LEIPZIGER BUCHMESSE vom 17. bis 20. März 2016, Teil 7

 

Felicitas Schubert

 

Leipzig (Weltexpresso) – Frankfurter sind in Leipzig gefragt. Da wird auch viel von der fruchtbaren Konkurrenz zwischen den alten Messestandorten Leipzig und Frankfurt gesprochen, die einst durch die Reichsstraße 1 a miteinander verbunden waren, was heute keiner mehr weiß. Was man sagen kann, und sich darüber freuen kann, das ist, daß die Leipziger Buchmesse, einst in der Tradition der alten Buchmesse Standort Nummer 1 in der DDR und dem gesamten Osten, gegenüber der Wirtschaftsbuchmesse in Frankfurt aufgeholt hat: mit Lesern.

 

Und so hat man den Eindruck, das war auch eine gute Entscheidung, das Leipziger Geschehen durch Preise zu materialisieren, denn tatsächlich wird über Preise mehr berichtet, als über Lesungen, von denen die Leipziger Buchmesse sowieso überquillt. Wir, die wir aus Frankfurt sind, freuen uns über jeden Besucher in Leipzig und daß nun zwei der drei Preisträger in Leipzig mit ihrem Verlag in Frankfurt zu Hause sind, das ist auch die Ironie der kleinen Weltgeschichte.

 

Preisträger Vesper hatte bei seiner Dankesrede davon gesprochen, daß FROHBURG, der Titel seines Romans, nur 37 Kilometer von Leipzig entfernt liegt und mit der S-Bahn zu erreichen ist. Die fahren zwar nicht so oft, vor allem am späten Abend, aber wir haben das schon ausprobiert, sind an- und zurückgekommen. Dort verbrachte Vesper seine Kindheit und alle diejenigen, die älter werden, stimmen der Weltweisheit zu, daß je älter man wird, man desto intensiver an die eigene Kindheit denkt. Tatsächlich hat das etwas davon, daß in der Erinnerung man sich im Leben zurückverwandelt in das Baby, das man einst war, was der in Deutschland völlig unter den Tisch gefallene Film DER SELTSAME FALL DES BENJAMIN BUTTON hinreißend auf die Leinwand brachte; die Geschichte dazu ist übrigens von F. Scott Fitzgerald.

 

Die Preisträger – zum Sachbuch kommen wir noch – erhalten je 15 000 Euro, da kommt für die gerade mit dem NRW-Übersetzerpreis ausgezeichnete Brigitte Döbert allerhand zusammen. Aber man freut sich einfach, daß es nicht die Großen erwischt, die Preise sowieso erhalten, sondern diejenigen, die mit Übersetzungsarbeit meist – auch von uns – in den Kritiken gar nicht erwähnt werden. Oder wenn, dann nur, weil Kritik an ihnen zu üben ist. Leider ist das so, daß eine gute Übersetzung als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird.

 

Was nun den Schöffling Verlag angeht, hat er nicht nur das Preisbuch im Ziegelsteinformat, bzw. Gewicht herausgebracht, sondern auch die Übersetzung von DIE TUTOREN von Bora Cosic im gleichen Format, so daß von dem Achttausender gesprochen wurde und der nicht endenden Mühe und Sprachgewandtheit, der sich die Übersetzerin hingab, denn neben den Dialekten und Sprachvariationen im Original mußte sie auch 60 Seiten in Reime bringen, was ihr gelang und den Preis schon wert war.

 

Brigitte Döberts Übersetzung: die Jury begründet

 

 

Unübersetzbar: Es gibt Bücher, denen dieser Ruf vorauseilt, als wäre es ihr Schicksal. Ein trauriges Schicksal, denn es würde bedeuten, dass es aus der Sprache seines Ursprungs nicht heraus kann, und ein umso traurigeres, wenn diese Sprache nicht groß ist. Aber manche Übersetzer und Übersetzerinnen fühlen sich gerade durch solche 8000er der Literatur herausgefordert. So erging es offenbar auch Brigitte Döbert, die das Opus magnum des serbischen Autors Bora Ćosić ins Deutsche gebracht hat: Die Tutoren. Es ist ein Buch, das fünf Generationen, 150 Jahre und eine unglaubliche Menge von Personal umfasst.

 

Brigitte Döbert hat viel Zeit und Herzblut in dieses Projekt gesteckt, sie hat recherchiert, wie es so flächendeckend erst heute, im Zeitalter des Internets, geht, um noch den obskursten Anspielungen nachzuspüren, und für jede Nuance den eigenen Ton gefunden. Außer von der Pflicht zur Genauigkeit hat sie sich auch von jener Kühnheit leiten lassen, die man braucht, wenn man dem weit entfernten Fremden in der neuen Sprache eine Heimat schaffen will.

 

 

Über das Buch

 

Was für Irland Ulysses, ist für Serbien Die Tutoren: ein avantgardistisches Meisterwerk voller Wortspiele und Stilbrüche, ein experimentelles Labor der Sprache – und dabei hochkomisch. Ausgehend von einem rebellischen orthodoxen Priester des 19. Jahrhunderts über tatkräftige unternehmerische Frauen bis hin zu einem namenlosen Autor spannt Bora Ćosić mit der in Slawonien angesiedelten Parodie einer Familienchronik einen Bogen über 150 Jahre europäischer Geschichte.

 

Erzählt wird auf vielfältige Weise: anhand einer Rauferei in einer Kneipe, in Form eines Lexikons oder als Beratungsgespräch in einer Buchhandlung. Dabei richtet der Erzähler als leidenschaftlicher Sammler kurioser Phänomene ein besonderes Augenmerk auf Alltagsdinge. An eine Übertragung dieses opus magnum hat sich lange niemand herangetraut. Brigitte Döbert ist das Wagnis nun eingegangen und erschließt den Lesern damit einen der großen mitteleuropäischen Autoren der Gegenwart neu.

 

 

Mit »Die Tutoren« hat Bora Cosic »eine Schlacht gegen die Zensur gewonnen«, betonte Herbert Wiesner in der Literarischen Welt. Der Autor befand sich Anfang der 70er-Jahre in einer Art innerer Emigration, zu einer Zeit, in der er nicht publizieren konnte. Beim Schreiben gab ihm das eine gewisse Freiheit und er bietet in diesem Werk alles auf, womit sich nationalistische Mythen und Ideologien jeglicher Couleur lächerlich machen lassen: Ausgehend von einem rebellischen orthodoxen Priester des 19. Jahrhunderts über tatkräftige unternehmerische Frauen bis hin zu einem namenlosen Autor spannt er einen Bogen über 150 Jahre europäischer Geschichte.

 

Im Mittelpunkt steht eine in Slawonien angesiedelte Familienchronik, die auf vielfältige Weise erzählt wird: anhand einer Rauferei in einer Kneipe, in Form eines Lexikons oder als Beratungsgespräch in einer Buchhandlung.

 

»Wie sie das anstellt und was sie dabei leistet, kann gar nicht genug gerühmt werden.«

Karl-Markus Gauß, NZZ

 

 

 

 

Seit 1996 ist Brigitte Döbert als Literaturübersetzerin aus dem Serbischen, Kroatischen und Bosnischen tätig und war schon mehrfach auf der Shortlist für den Brücke-Berlin-Preis und erhielt zuletzt den Straelener Übersetzerpreis.

 

 

 

Eine Einführung ins Werk

 

In einem Begleitband hat der Verlag Materialien zusammengestellt: Alida Bremer stellt den »Rabelais des Balkan« vor, Brigitte Döbert erzählt vom Übersetzen des Nicht-Übersetzbaren, Laudationes auf den Autor und anderes finden sich darin.

 

 

 

Info:

 

Guntram Vesper, Frohburg, Verlag Schöffling & Co 2016

Bora Ćosić, Die Tutoren, übersetzt von Brigitte Döbert, Verlag Schöffling & Co 2015

Jürgen Goldstein, Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt, Verlag Matthes & Seitz 2015