Serie: Große Landesausstellung 2012 in Stuttgart: DIE WELT DER KELTEN, Teil 3/3

 

Claudia Schulmerich

 

Stuttgart (Weltexpresso) – Sehr viel weiträumiger kann sich der Kunstteil der Ausstellung im Schloß ausbreiten, weil er weder so stark an die Zeit seiner Hervorbringung gebunden ist, noch mit dem Ende „keltischen Lebens“ direkt aufhört. Längst haben gesellschaftliche Überbleibsel oder andere Volksgruppen die ästhetischen Vorgaben und handwerklichen Verfahren übernommen, so daß in dieser Ausstellung die Zeitspanne keltischer Kunst vom 7. Jahrhundert v.Chr. bis zu deren Nachblüte in der irischen Buchmalerei im 7. Jahrhundert n.Chr. reicht. Im irischen Kriminalroman von heute setzt sich da Keltische von damals übrigens fort, denn diese historischen Romane spielen just zu dieser Zeit.

 

Natürlich hatte man auch in den MACHTZENTREN keltische Kunst gesehen. Der Unterschied zur Nachbarausstellung liegt darin, daß dort alles in den Zusammenhang des Gebrauchs,  der gelebten Zeit und auch der Entwicklung der Gegenstände integriert ist, während im Schloß die Ästhetik im Vordergrund steht. Daß dies unser heutiger Sprachgebrauch ist und kein Kelte diese Exponate unter KUNST subsumiert hätte, ist eine Binsenweisheit, sollte sich jeder aber noch einmal vor Augen führen, wenn er die Schönheiten und Kunstfertigkeiten mancher Stücke betrachtet. Wem galt das Streben nach Vollendung? Was den Schmuck angeht, so kann man sich schon vorstellen, daß die Lust an der Arbeit mit dem reichlich verwendeten Gold einherging und Blüten trieb. Aber auch die Gebrauchsgegenstände aus Bronze, Eisen, Silber und Gold sind reich verziert und kunstvoll gearbeitet, die Grabbeigaben kostbar und die kultischen Objekte mit Phantasiewesen bestückt, die einen staunen lassen, welche ideologischen Hintergründe dies hat.

 

Oder ist jedes Volk, das in und mit der Natur lebt, darauf angewiesen, sich vieles durch Wesen zu erklären, die es nicht sieht, nicht hört, aber ahnt und dann auch wie wirklich zu sehen und zu hören vermag. Die Frage ist also, ob wir hier wirklichen Phantasien begegnen oder Materialisierungen, die in den Volkssagen vorausgedacht sind.

 

Eigentlich gehört das neue FÜRSTINNENGRAB von der Heuneburg – Bettelbühl -noch zum Kunstgebäude Komplex, weil dort seit 2005 dort Unerhörtes ausgegraben wird und deshalb in den dortigen Kontext gehört. Aber schon morgen würden die gefundenen Schmuckteile in einer reinen Kunstausstellung dargeboten werden. Man ist deshalb so verblüfft, weil die Goldperlen wie von heute aussehen. Das sind Verzierungen in Mäandermustern oder Schlingen, in Rundungen und abgesetzten Einheiten, die wir heute als Silberschmuck in der arabischen Welt kennen. Gleichzeitig hat dieses Grab auch enthüllt, wie reich geschmückt diese Frau in mittleren Jahren ins Grab gelegt wurde, einschließlich der Bronzeringe an den Füssen, der dreifachen Ringe an den Armen und eines kostbaren Gürtelblechs, ebenfalls Bronze, im Beckenbereich, das sich erhalten hat. Die Besonderheit ist hier der Bernsteinschmuck. Herrliche Bernsteinperlen lagen mit Goldschmuck im Hals- und Brustbereich, aber Bernsteinobjekte gab es auch in der Hüftregion. In der Nähe lag ein mindestens zwanzig Zentimeter langes Goldband, wohl ein Kopfschmuck und das wertvollste Stück. Stilistische Überlegungen lassen vermuten, daß den Schmuck ein etruskischer oder in Etrurien ausgebildeter Goldschmied angefertigt hat.

 

Wir bewegen uns im 6. Jahrhundert. Das kann man diesmal deshalb so genau bestimmten, weil im Grab gefundene Eichenbohlen dendrologisch untersucht wurden. Aber warum gab man den Toten ihr Kostbarstes mit ins Grab. BESTECHUNG FÜRS JENSEITS ist eine gute Formulierung, denn es muß von einer Art Wiederauferstehung, besser: einem Totenreich ausgegangen werden, in dem der Tote die besten Bedingungen hatte, wenn er es als Reicher betrat.

 

Wir haben uns diese Grabbeigaben, diesen Schmuck herausgesucht, weil sie die neuesten und von unglaublicher Schönheit sind. In der Ausstellung begegnen Ihnen die hunderte von Kunstobjekten gewissermaßen ‚geordnet‘. Man hat Räumen eine formale oder inhaltliche Zuweisung gegeben. So heißt ein Raum RAUTEN, LINIEN, RECHTE WINKEL – DIE LIEBE ZUR GEOMETRIE, wo Sie jeweils nach Ähnlichkeiten sortierte Gegenstände finden, wie auch im Raum MASKEN, KREISE, FABELWESEN, wo Goldschmuck dies zeigt und als Motto trägt IMPULSE AUS DEM SÜDEN, übrigens vom Schweizerischen Nationalmuseum aus Zürich, das viele Leihgaben nach Stuttgart gab.

 

Die Verschmelzung keltischer Kunst in römischem Gewand ist auch so ein Thema, das aber bekannt ist, während uns FERNES ECHO, LETZTE BLÜTE – KELTISCHE KUNST IN GROSSBRITANNIEN UND IRLAND uns neu ist, zudem eine der älteren Theorien über die Kelten aussagt, daß sie aus diesem Raum ihren Ursprung nahmen. Insbesondere im Latènestil, der den von Hallstatt ablöste, ist dortiges Kunsthandwerk gearbeitet, das sich erst einmal auf die Gebrauchsgegenstände wie Waffen und Wagen- und Pferdezubehör bezog. Erst im 1. Jahrhundert v.Chr. gibt es auch Schmuck, ausgestellt ist der Torques aus Broighter, ein hohler, mit erhabener Ornamentik gestalteter Halsring,  – das sagen die Funde, die nahelegen, daß dort eine stilistische ‚Verspätung‘ von mehreren Jahrhunderten gegenüber dem Festland zu konstatieren ist. Übrigens legt ein zweizipfeliger Bronzehelm aus der Themse bei Waterloo aus dem 2. Jahrhundert vor Chr. Nahe, daß die Wikinger schon dort gewesen waren oder zumindest Asterix. Aber das ist ein anderes Thema.  

Bis 17. Februar 2013

 

Katalog:

Die Welt der Kelten. Zentren der Macht – Kostbarkeiten der Kunst, hrsg. Vom Archäologischen Landesmuseum Baden Württemberg, dem Landesmuseum Württemberg und dem Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Jan Thorbecke Verlag 2012

Eigentlich müßten einem die Museen und Verlage bei solchen Wälzern – 552 Seiten und sauschwer! – gleich einen Träger mitgeben. So war das in besseren Tagen, als Sklaven noch zur Verfügung standen. So sind wir unsere eigenen Sklaven, tragen schwer und freuen uns noch dran. In der Tat ist die ausführliche Sichtung des Katalogs nach den Pressekonferenzen und der Besichtigung die notwendige Verrichtung, um einordnen zu können, was es mit den eigenen Augen und dem eigenen Wissen auf sich hat. In der Regel sind die Katalogverfasser immer schlauer, aber wir dagegen haben mit keltischer Kunst und mit ihrer Kultur eben schon so viele Erfahrungen gesammelt, daß man alles Neue auf diesem Hintergrund sieht. Darum können unsereinem die Kataloge gar nicht dick genug und schwer genug werden, Hauptsache, mal lernt aus ihnen und Hauptsache, sie haben mit der gesehenen Ausstellung zu tun.

 

Für beides kann man hier garantieren und daß nicht nur das Papier schwergewichtig ist, sieht man dann, wenn gleich zu Beginn des Katalogs einem Joachim Gauck und Winfried Kretschmann entgegenstrahlen. Interessant deren Differenzierung bei den Grußworten. Kretschmann geht auf die Funde im Süddeutschen ein, auf bekannte Stücke wie den „Silberring von Trichtingen“, aber auch: „Die reichverzierte Grabkeramik der Hallstattkultur gehört zu den schönsten Töpfereierzeugnissen der süddeutschen Vorgeschichte überhaupt.“ Stimmt. Gauck auf jeden Fall hat seine Worte selbst formuliert, bzw. die Richtung gewiesen. „Streng genommen wissen wir nichts über die Kelten…Sind doch die ‚Galater‘, an die Paulus schrieb, sie sollten fest in der Freiheit verharren, wohl schon sprachlich von keltischem Geschlecht.“ Das muß man erst einmal so hinbekommen, den christlichen Bezug, den der Archäologe bei den Galatern mit den hellenistischen Skulpturen beantwortet, die als „Gallier und seine Frau“  oder „Der sterbende Gallier“ auch  einen Ehrenplatz im Katalog haben. Eine ganze Seite auf 267 steht er und kann nicht anders: die überlebensgroße Statuengruppe vom heldenhaft aufgerichteten Mann, der sich gerade mit dem Schwert ersticht, während an seiner Seite seine Frau schon sterbend niedergesunken ist. Die Skulptur steht in der Ausstellung und wir mögen einfach die hellenistischen, sehr raumgreifenden und barocken Formen und so oft ist das auch nicht, daß man sie gleichzeitig in Berlin im Pergamonmuseum in der dortigen Ausstellung sehen kann. Das bronzene Original ist verschollen, aber die sehr schöne Berliner Römische Kopie kommt aus Rom direkt. Leider schweigt der Kelten-Katalog dazu, um welche römische Marmorkopie es sich hier handelt. Aber den Galatern sind die Seiten 266-268 gewidmet.

 

Ansonsten weist der Katalog die Fleißarbeit auf, die mit den Ausstellungen korrespondiert, die vor allem den vielen kleinformatigen Fundstücken einen Hintergrund und eine visuelle Dauer gibt. Zu Beginn werden die Facetten des Keltenbildes aufgezeigt, die, je nach Fundort eine andere Sprache sprechen. Die FrühZeit (7. bis 4. Jahrhundert v.Chr.) wird sodann von der ZwischenZeit (4. bis 3. Jahrhundert v.Chr.)  geschieden, die dann wiederum von der SpätZeit (3. bis 1. Jahrhundert v.Chr.), der die EndZeit (52. vor bis 4. Jahrhundert n.Chr.). folgt, zu dem noch ZeitVersetzt Keltisches in Großbritannien und Irland vom 1. Bis 8. Jahrhundert n.Chr.) hinzustößt, was allesamt im Anhang (Seiten 524f) dann noch einmal als Schautafel mit Fundstücken und Stilbegriffen vorgeführt wird. Das ist sinnvoll und erleichtert sowohl die Orientierung wie auch das Finden von Gegenständen. Die eigentliche Katalogarbeit ist eine Schatzkiste für alle Tage, wenn es um Kelten geht. Schon wieder ein Buch fürs Leben, denken wir. Jeder gut gemachte Katalog zu einer gut gemachten Ausstellung hat im gewissen Sinn Ewigkeitswert – für unsere Lebenszeit zumindest. Und in der hat es sehr sehr viele Neuerungen an Ausgrabungen und Interpretationen gegeben. Das mag man nach diesen Jahrtausendabständen nicht glauben, aber wir sind mittendrinnen in einer Forschungsphase zu den Kelten, für die diese Ausstellung eine ideale Plattform bildet und der Katalog auch!

 

Ein opulentes Begleitprogramm sichert zudem, daß Sie sich jederzeit noch zusätzlich Informationen über die Kelten ‚reinziehen‘ können.

Orte der Kelten-Ausstellung: ZENTREN DER MACHT im Kunstgebäude Stuttgart, KOSTBARKEITEN DER KUNST im Landesmuseum Württemberg, Altes Schloß

www.kelten-stuttgart.de