Anne Frank 5207Bundesweiter Aktionstag auch in Schlüchtern

Hanswerner Kruse

Schlüchtern (Weltexpresso) – Am letzten Donnerstag trafen sich gut 80 Schülerinnen und Schüler der Kinzig-Schule in ihrer Pausenhalle. Es war der Tag des 96. Geburtstags von Anne Frank, die mit 15 Jahren von den Nazis ermordet wurde. Trotzdem ist das jüdische Mädchen durch ihr Tagebuch unsterblich geworden.

 

Zeitgleich feierten in Deutschland mehr als 700 Schulen den Geburtstag der Ermordeten mit Aktionen unter dem Motto: „Erinnern & Engagieren digital“.
„Viele kennen Anne Frank“, sagte Clas Röhl zu Beginn der Versammlung. Er gehört zur Stolpersteingruppe des Schlüchterner Heimat- und Geschichtsvereins. Möglicherweise sei auch noch der jüdische Unternehmer Max Wolf bekannt, nach dem eine Schule im Bergwinkel benannt ist. Über die Opfer der NS-Zeit in Schlüchtern sei dagegen wenig bekannt.


Darum verlegte die Gruppe bisher 57 Gedenkplatten, nicht nur für vertriebene oder ermordete jüdische Mitmenschen, sondern auch für die Opfer der Euthanasiemorde und einen Kommunisten. Mit dem Vorhaben gehe es um das Erinnern hier in der Heimatstadt, aber auch um das Engagement dafür, dass so etwas wie die Nazi-Diktatur nie wieder geschehe.


Im Anschluss teilten sich die Jugendlichen auf, zwei Gruppen gingen in die Stadt, die übrigen beschäftigten sich mit der Ausstellung über Anne Frank im Pausenhof. Ein Team besuchte mehrere Plätze, an denen in den letzten Jahren Stolpersteine verlegt wurden. Zwei Jugendliche hatten sich jeweils mit dem Schicksal jener Menschen befasst, für die an diesen Orten Gedenkplatten verlegt wurden – im Unterricht und darüber hinaus. Sie nutzten dafür meist ihre Smartphones oder Tablets, konnten so Fotos der Opfer und ihrer ehemaligen Häuser zeigen. 

Anne Frank 5198Das zweite Team widmete sich vorwiegend den Orten der Täter: im jetzigen Polizeigebäude plante einst die NSDAP ihre Untaten oder im ehemaligen Landratsamt. Unterwegs sprachen sie auch über einige Stolpersteine und beendeten ihren Rundgang auf dem alten jüdischen Friedhof. Eine Besonderheit dieser Beteiligten war ihr herausgearbeiteter Bezug zur Gegenwart: Das erste Opfer der NSU-Morde war der Schlüchterner Enver Simsek, an den vor dem Abriss des Langer-Areals lediglich eine kümmerliche Plakette erinnerte. Für ein angemessenes „Denk mal“ oder die Benennung einer Straße nach ihm besteht offenbar kein Interesse.

Daran zeigt sich, dass die schreckliche Zeit der Nazis nicht so weit entfernt ist, wie viele glauben. Oberstudienrat Heiko Schmidt, der das Projekt organisierte, sagte dazu im TV-Beitrag: „Es geht um dieses Sichtbarmachen, was im Moment nicht sichtbar ist – die verschiedenen Zeitschichten zu sehen, was in diesem Land passiert ist.“

Anne Frank 5222Denn begleitet wurde die zweite Gruppe von einem ARD-Filmteam, das im aktuellen Mittagsmagazin und der Hessenschau einen Film über den Aktionstag präsentierte. Darin kamen einige Schülerinnen und Schüler zu Wort, die ihre Recherchen erläuterten. „Es ist ein bedrückendes Gefühl, wenn man weiß, wie damals mit Menschen umgegangen wurde“, meinte eine Jugendliche. Eine andere ergänzte: „Das Thema wird nie alt, es wird immer belastend sein. Der Tag heute ist fröhlich, weil wir Annes Geburtstag feiern – andererseits aber bewegend, weil wir die ganze Geschichte wieder aufrütteln.“

Für eine (berechtigte) Aufwertung des schulischen Projekts sorgte die Präsenz des Fernsehens. Angesichts des derzeitigen Rechtsrucks wurde durch die Beteiligten der Bezug zur Gegenwart stark betont. Ihr Engagement – der zweite Teil des Mottos ‚Erinnern & Engagieren‘ – war deutlich spürbar. Clas Röhl meinte am Ende: „Es ist beeindruckend, wie viele junge Leute sich um die Erinnerungskultur bemühen. Wir hoffen, dass sie ermuntert wurden, bei zukünftigen Verlegungen mitzumachen."

Fotos:
Hanswerner Kruse