wpo christo 1Zum Tod des Künstlers Christo (1935 - 2020) Teil 1

Hanswerner Kruse

New York / Frankfurt (Weltexpresso) - Beim Schreiben über das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude, sowie mitten in der Recherche ihrer Projekte, erreichte mich die Nachricht vom plötzlichen Tod des Künstlers. Im Juni vor 25 Jahren hatten die beiden den Berliner Reichstag verpackt. Nach dem Ende des Corona-Lockdowns begann neulich im Berliner Palais Populaire die umfangreiche Ausstellung „Christo und Jeanne-Claude. Projects 1963-2020“.

Die beiden wurden am gleichen Tag im gleichen Jahr geboren und trafen sich in den frühen 1960er-Jahren als Seelenverwandte in Paris. Christo flüchtete über Wien und Genf aus Bulgarien hierher, Jeanne-Claude lebte mit ihrer Familie zeitweilig in Nordafrika. Von Anfang an entwickelte das Duo sämtliche Projekte gemeinsam. Doch aus taktischen Gründen firmierte Christo als der Künstler und Jeanne-Claude als seine Organisatorin in der von Machos beherrschten Kunstwelt. Erst Jahrzehnte später nach dem internationalen Erfolg lüfteten sie das Geheimnis ihrer symbiotischen künstlerischen Tätigkeit. Jeanne-Claude starb bereits 2009, doch Christo machte immer wieder deutlich, dass auch die neuen Projekte - wie der im nächsten Jahr verhüllte „Arc de Triomphe“ in Paris oder das einzig dauerhafte, gigantische Werk „The Mastaba in Abu Dhabi“ - auf gemeinsamen Fantasien und Planungen beruht.

Das Künstlerpaar erweiterte den modernen Kunstbegriff beträchtlich und verschob die Grenzen der zeitgenössischen Kunst auf nie geahnte Weise: Ihre riesigen ästhetischen Landschaftsgestaltungen oder durch Verhüllung entstandenen Skulpturen faszinierten und verzauberten Millionen von Menschen. Teil dieser nicht-elitären Gesamtkunstwerke, die immer nur kurze Zeit existierten, waren die jahrelangen Vorplanungen, die öffentlichen Auseinandersetzungen um die Realisierung, das Durchhaltevermögen des Paares, die Einbindung des Publikums, das mediale Echo und die Finanzierung ohne öffentliche Mittel oder Aufträge. Zu realisieren waren die Artefakte im Übrigen nur durch die Mitarbeit von technischen und anderen Spezialisten sowie vielen versierten Helfern.

Wrapped Reichstag 1971/95: „Wir machen das nur für uns, wir wollen das sehen!“

wpo christo06a1995 verhüllte das Künstlerpaar den Berliner Reichstag. Jahrzehntelang kämpften die beiden vergeblich für dieses künstlerische Projekt, das sie dann einige Jahre nach dem Mauerfall doch noch - wie geplant für zwei Wochen - verwirklichen konnten.
Es war ein faszinierender Anblick, den der Verfasser dieser Zeilen am letzten Abend des flüchtigen Gesamtkunstwerks erlebte. Bis dahin gab es zwar zahlreiche Fotos und TV-Bilder zum „Wrapped Reichstag“, doch sie lieferten nur einen schwachen Abglanz des zur riesigen Skulptur transformierten geschichtsträchtigen Gebäudes. Die untergehende Sonne spiegelte sich in der silbrig schimmernden Folie, der Wind fuhr durch diese luftdurchlässige Hülle und setzte das - wie schwebend wirkende - Objekt unaufhörlich in leichte Schwingungen. Die künstliche nächtliche Beleuchtung oder das Zwielicht am Morgen veränderten ständig die Anmutung dieses ästhetischen Wunderwerks.

Seit 1971 beschäftigte die Idee der Reichstagsverhüllung Christo und Jean-Claude. Beide waren sich zwar der Brisanz ihres Vorhabens in Berlin bewusst, verbanden damit aber keine politische Botschaft. Damals (noch) in Bonn lehnten die zuständigen Politiker dreimal das Vorhaben ab: „So was tut man einfach nicht“, hieß es oder „das verletzt die Würde des Gebäudes“. Doch das Paar ließ nicht locker und fand in Willy Brand (SPD) und Rita Süssmuth (CDU) Verbündete, welche die beiden ermunterten nicht aufzugeben und Bundestagsabgeordnete einzeln zu überzeugen.

Diese politischen Vorarbeiten gingen einher mit Skizzen und Collagen, die das Projekt konkretisierten, aber auch als autonome Kunstwerke zur Finanzierung beitrugen (Foto rechts). Die aktuelle Berliner Ausstellung des Künstlerpaares zeigt die künstlerische Eigenständigkeit dieser Artefakte.

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Wie alle Arbeiten Christos und Jeanne-Claudes war auch das temporäre Gesamtkunstwerk Reichstagsverhüllung ein Vorhaben in der Zeit: Bereits 24 Jahre vorher begann es mit ersten Ideen und Gestaltungsfantasien. Es war einmalig, dass sich ein demokratisch gewähltes Parlament so intensiv mit einem geplanten zeitgenössischen Kunstwerk beschäftigte. Nach langen Auseinandersetzungen stimmte der Deutsche Bundestag in Bonn im Februar 1994 endlich der Verhüllung zu. „Ich will jetzt nicht mehr darüber diskutieren“, schimpfte Christo anschließend und begann mit den gigantischen technischen Planungen.

Im engen Kontakt mit einheimischen Firmen wurden die riesigen Planen und Schnüre aus recycelbaren Materialien erstellt und keine öffentliche Finanzierung in Anspruch genommen. „Wir machen das nur für uns, wir wollen das sehen!“, verkündeten Christo und Jean-Claude zur Eröffnung am 24. Juni 1995. Über Fünf Millionen Besucher kamen in den folgenden zwei Wochen nach Berlin um kostenlos das Kunstwerk zu erleben. Ihr Gesamtkunstwerk wurde zum Symbol des neuen, wieder vereinigten Deutschlands.

Einer der heftigsten Gegner des Projekts, Wolfgang Schäuble (CDU), erklärte nach dem Anblick der Installation: „Was mich am Ende wirklich überzeugt und umgestimmt hat, war der ästhetische Eindruck, den das Werk hinterließ: Es war auch ein unglaubliches ästhetisches Vergnügen!“

Zur Fortsetzung
https://weltexpresso.de/index.php/kunst/19300-christo

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Fotos:
Oben (c) Christo & Jeanne-Claude, Wolfgang Volz
Mitte  (c) Christo & Jeanne-Claude, Wolgang Volz
Mitte  (c) Christo & Jeanne-Claude, Wolgang Volz
Unten: Blick in die Berliner Ausstellung 

Info:
Ausstellung im PalaisPopulaire  „Christo und Jeanne-Claude. Projects 1963-2020“
Berlin, Unter den Linden 5, Täglich außer Dienstag 11-18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr
Katalog 28 Euro