Serie: Ein Werk des dänischen Meisters Vilhelm Hammershøi ergänzt die Kunst der Moderne im Frankfurter Städel-Direktor, Teil 2


Felicitas Schubert


Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Mit der Erwerbung von Interieur. Strandgade 30 wird die Sammlung der Moderne im Städel Museum um einen wichtigen Beitrag reicher“, betonte Felix Krämer, Leiter der Sammlung der Moderne und auch zuständiger Kurator einiger Hammershøi-Ausstellungen, weswegen wir vermuten, daß er die Frankfurter Kunstfreunde auf die Kaufmöglichkeiten hinwies.


Hammershøis Œuvre ist sehr eigenständig, dennoch sind vor allem inhaltliche Bezüge zum Symbolismus nachweisbar. Fast alle seine Gemälde sind in einem grautonigen Farbspektrum gehalten und verzichten auf anekdotische Details. Bekannt ist Hammershøi besonders für stille puristische Interieurdarstellungen, die fast die Hälfte seines Werks ausmachen. In diesen stellt er mit großer geometrischer Strenge die sparsam möblierten
Zimmer seiner Wohnung in Kopenhagen dar. Das Frankfurter Gemälde zeigt im Vordergrund ebenfalls das spärlich ausgestattete Esszimmer des Künstlers, in welches von rechts eine Tür hineinragt. An der Stirnseite gibt eine weit geöffnete Zimmertür die Sicht auf eine Raumflucht frei, an deren Ende Licht durch ein Fenster scheint. Davon angezogen, wird der Blick des Betrachters an den Bodendielen entlang in die Tiefe des Raums gelenkt. Unterbrochen wird diese Blickführung durch zwei Türschwellen, die den mittleren, nur schwach beleuchteten Raum visuell abgrenzen. Dort steht die Frau des Künstlers, Ida Hammershøi, im Schatten, dem Betrachter den Rücken zugewandt.

Obwohl sämtliche Türen weit geöffnet sind, zingeln diese in ihrer optischen Verlängerung Ida gleichsam ein; die Linienführung hält sie genau in der Mitte des Bildes gefangen. Die vermeintliche Offenheit der Türen bewirkt das Gegenteil: Anstatt einen Weg freizugeben, fixieren sie Ida im Zentrum des Gemäldes. Es sind solche visuellen Irritationsmomente, die Hammershøis wichtige Gemälde kennzeichnen und ein besonderes Qualitätsmerkmal seiner Kunst bilden. Welche Bedeutung gerade dieser Darstellung zukommt, die er kurz nach ihrem Entstehen an einen Kopenhagener Privatsammler verkaufte, zeigt auch die Tatsache, daß er vier Jahre später, 1905, eine Variante des Frankfurter Bildes malte, welche sich heute in der Sammlung des Ateneum, der Finnischen Nationalgalerie, in Helsinki befindet.

Schwierigkeiten der Zuordnung ergeben sich leicht aus den Titeln INTERIEUR, STRANDGADE 30, die er immer wieder verwendet, weil er seine eigene Wohnung malt. Der 1864 geborene Künstler – also vier Jahre nach Gustav Mahler, im gleichen Jahr wie Camille Claudel, Henri de Toulouse-Lautrec oder auch Frank Wedekind, um die Weite der Zeit zu erkennen -  hatte seine Frau Ida 1891 geheiratet. Sie war die Schwester seines Künstlerkollegen Peter Ilstedt. Sie wurde sein wichtigstes Modell und ging mit ihm auch auf Reisen. Dennoch blieb Kopenhagen der Lebensmittelpunkt, allerdings mit häufigem Wohnungswechsel.

Erst nach dem längeren Englandaufenthalt zogen sie nach der Rückkehr 1898 in die Strandgade 30, wo sie zehn Jahre blieben – sie mußten ausziehen, warum wird vielleicht Felix Krämer erzählen können - und der Maler immer wieder die Wohnung und auch seine Frau als Modell nahm. In der Münchner Ausstellung waren allein 6 Abbildungen dieser Wohnung mit dem Titel STRANGADE 30 zu sehen, die Wohnungsflucht mit Zimmern, Boden und Türen noch viel häufiger. Danach zog die kinderlose Familie noch mehrmals in Kopenhagen um und Hammershøi malte auch dort seine Interieurs.



Info I:
Mittlerweile ist das Interesse an Vilhelm Hammershøi unter Fachleuten ausgesprochen hoch. Erst jüngst hat das Metropolitan Museum in New York ein Hammershøi-Interieur erworben. In Deutschland besitzen die Alte Nationalgalerie in Berlin, das Niedersächsische Landesmuseum Hannover – ebenfalls mit dem Titel INTERIEUR, STRANDGATE 30 von 1901, aber ein völlig anderes Bild - , Schloss Gottorf und die Hamburger Kunsthalle -  ebenfalls mit dem Titel INTERIEUR, STRANDGATE 30, aber  von 1905 und erst recht ein völlig anderes Bild - Werke des Künstlers. Hammershøi-Werkschauen wurden in den vergangenen Jahren im Musée d’Orsay in Paris und im Guggenheim Museum New York (beide 1997) sowie in der Hamburger Kunsthalle (2003), der Royal Academy in London und im National Museum of Western Arts in Tokio (beide 2008) gezeigt. Zuletzt wurde der Däne mit großem Erfolg unter dem Titel „Vilhelm Hammershøi und Europa“ im Statens Museum for Kunst in Kopenhagen und in der Hypo-Kulturstiftung in München prominent ausgestellt.

Info II:

Dr. Felix Krämer, Sammlungsleiter der Kunst der Moderne im Städel, wird das
Gemälde am 30. Oktober 2012 erstmals in einem Vortrag für die Mitglieder des
Städelschen Museums-Vereins vorstellen. Anschließend wird die Arbeit in die
ständige Sammlungspräsentation des Städel integriert, wo sie ab Mitte
November zu sehen sein wird.


Info III:
zu den Bildangaben:
Vilhelm Hammershøi (1864 Kopenhagen – 1916 Kopenhagen)
Interieur. Strandgade 30, 1901
Öl auf Leinwand, 66 x 55 cm
Erworben 2012.
Eigentum des Städelschen Museums-Vereins e.V.
Städel Museum,
Frankfurt am Main

Foto: Der Maler und seine Frau Ida



Bisherige Artikel zum Maler in Weltexpresso

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kunst2/812-die-stille-leere-welt-des-daenischen-malers-1864-1916

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kunst2/813-wieder-einmal-eine-welt-um-1900