Neues zur „Römischen Wölfin“ von den Professoren Alföldi, Fried und Formigli in der Universität Frankfurt am Main

von Claudia Schulmerich 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Spannend und lehrreich und dazu intellektuell vergnüglich geriet eine Folge von Vorträgen, zu der das Institut für Archäologische Wissenschaften der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität zu neuen Erkenntnissen und Theorien zur Römischen Wölfin, der Kapitolinischen Wölfin, der Lupa Romana oder Capitolina, geladen hatte. Ausgangspunkt ist das Wanken der ehedem festgefügten Meinung, daß die wölfische Bronzestatue -  Symbol für die Gründung Roms als Nährerin des Romulus und Remus, nicht eine etruskische Arbeit sei, sondern ein Werk des Mittelalters ist.

 

Dies konnte man in den letzten Jahren immer wieder einmal öffentlich verfolgen, wobei das Besondere daran war, daß auf Meldungen der Datierung ins Mittelalter bald andere Experten dies wiederum ausschlossen, eine deutlichere Gewißheit, sprich wissenschaftliche Übereinkunft also ansteht. Der Vortragsraum der Frankfurter Universität auf jeden Fall war überfüllt. Kapitolinische Wölfin heißt sie, weil die lebensgroße Bronzefigur, 75cm hoch und 114 cm breit, in den Kapitolinischen Museen in Rom steht: Lupa Capitolina, die bisher also als etruskisch ins 6. Jahrhundert v.Chr. datiert wurde, wobei von niemandem bestritten wird, daß die beiden winzigen Knaben, die die Wölfin unter ihr sitzend säugt, in der Renaissance hinzugefügt wurden, wobei auch unklar ist, ob diese Knäblein andere ersetzten, denn die Wölfin hat ihren Kopf sehr charakteristisch den Kleinen zugewandt. 

 

Daß die Wölfin keine antike, sondern eine mittelalterliche Bronzearbeit sei, belegte Edilberto Formigi in seinem Vortrag durch folgende Aussagen: die Römische Wölfin ist in einem Stück gegossen. Dies war technisch erst seit dem Mittelalter möglich, auf jeden Fall gibt es keine antike Großbronze in einem Stück, die noch vorhandenen sind allesamt durch Löten ‚zusammengenäht’. Wie man sich das vorzustellen hat, stellte Professor Formigi an graphischen Modellen vor, bei denen generell die Beine extra angelötet wurden, andere Extremitäten auch. 

 

Es gibt aber weitere Belege durch die Radiokarbonmethode, die genauso wie die gußtechnische und die archäometrische Folgerungen zu einer Datierung zwischen dem 9. und 15. Jahrhundert führen, wobei Formigi auch die Frage des Gußkerns und dessen unterschiedliche Bestandteile über die Jahrhunderte mitdiskutierte. Den Braunschweiger Löwen als eindeutig mittelalterliche Bronze aus einem Stück und einziges Vergleichsbeispiel, nahm der Referent zusätzlich als Beleg. Johannes Fried, emeritierter Professor für mittelalterliche Geschichte der Frankfurter Universität, nahm den Ball auf und fragte danach, was der Historiker tun könne, um die Datierungsfrage zu klären, den Zeitraum einzugrenzen, also die Datierung zu präzisieren.

 

So fragte er als erstes nach dem Auftraggeber der Lupa und einer möglichen Auftragsbegründung und schloß sogleich die naheliegende Lösung: die seit 1130/40 wiedererstandene römische Kommune aus. Denn diese hatte als mittelalterliches Symboltier nicht mehr die Wölfin, sondern den Löwen, wie es Münzen seit dem 13. Jahrhundert beweisen, aber auch die Ebsdorfer Weltkarte eindeutig zeigt, wo der Grundriß von Rom als Löwenfigur gestaltet ist. Wer aber kommt dann als Auftraggeber in Frage? Und vor allem, was sagen schriftliche Zeugnisse?

 

Die erste Erwähnung der Lupa Capitolina fand Fried um 1230/40 bei Magister Gregorius, einem Engländer, der damals an der Kurie auch nachzuweisen ist. Dieser hat römische Altertümer beschrieben, darunter auch die Wölfin, die im Porticus, dem Lateranpalast vorgelagert, stand. Zwar hatte der Engländer zuvor noch keine Lupa Romana gesehen, aber von ihr als „Mirabilia“ gehört, und auf Grund des Zusammenspiels mit einem Widder, der vor dem Palast als Brunnen diente, hielt er den zurückgeworfenen Kopf für eine Angriffsposition, bzw. ein Auflauern. Er vermutete, auch die Lupa sei einst ein Brunnen gewesen, wofür Wasser an ihren Zitzen spreche, nun aber sei sie teilweise zerstört, weshalb man sie „mit zerbrochenen Läufen von ihrem Ort entfernt“ habe.

 

Für Gregorius auf jeden Fall waren beide Bronzen antik und ein Beweis für die Herausgehobenheit Roms. Jahrhunderte später hat Marten van Heemkerck diesen Porticus vor dem Palast gezeichnet (1534/36) – Fried zeigte die Zeichnung und auch ihre Details - eine Wölfin findet sich nicht mehr. Da alle weiteren Hinweise auf eine Lupa keinen Bestand haben, u.a. wurde die Bezeichnung Lupa auch für Dirnen benutzt, bzw. Fälschungen sind, bleibt tatsächlich nur Magister Gregorius 1230/40 als Anhaltspunkt zur Datierung, Aufstellung und Deutung.

 

Seit 1301 gibt es dann weitere Zeugnisse, berichtete Johannes Fried, allerdings sehr vereinzelt wie Dante, der als Gesandter für Florenz die Lupa wohl noch im Porticus gesehen hatte und in der Göttlichen Komödie neben Panther und Löwe über sie im Inferno schrieb:

„Und eine Wölfin, die schien beladen

In Ihrer Magerkeit mit allen Lüsten

Und stürzte viele Menschen ins Verderben

Die Wölfin brachte mich so in Bedrängnis

Und so hat ihr Anblick mich geängstigt

Daß ich die Hoffnung auf den Berg verlor.“

 

Die Frage ist also, schloß Fried, wann die Wölfin aus dem Porticus entfernt wurde und warum und gab Vermutungen weiter, wie: unter dem avignonesischen Papsttum oder Cola da Rienzo.

Weiterhin ungeklärt allerdings ist auch, warum sie im Porticus des päpstlichen Lateranpalastes überhaupt aufgestellt war, wobei ausgeschlossen werden kann, daß ein Papst eine eherne Wölfin gießen läßt, da sie keinerlei kirchliche Bedeutung hat. Weder Papst noch Kommune als Auftraggeber. Wer bleibt übrig? Und vor allem: wann? Zudem ist zu dieser Zeit kein Bronzeguß für Rom nachweisbar. Bronzen wurden in Konstantinopel bestellt, womit das 12. Jahrhundert wieder als Datum eine Rolle spielt.

 

Deshalb blieb für die Suche „nur eine römische Adelsfamilie ‚mit Wolfsimage’, die im früheren 12. Jahrhundert bedeutsam, dann aber Anlaß bot, ihre kostbare Bronzewölfin an den Papst zu verlieren“ Das treffe alles auf die Grafen von Tusculum zu, so Fried. Der Chronist der Familie, selbst ein Tuskulaner, hatte Romulus, das Wolfskind als Ahnherr bezeichnet. Er schrieb dann eine Geschichte des Volkes von Troja bis zur Gegenwart, wobei die Wölfin als lauernd aggressionsbereit wie Gregorius und Dante sie sahen, beschrieben wird im Kampf gegen Rom, den die Tuskulaner verloren, weshalb die Lupa nach Rom gelangen konnte. Johannes Fried stellte sogar einen möglichen Zusammenhang mit dem Braunschweiger Löwen (1166?) her, da Heinrich mit Barbarossa 1155 in Rom war: „Damals könnte er die Lupa gesehen sie bewundert und nachzuahmen beschlossen haben.“

 

In Rom allerdings wurde die Wölfin erst seit 1430  reaktiviert. Sie verdrängte den Löwen und kehrte 1471 auf das Kapitol zurück, erhielt die Zwillinge und blieb Symbol für Rom. Dazu Professor Fried: „Tritt meine Hypothese von der Tuskulaner Provenienz der Lupa Capitolina zu, so wäre es – eine Ironie der Geschichte – der Triumph nämlich der Unterlegenen über die einstigen Sieger wenigstens im Symbol, ein Symbol zugleich, das Antike, Mittelalter, römische Bürgerschaft, Renaissance, Neuzeit und modernen italienischen Staat, die ganze Geschichte vereinte – gewiß kein Verlust für Italien“.

 

Die Dritte im Bunde,  Maria R.-Aföldi,  sprach gleich im Plural von den Schicksalen der Lupa Romana und setzte mit dem 4. Kreuzzug nach Konstantinopel 1203/04 ein, der Plünderung und den Erwähnungen von verschiedenen Wölfinnen in den Jahrhunderten davor. In einer lebhaften Diskussion danach, die der Spiritus Rector der Veranstaltung, Professor Wulf Raeck leitete, versuchten die Zuhörer, die drei Referenten zu gegenseitigen Stellungnahmen zu den Positionen der anderen zu bewegen, weil man den Abend über das Gefühl hatte, einer wundersamen Vermehrung der Lupa Romana zuzuhören.

 

So muß es tatsächlich auch gewesen ein, daß die Wölfin vielen als Symbol galt und von daher Mehrfachproduktionen einer Wölfin vorhanden waren. Da aber die besagte Lupa Capitolina im Museum in Rom heute noch als bronzenes Standbild vorhanden ist, führt keine Weg daran vorbei, daß die vorgebrachten Theorien mit heutigen wissenschaftlichen Methoden der Untersuchung der Bronze selbst zu einer möglichst übereinstimmenden Datierung führen sollten. Die Kapitolinischen Museen selbst auf jeden Fall haben trotz der vielen Anläufe, die Bronze als mittelalterlich (nächste Frage: wann?) festzulegen, bisher an ihrer Datierung „etruskisch“ festgehalten.