Meret Oppenheim. Retrospektive im Martin-Gropius-Bau in Berlin 

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Eine mit Pelz umhüllte Tasse machte die blutjunge Meret Oppenheim in den 30er-Jahren berühmt. Doch zu ihrem 100. Geburtstag rückte das New Yorker Museum Of Modern Art die haarige Ikone des Surrealismus, auf die Oppenheims Werk lange reduziert wurde, nicht heraus. Das wird unfreiwillig sinnvoll, denn in der großen Retrospektive der Künstlerin soll ja ihr ganzes Œuvre sichtbar werden.

 

 

Bereits im Foyer werden Umfang und Grundideen dieses künstlerischen Werks deutlich: In der Vitrine ein Schulheft mit einer mathematischen Formel, doch statt der Lösung zeichnete die sechzehnjährige Meret einen kleinen roten Hasen. Dieser Gleichsetzung, x = Hase, der romantischen Absage an die Vernunft, folgte die Künstlerin ihr Leben lang. Daneben ein Brief des Psychoanalytikers C. G. Jung an ihren sorgenvollen Vater, der ihm versichert, es sei „nichts Schlimmes“, Künstlerin zu werden. An der Wand huldigen zwei kurz vor ihrem Tod entstandene, abstrakt wirkende Gemälde zwei Frauen der deutschen Romantik. Die Bilder sollen das Unbestimmbare, dem auch die Dichterinnen Karoline von Günderrode und Bettine Brentano auf der Spur waren, mit adäquaten künstlerischen Mitteln ausdrücken.

Mit 20 Jahren ging die selbstbewusste Meret nach Paris und schloss sich den Surrealisten an. Die etwas älteren Herren André Breton, Max Ernst oder Man Ray verklärten sie als Muse, Kindfrau und Femme Fatale. Aber als Künstlerin wurde sie, wie Dora Maar oder Dorothea Tanning, nicht wirklich akzeptiert. Die „unsichtbaren Schwestern“, waren die Puppen im Kosmos der Surrealisten. Herablassend schrieb Ernst: „Das Meretlein. Das Weib ist ein mit weißem Marmor belegtes Brötchen!“

Auf einer Zeichnung trägt eine graue Gestalt einen weißen Schatten oder ein Gespenst vor sich her, „Dann leben wir eben später“ ist der lakonische Titel. Eine Frau, der „Würgeengel“, lässt fröhlich ihr Kind ausbluten - Weiber sind keine Engel! Die Künstlerin ging bissig mit den rigiden Rollenklischees um, kein Wunder, dass sie bald zu den surrealistischen Machos auf Distanz ging. Die „Steinfrau“, gemalt in Basel nach ihrem fünfjährigen Aufenthalt in Paris, symbolisiert wohl die Verdinglichung der Frauen in diesem Kreis: Zart gemalte Kinderbeine liegen im Wasser, am Ufer bilden große aufeinander getürmte Steine den restlichen Frauentorso. „Verlassen, vergessen / So schwarz am Haferstrand…“, heißt es in einem ihrer Gedichte, oft paraphrasiert ihre Lyrik die Bildnerischen Arbeiten. „Endlich! / Die Freiheit! / Die Harpunen fliegen…“, schrieb sie gleich nach ihrer Ankunft in Paris.

Häufig entriss Oppenheim alltägliche Dinge ihren Zwecken und schuf grimmige oder skurrile Assemblagen. Ein angemalter Autoauspuff wird eine gefräßige Ameisenkönigin, Schuhe vereinigen sich mit ihren Spitzen, Fellhandschuhe wirken wie abgehackte Hände. Der halbnackte Torso einer Schaufensterpuppe trägt ein Collier, welches mit Straps-Ösen an ihren Brustwarzen befestigt ist, ein spätes Werk, das hocherotisch und sadistisch zugleich anmutet. Nicht immer begeht man den Parcours mit einem wieder erkennenden Lächeln über die verfremdeten Objekte.

„Ihr Werk ist zu komplex für eine lineare Kunstgeschichte“, sagt Heike Eipeldauer, die Kuratorin, „deshalb ist die Ausstellung der 200 Objekten zeitlich nicht strukturiert.“ Frühe Arbeiten hängen neben älteren, die einzelnen Stationen knüpfen allerlei rote Fäden, die ihrem vielschichtigen Werk gerecht werden und doch etwas Orientierung bieten: „Träume und das Unbewusste“, „Dem Unsichtbaren auf der Spur“ oder „Im Dialog mit der Natur.“

Die meisten dieser „Fäden“ machen auch den Unterschied zu den Arbeitsweisen der Surrealisten deutlich. Während jene etwa ihre Träume illustrierten und zugleich an der bürgerlichen Realität rütteln wollten, nutzte Oppenheim die formalen Strukturen von Träumen in ihren Bildern. Beeinflusst von C. G. Jung sah sie darüber hinaus in Träumen wichtige Archetypen: „Es sind die Künstler, die für die Gesellschaft träumen!“

 

bis 1. Dezember 2013

Im Rahmen der Berliner Festspiele

www.berlinerfestspiele.de

 

Meret Oppenheim. Retrospektive

16. August - 1. Dezember 2013 im Martin-Gropius-Bau in Berlin, Nähe Potsdamer Platz

Der Katalog „Meret Oppenheim. Retrospektive“ erschien im Hatje Cantz Verlag

Museumsausgabe: 25 €, Buchhandelsausgabe: 39,80 €

 

INFO I:

Surrealismus war eine Kunstrichtung in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, welche die dunkle Seite der Seele, das Traumhafte und Verdrängte des menschlichen Lebens zeigen wollte. Die Künstler provozierten das Bürgertum und deren traditionelles Kulturverständnis, das die Barbarei des Ersten Weltkriegs nicht verhindert hatte.

 

INFO II:

Meret Oppenheim wurde 1913 in Berlin geboren, wuchs im deutsch-schweizer Grenzland in einem künstlerischen Umfeld auf. Ihre Großmutter war die Malerin und Schriftstellerin Lisa Wenger. Hermann Hesse war mit einer Tante verheiratet, die Familie zählte C. G. Jung zu ihren Bekannten. Von 1933 bis 1938 lebte sie in Paris, danach kehrte sie nach Basel zurück. Über Jahrzehnte litt die Künstlerin an Depressionen und den politischen Verhältnissen. Mitte der 50er Jahre überwand sie die Schaffenskrise und schuf ihr umfangreiches Œuvre. Immer wieder griff sie auf frühere Ideen zurück, weigerte sich aber Pelztassen zu machen sowie als Surrealistin oder Feministin vereinnahmt zu werden. Sie starb 1985.