblendet: ein in Sonne leuchtendes Feld roter Mohnblumen, das später rot eingefärbt wiederholt wird. Weiter Sanddünen, Wüste und das Meer mit sich brechenden Wellen.
Das Video ist in die fünf Kapitel Geburt, Traum / Albtraum, Verlust, Loyalität und Liebe untergliedert. Im ersten Kapitel „Geburt“ fließt sehr viel Wasser: das Gesicht ist regenüberströmt, wird gefragt: „warum weinst Du?“ − „weil ich geboren wurde“. Als tragendes Gefühl wird Angst benannt. Das zweite Kapitel beginnt mit der Suche nach einem Zuhause, dem Traum von einem Haus mit Garten. Der schöne Traum kippt um in einen Albtraum; „das Wasser schmeckt nach Blut“. Mit dieser Metapher spielt Meyron sowohl auf den Exodus der bliblischen Juden aus Ägypten wie auch die Nakba an. Sie schreibt: „Dort wurden Häuser, die von vertriebenen oder geflohenen Palästinenser*innen zurückgelassen wurden, an jüdische Flüchtlinge weitergegeben.“ Dann zitiert sie die Haggada, „einen jüdischen Text, der am ersten Abend des Pessach-Festes gelesen wird. Im wesentlichen hält er uns dazu an, uns selbst so zu betrachten, als hätten wir den Exodus am eigenen Leib erfahren. Das ermutigt uns dazu, zu versuchen, verschiedene Standpunkte und Sichtweisen zu verstehen, indem wir uns in die Situation anderer hineinversetzen“.
Auch in den folgenden drei Kapiteln personifiziert Meyron die Idee des Zionismus und verweist mit ihren Metaphern auf unterschiedliche Aspekte seiner Geschichte − sowohl generell wie auch ihrer ganz persönlichen Erfahungswelt. Im letzten Kapitel „Liebe“ ist das Gesicht gedoppelt, der innere Konflikt wird auf zwei Köpfe verteilt, die widerstreitenden Positionen etwa zur Vergangenheit diskutieren: „ich muss wissen, was passiert ist“ prallt auf ein „es ist schwer für mich“. Dabei geht es um einen Entwicklungsprozess. Interessant ist der Lösungsvorschlag: „beginne doch mit Lügen − dann ist es einfacher, zur Wahrheit überzugehen“. Dabei endet der Film mit Bildern vom Meer: seinen Wellen als Symbol des Wandels.
Die Werke von Ahmad Rafi
Ahmad Rafi zeigt vier Ölgemälde mit Motiven aus Jerusalem: fast fotorealistisch malt er auf zwei Werken die Klagemauer − doch menschenleer: purer Stein mit ein wenig Gestrüpp, das aus manchen Fugen herauswächst, leuchtet im Sonnenschein. So pur, so leuchtend wird kaum jemand die Mauer zu Gesicht bekommen können − Masenansammlungen von Touristen und betenden Gläubigen sind hier die Regel. Das mit „Tor von Damaskus“ betitelte Bild zeigt eine typische Szene aus der Jersualemer Altstadt: während auf dem Platz in der Bildmitte uniformierte Polizisten jemanden kontrollieren, wartet im Hintergrund eine Schlange arabisch gekleideter Menschen auf Einlass. Das vierte Bild zeigt eine Gruppe von Palästinensern, die auf einen Checkpoint zulaufen.
Die Ölgemälde zeigen also alltägliche Ausschnitte − doch auf gänzlich ungewöhnlichem Material: Rafi malte auf Buchdeckeln. Die Bilder hat er absichtlich niedrig gehängt, um so den Blick auf die Buchrücken zu ermöglichen. Beide Bilder der Klagemauer sind auf je einen Koran aufgemalt. Die Kontrollszene vor dem „Tor von Damaskus“ prangt auf einem tschechischen Bildband jüdischer Ghettos. Die Checkpoint-Szene malte Rafi auf einen 120 Jahre alten Band hebräischer Literatur.
Die Klagemauer ist jüdisches Heiligtum, der Koran islamisches. Im Gespräch erläutert Ahmad Rafi, dass er vor der Klagemauer gestanden hat. Als er sich um 90 Grad gedreht hat, blickte er auf die Moschee: „das ist derselbe Stein, das ist derselbe Körper!“. Der Künstler verweist auf die enge Verwandtschaft der beiden Religionen. Aus dem Publikum erklang der Hinweis „da fehlt bloß noch einer der rund drei oder fünf Dutzend Original-Nägel vom Kreuz-Jesu-Reliquien als Lesezeichen − und schon wären alle drei abrahamitischen Religionen komplett!“ Doch Rafi hat den Dialog der Heiligtümer ohne jede Spöttelei inganggesetzt. Mit klarem Blick zeichnet er die Parallelen: die israelischen Polizeikontrollen vor abgesperrter palästinensischer Altstadt sind den Ghetto-Bildern im so bemalten Buch strukturell ähnlich. Dennoch könnten orthodox-fundamentalistische Vertreter beider Religionen sein Werk als Blasphemie missverstehen: Denn in der Orthdoxie herrscht Alleinvertretungsanspruch − kein Heiligtum dürfe mit dem einer anderen Fraktion in Berühung kommen, das wäre seiner Reinheit abträglich…
In der Falle des Dogmatismus
Der Künstler selbst verwies auf die gemeinsamen Wurzeln, das Publikum fasste es als Angebot zum Dialog auf. Worin die Düsseldorfer Museumsleiterin „antisemitische Hetze“ erkannt haben will, war für niemanden der bestens besuchten Ausstellung „Check Your Dogma Vol. II“ erkennbar.
War es vorauseilender Gehorsam gegenüber den orthodexest möglichen Vertretern einer Religion? Das passt schlecht zu den aufklärerisch-liberalen Werten, die dem deutschen Grundgesetz und seinen Grundrechten insbesondere auf künstlerisch freien Ausdruck zugrunde liegen. Schon in ihrer Begrüßung wies Ilka Mottscheller darauf hin, dass hier eine aktuell wichtige Herausforderung liegt: den Absolutheitsansprüchen von Dogmatikern, der gleichermaßen liberalen Freiheitsprinzipien wie auch der Möglichkeit wissenschaftlichen Fortschritts zuwiderläuft. Sie zitierte die letzten Worte von Giordano Bruno, der vor seiner Verbrennung auf kirchlichem Scheiterhaufen ausrief: „Mit größerer Furcht verkündet ihr vielleicht das Urteil gegen mich, als ich es entgegennehme“. Der Mensch Bruno sei gestorben, so Mottscheller − doch seine Ideen haben sich durchgesetzt: seine damals kühne Lehre, dass nicht die Erde der Mittelpunkt des Universums sei, sondern die Erde sich um die Sonne dreht; dass die Sterne nichts anderes als weitere Sonnen sind und dass das Weltall unendlich ist: all’ das hat sich heute als selbstverständlich durchgesetzt. Doch den dogmatischen Fundamentalisten war Brunos Philosophie, die manche Erkenntnis der Naturwissenschaften vorwegnahm, Grund genug, ihn zu verfolgen und zu töten. Der mittelalterliche Versuch, neue Gedanken auszulöschen, indem man den Denker auslöscht, ist gescheitert. Doch heute stehen wir vor ganz ähnlichen Herausforderungen wieder erstarkter dogmatisch-religiöser Gruppen.
Der Ausschluss eines Kunstwerks unter dem Vorwand, es sei "antisemitische Hetze" gehört zu altbekannten illiberalen Praktiken. Im benachbarten Frankfurt erinnert man sich nur zu gut, wie ein Theaterstück mit dem Vorwurf verhindert wurde, dass es "antisemitisch" sei. Tatsächlich handelte es sich um ein Stück über die Funktionsweise von Antisemitismus: Der Theatermacher suchte die Ursache von antisemitischem Ressentiment in "der Kälte der Städte" (als Metapher für marktwirtschaftliche Mechanismen − siehe https://hpd.de/artikel/12393 ) − was spätere Inszenierungen in Tel Aviv oder in den USA (unter der Regie der Tochter einer Holocaust-Überlebenden) bewiesen.
Nicht nur hier wurde deutlich, dass es beim Stichwort (und Vorwurf) "Antisemitismus" wichtig ist, präzise hinzuschauen. Denn in einem groben Vorverständnis sind sich sicher alle einig, dass "Antisemitismus" die Feindschaft gegen alles Jüdische bezeichnet. Doch was ist damit genau gemeint? Schon Nazis verfolgten nicht nur Juden, sondern alle, die sie (nach ihren eigenen faschistischen Kriterien) zu "Juden" erklärten − gleichgültig, ob der verfolgte Mensch nun jüdischen Glaubens war oder nicht. Auf die Frage, ob er Jude sei, erklärte der frühere hessische Generalstaatsanwalt und Ankläger in den Auschwitz-Prozessen Fritz Bauer: "nach den Nürnberger Rassegesetzen: ja" − womit er klarstellte, dass diese Klassifizierung eben nur nach den Nazi-Vorstellungen gelte. Tatsächlich lebte der Mitgründer der Humanistischen Union gottlos glücklich, entstammte zwar einer säkular-jüdischen Familie, hatte aber selbst nie eine Bar Mizwa abgelegt.
Im heutigen Diskurs wird die Frage wesentlich, ob sich Äußerungen gegen Juden und ihre Religion oder gegen die Politik des Staates Israel richten, seit 1948 ein demokratischer Staat und damit die große Ausnahme in der Nahost-Region. Es kommt vor, dass jemand Israel kritisiert − um unter dem Vorwand einer politischen Stellungnahme tatsächlich gegen Juden zu hetzen oder ihr Recht auf einen eigenen Staat infrage zu stellen. Gleichzeitig passiert es, dass eine Kritik an bestimmten politischen Entscheidungen des Staates Israel beiseite gewischt wird, indem der Kritiker einer generellen, gegebenenfalls versteckten Juden-Feindschaft verdächtigt wird. Um solche Fälle unterscheiden zu können, wäre eine klare Definition von "Antisemitismus" hilfreich − doch um eine solche Definition wird gerungen: die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) hat 2016 eine "Arbeitsdefinition Antisemitismus" (https://holocaustremembrance.com/resources/arbeitsdefinition-antisemitismus )vorgelegt. Diese führe laut Kritikern jedoch dazu, dass Kritik am israelischen Regierungshandeln weit häufiger moniert werde als Nazi-Gebrüll − so dass viele Wissenschaftler aus der Antisemitismusforschung 2020 die "Jerusalemer Erklärung zum Antisemitsmus" (https://www.jerusalemdeclaration.org/wp-content/uploads/JDA-German.pdf ) unterzeichneten.
So bedrohlich der zunehmend wieder deutlicher werdende Antisemitismus ist: der Versuch, Werke aus dem öffentlichen Diskurs zu verbannen, indem sie (fälschlich) als "antisemitisch" etikettiert werden, bedroht freie Rede und eine offene Gesellschaft ebenfalls. Wenn aber auch die Wissenschaft um exakte Definition ringt: gerade dann kann der künstlerische Beitrag wertvoll sein − und die Gemeinschaftsinstallation von Sarai Meyron und Ahmad Rafi ist ein gelungener Beitrag, in dieser komplexen Diskussion zu (mit-)menschlichen Lösungen zu kommen.
Fotos:
Check Your Dogma II Ahmad Rafi Sarai Meyron
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Info:
"Check Your Dogma II"
läuft bis zum 1. Juni 2026 in der
bok-Galerie
Kirchgasse 27-29
63065 Offenbach
geöffnet Do. / Fr. / Sa. von 16 bis 19 Uhr
So. von 11 bis 15 Uhr